Was empfiehlt die Stiko?
Die Kommission empfiehlt, dass nur Kinder und Jugendliche von zwölf bis 17 Jahren geimpft werden sollen, die bestimmte Vorerkrankungen haben und mit einem anzunehmenden erhöhten Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf einhergehen. Genannt werden: Adipositas (Fettleibigkeit), angeborene oder erworbene Immundefizienz oder relevante Immunsuppression, angeborene zyanotische Herzfehler, schwere Herzinsuffizienz, schwere pulmonale Hypertonie, chronische Lungenerkrankungen mit einer anhaltenden Einschränkung der Lungenfunktion, chronische Niereninsuffizienz, chronische neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen, maligne Tumorerkrankungen, Trisomie 21, syndromale Erkrankungen mit schwerer Beeinträchtigung sowie ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus. Außerdem wird die Impfung Kindern ab zwölf Jahren empfohlen, in deren Umfeld Menschen leben, die stark gefährdet sind, einen schweren Covid-Verlauf zu bekommen – und zum Beispiel nicht selbst geimpft werden können. Nach Stiko-Angaben leiden von den etwa 4,5 Millionen Zwölf- bis 17-Jährigen in Deutschland Schätzungen zufolge circa 379.000 generell an Vorerkrankungen.
Um welche Impfstoffe geht es?
Aktuell ist als einziger Impfstoff für Zwölf- bis 17-Jährige Comirnaty des Herstellers Biontech/Pfizer von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen worden. Das Unternehmen Moderna hat Anfang dieser Woche die Zulassung beantragt. Bei beiden Mitteln handelt es sich um mRNA-Impfstoffe, zwei Impfungen in zeitlichem Abstand sind erforderlich. Für ab 16-Jährige gab es bereits vorher eine generelle Stiko-Empfehlung für die Impfung mit dem Biontech-Vakzin – sie wird mit der neuen Fassung aktualisiert.
Warum verzichtet die Stiko auf eine allgemeine Empfehlung für alle Kinder und Jugendlichen?
„Es geht um eine Abwägung von Nutzen und möglichem Risiko“, sagte der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens am Donnerstag. Die Wirkung der Impfung für Zwölf- bis 17-Jährige sei unbestritten. „Die Schutzwirkung ist sehr gut“, betonte Mertens. Durch die relativ kleine Gruppe von rund 1100 Kindern und Jugendlichen in der Zulassungsstudie und einen Beobachtungszeitraum von nur zwei Monaten seien aber mögliche schwere Nebenwirkungen nicht hinreichend auszuschließen. Dazu sei das Risiko für Zwölf- bis 17-Jährige, schwer an Covid-19 zu erkranken, sehr gering. „Wir hatten in dieser Altersgruppe in Deutschland bisher nur zwei Todesfälle“, berichtete Mertens. In beiden Fällen hätten schwerste Vorerkrankungen vorgelegen. „Unsere Abwägung muss jeder verstehen“, ergänzte er. „Es ist eine sachgerechte Empfehlung.“
Können gesunde Kinder trotzdem geimpft werden?
Ja. Nach ärztlicher Aufklärung und bei individuellem Wunsch und der Risikoakzeptanz von Kindern, Jugendlichen oder ihren Eltern sei eine Impfung auch bei gesunden jungen Leuten möglich. Die Bundesregierung hatte bereits zuvor entschieden – ohne die Stiko-Empfehlung abzuwarten –, dass mit dem Wegfall der Priorisierungen an diesem Montag Kinder und Jugendliche in die Impfkampagne aufgenommen werden sollen.
Was sind die Ergebnisse der Impfstudie von Biontech/Pfizer?
1131 Kinder im Alter von 12 bis 15 Jahren haben für die Zulassungsstudie in den USA im Abstand von 21 Tagen zwei Impfdosen erhalten, 1129 Kinder bekamen Placebo-Spritzen. Bei den Geimpften zeigte sich eine relative Schutzwirkung von 100 Prozent. Unter den Geimpften gab es keinen Covid-Fall – bei den Ungeimpften 16 Fälle. Labortests zeigten, dass die Impfung eine stabile Immunantwort erzeugte, besser als in der Altersgruppe von 16 bis 25 Jahren.
Insgesamt bewerteten die Autoren einer Studie die Impfung auf dieser Basis als gut verträglich, die Impfreaktionen seien überwiegend mild bis moderat gewesen. Damit sind kurzfristige Symptome nach der Impfung gemeint: Kopfschmerzen, Schmerzen an der Einstichstelle, Hautrötung, Fieber, Müdigkeit oder Schüttelfrost. Sie seien meist innerhalb weniger Tage verschwunden gewesen. Schwere Nebenwirkungen wie Sinusvenenthrombosen oder anaphylaktischen Schocks seien nicht aufgetreten. Fachleute sagen, die Gesamtzahl der Probanden lasse nur bedingt Rückschlüsse über seltene Nebenwirkungen zu. Die Studie wurde am 27. Mai 2021 im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht.
Wie ordnen Bremer Experten die Datenlage ein?
Der Vorsitzende der Bremer Kinder- und Jugendärzte, Stefan Trapp, hält es für „vernünftig“, zunächst von einer allgemeinen Empfehlung abzusehen. Mit einer eingeschränkten Empfehlung sage die Stiko nicht, dass der Impfstoff gefährlich sei, sondern dass man eine genauere Datenlage abwarten wolle und müsse. „Die Entscheidung erfolge nach einer Abwägung von Nutzen und Risiken auf dieser Basis“, sagt Trapp. Auch der Bremer Virologe Andreas Dotzauer hält eine eingeschränkte Empfehlung zum jetzigen Zeitpunkt für richtig: „Die Datenbasis aus der Zulassungsstudie ist tatsächlich noch sehr gering für eine generelle Empfehlung.“ In Ländern wie den USA, Kanada und Israel werden Kinder ab zwölf Jahren ebenfalls mit Biontech geimpft.
Wie wird die Impfempfehlung in Bremen und Niedersachsen umgesetzt?
Laut dem Sprecher des Bremer Gesundheitsressorts, Lukas Fuhrmann, sollen 16- bis 17-Jährige in den Impfzentren geimpft werden. Für sie soll eine eigene Impfstraße eingerichtet werden, die von Kinderärztinnen und -ärzten betreut wird. „Wegen des knappen Impfstoffs von Biontech ist ein Start dort aber nicht vor Juli möglich“, so Fuhrmann. Kinder und Jugendliche aus den Altersgruppen darunter sollen in den Praxen geimpft werden. In Niedersachsen können sich Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren auf die Warteliste für die Impfzentren setzen lassen oder bei den niedergelassenen Kinderärztinnen und -ärzten geimpft werden, teilt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums mit. Gesonderte Impfaktionen seien nicht geplant, weil es keine allgemeine Impfempfehlung gebe – und wegen ausbleibender Sonderlieferungen des Bundes für die Impfungen der Schülerinnen und Schüler.
"Uns ist es aber wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen ein Angebot erhalten, wenn sie geimpft werden möchten. Die Entscheidung darüber, ob die Kinder und Jugendlichen im Einzelfall geimpft werden sollten, treffen die Eltern – am besten nach ärztlicher Beratung", so die Sprecherin. Es handele sich ausdrücklich um ein Angebot. Eine Pflicht zur Impfung oder eine Impfung als Bedingung etwa für die Teilnahme am Unterricht werde es nicht geben.
Wie viele Kinder in Bremen gehören zur Altersgruppe der Zwölf- bis 17-Jährigen?
Bei einer generellen Impfempfehlung war die Gesundheitsbehörde von etwa 30.000 Personen in Bremen und 6600 in Bremerhaven ausgegangen. Zahlen zu Kindern und Jugendlichen mit den entsprechenden Vorerkrankungen, die in der Stiko-Empfehlung genannt werden, gibt es nicht.
Wie viele Corona-Fälle gab es bei Kindern und Jugendlichen in Bremen und Niedersachsen seit Pandemiebeginn?
Nach Zahlen der Gesundheitsbehörde wurden in der Stadt Bremen in der Altersgruppe null bis fünf Jahre 611 Fälle gemeldet, bei den Sechs- bis Neunjährigen 636 und bei den Zehn- bis 19-Jährigen 2484 Fälle. In Bremerhaven sind es jeweils für die Altersgruppen 120, 188 und 492 Fälle. Ein siebenjähriges Kind, bei dem im Krankenhaus eine Corona-Infektion nachgewiesen wurde, starb. „In den Kliniken wurden bei Kindern und Jugendlichen vereinzelt Infektionen nachgewiesen, das waren meist Zufallstreffer“, so Behördensprecher Fuhrmann. In Niedersachsen wurden bei Kindern und Jugendlichen (null bis 19 Jahre) seit Pandemiebeginn 47.754 Coronavirus-Infektionen gemeldet, darunter gab es keine Todesfälle, teilt das Landesgesundheitsamt mit.
Warum sind eigene Impfstoff-Studien für Kinder und Jugendliche wichtig?
Kinder und Jugendliche befinden sich mitten in der Wachstumsphase. Das betreffe die Organe, aber auch das Immunsystem, erklärt Virologe Dotzauer. Es reagiere in dieser Phase anders als bei Erwachsenen. „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen – man kann nicht einfach die Dosis reduzieren“, betont der Uni-Professor. Erst mit 16 Jahren gelte die Wachstums- und Stabilisierungsphase des Körpers als abgeschlossen. In den Studien werde daher in mehrere Altersgruppen unterteilt: etwa in ab 16-Jährige, Zwölf- bis 16-Jährige (deren Körper sich in der kritischen Phase des Umbruchs befinde) und noch einmal in drei Altersgruppen darunter. „Getestet werden unterschiedliche Konzentrationen, eventuell auch andere Impfabstände“, so Dotzauer. „Es geht um Schutzwirkung, Immunantwort und Sicherheit.“
Wie verlaufen Infektion und Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen?
Häufig symptomlos, und eher leicht, sagt Kinderarzt Trapp. „Je jünger, desto milder ist der Verlauf.“ Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen hätten jedoch ein höheres Risiko als gesunde Gleichaltrige. Eine Krankheit, die Wochen nach einer Infektion auftreten kann, ist das sogenannte PIM-Syndrom – Pädiatrisches hyperinflammatorisches Syndrom mit Multiorganbeteiligung. Sie gilt als selten und gut behandelbar.
Was spricht für eine Impfung von Kindern und Jugendlichen?
Auch Kinder können trotz eines milden oder asymptomatischen Verlaufs unter Langzeitfolgen leiden, sagt Virologe Dotzauer. Spätfolgen werden mit dem Begriff „Long Covid“ bezeichnet. Zwölf Wochen nach der Infektion zeigten Kinder in etwa zwei Prozent der Fälle Symptome, bei Erwachsenen gehe man von zehn Prozent aus, sagte der Leiter der bundesweit ersten Kinder-Long-Covid-Ambulanz am Uni-Klinikum Jena dem SWR Ende Mai. Weiterer Grund für eine Impfung ist laut Dotzauer, dass Kinder und Jugendliche eine eigene Kohorte bilden, in der sich Infektionen in einem Reservoir halten könnten – auch weil sie häufig unbemerkt verliefen. Kinder könnten zudem Überträger sein; je älter, desto höher sei die Viruslast und damit die Ansteckungsgefahr für andere. „Wenn die Datenlücken geschlossen, Dosis und Impfabstände klar sind, dann sollte es auch eine generelle Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche geben“, sagt der Uni-Professor. „Auch im Hinblick auf eine Pufferwirkung, um eben solche Reservoirs zu verhindern.“
Werden Impfungen aller Kinder zwingend für Herdenimmunität gebraucht?
Das hängt auch von der weiteren Entwicklung der Pandemie und der Impfbereitschaft der Erwachsenen ab. Minderjährige haben einen Anteil von 16,4 Prozent an der Bevölkerung, für Kinder unter zwölf Jahren ist bisher aber kein Impfstoff zugelassen. Als Schwelle für den weitgehenden Verzicht auf Maßnahmen und Regeln müssen laut dem Robert Koch-Institut mehr als 80 Prozent der Bevölkerung immun sein – entweder durch eine vollständige Impfung oder eine durchgemachte Infektion plus Impfung. Sollte sich eine ansteckendere Virusvariante durchsetzen, könnten noch mehr Immune notwendig sein.
Virologe Dotzauer geht nicht davon aus, dass Herdenimmunität erreicht werden kann. „Vor allem auch wegen Virusvarianten, die entstehen können“, betont der Uni-Professor. Und: Es gebe eine Reihe von Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten oder die nicht geimpft werden dürften. Und es gebe Menschen, bei denen kein ausreichender Immunschutz aufgebaut werde. Stiko-Chef Thomas Mertens schätzte den Nutzen von Kinder-Impfungen für die Herdenimmunität kürzlich als gering ein: „Man sollte die Hoffnung auf den epidemiologischen Effekt nicht übertreiben.“
Wird es weitere Impfstoffe geben, die für Kinder und Jugendliche zugelassen werden?
"Davon ist ganz sicher auszugehen", sagt Dotzauer. "Dass zunächst der Impfstoff von Biontech zugelassen wurde und als nächster wohl Moderna folgt, liegt einfach daran, dass die Firmen am weitesten waren."
Was ist mit Kindern unter zwölf Jahren?
Für sie ist bisher noch kein Impfstoff zugelassen. „Die sehr große Gruppe der ebenfalls als gefährdet anzusehenden chronisch kranken Kinder im Säuglings-, Kleinkindes- und Schulalter muss bislang ohne Impfangebot bleiben“, sagt Markus Knuf, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, der Deutschen Presse-Agentur. In Deutschland gibt es mehr als 15 Millionen Kinder und Jugendliche. „Die können wir nicht einfach außen vor lassen“, so Knuf. Die einfache Formel „Kinder erkranken nicht oder nur sehr leicht, deshalb ist eine Impfprävention nicht notwendig“ könne so nicht gelten.
In den USA hat der Pharmakonzern Pfizer Tests seines Impfstoffs mit dem Unternehmen Biontech auf Kinder unter zwölf Jahren ausgeweitet. In dieser Woche hat eine Studie mit Fünf- bis Elfjährigen begonnen. Sie erhalten laut einer Mitteilung des Konzerns entweder ein Placebo oder zwei Impfdosen von jeweils zehn Mikrogramm, das entspreche etwa einem Drittel der Dosis, die Jugendliche und Erwachsene erhalten. In einigen Wochen sollen Kinder ab sechs Monate für eine Studie dazu geholt werden, sie sollen drei Mikrogramm pro Impfung erhalten.