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Karstadt Bremen Was man in 41 Jahren als Toilettenfrau erlebt

Pauline (Paula) Knösel arbeitet seit vielen Jahren als Toilettenfrau bei Karstadt in Bremen. Die Frau, 77 Jahre alt, hat eine Menge zu erzählen.
13.07.2023, 05:00 Uhr
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Was man in 41 Jahren als Toilettenfrau erlebt
Von Jürgen Hinrichs

Es läuft. Und wie das läuft auf dem Klo bei Karstadt. Männer und Frauen huschen hinein und wieder hinaus, viel Betrieb am stillen Örtchen, und dabei ist es noch früh am Tag. Die Toilettenanlage im 3. Obergeschoss – ein einziger Taubenschlag. So schlecht kann es dem angeschlagenen Warenhaus nicht gehen, wenn alle diese Menschen nicht nur ihre Notdurft verrichten, sondern auch zum Einkaufen kommen. Doch das ist offenbar nicht immer so. Monika Korte zum Beispiel, sie geht an diesem Vormittag zum Klo, aber nicht zur Kasse. „Ich nutze das WC auch dann, wenn ich in der Innenstadt bin, aber eigentlich nicht zu Karstadt will“, erzählt die 60-Jährige. Der Grund: „Es ist jedes Mal top sauber, und man wird mit einem freundlichen Wort empfangen.“

Korte war dabei, als im Oktober eine Ära zu Ende ging: „Es gab Mumm-Sekt, eisgekühlt.“ Ära ist kein zu großes Wort, denn was sind 41 Jahre sonst, wenn sie an ein und derselben Stelle verbracht wurden, die dazu noch sehr speziell ist? Sechs Tage in der Woche von morgens bis abends am Klo von Karstadt. Das war die Arbeit von Pauline Knösel („nicht Pauline, bitte“, sagt sie, „find’ ich doof, sagen Sie lieber Paula“). Paula also. Paula Knösel. Eine Frau von 77 Jahren, die zwar offiziell in Rente ist, aber immer noch aushilft. Den Betrieb hat ihr Enkel übernommen.

Die macht das nicht lange, haben viele gedacht. Jetzt sind es 41 Jahre.
Pauline Knösel über ihre Arbeit als Toilettenfrau bei Karstadt in Bremen

„Ich war damals arbeitslos, hatte keine Ausbildung. Da kam die Stellenanzeige gerade richtig“, erzählt Knösel von ihren Anfängen als Toilettenfrau. Sie warf sich den weißen Kittel über, und fertig, los ging’s. „Klar, musste man sich zunächst überwinden, das war nicht einfach. Ich war auch unsicher, bin ständig hin- und hergerannt, aber das hat sich schnell gelegt.“ Übel auf stieß ihr damals etwas ganz anderes: „Da kamen so Sprüche, purer Rassismus.“ Knösel stammt von einem US-Soldaten ab, der in Deutschland stationiert war, einem Schwarzen, den sie nie kennengelernt hat. Die Frau musste sich einiges anhören, und wenn es nur das war: „Sie sprechen aber gut Deutsch.“ Ihre Antwort, pfeilschnell: „Sie auch!“ In den ersten Wochen sei sie regelrecht gemobbt worden. „Die macht das nicht lange, haben viele gedacht. Jetzt sind es 41 Jahre.“

In dem Schränkchen am Toiletteneingang steckt Klopapiergeschichte. Verschiedene Sorten aus den vergangenen Jahrzehnten mit Werbung drauf: Das Meistverkaufte! Oder die Garantie, dass es 400 Blatt sind, keines weniger, versprochen. Es gibt die verpackten Rollen von Servus, Hakle oder Bess (weich und sicher“). Auch die Marke Werra Krepp, einlagig, ein Produkt aus der DDR. Was eben so produziert wurde oder immer noch wird. Oben auf dem Schränkchen liegt der Teller für den Obolus der Kunden. Großes Thema. Riesengroß. Denn das ist der Verdienst, die Pacht abgezogen. Und wer nichts gibt, was durchaus vorkommt, lässt die Toilettenfrau im Stich. Zwar ist ihr Service im Prinzip kostenlos, steht auf einem Plakat am Eingang: „Wir bitten jedoch zur Unterstützung um 80 Cent.“

Die meisten Kunden runden nach dem Toilettengang auf

So lautet der Tarif, erzwungen werden kann er nicht. Die meisten an diesem Vormittag runden auf und geben einen Euro. Andere, nicht viele, lassen ihr Portemonnaie verschlossen oder zahlen nur wenig. "Wenn's ein Zehn-Cent-Stück ist, frage ich, ob ich wechseln soll", sagt Knösel und lacht. Doch ist das lustig? Eher nicht. Manchmal ist sie im Gegenteil richtig sauer: "Wenn ich merke, dass jemand knausern will, sag' ich's ihm auf meine Art. Brauchst nichts hinzulegen, sage ich dann, ich mache das ehrenamtlich."

Sie mag, was sie tut. Den Kontakt zu den Menschen, die schnelle Begegnung, den kurzen Schnack. „Die Kunden sind in der Regel sehr diszipliniert, das ist eine saubere Arbeit.“ Manchmal auch nicht, aber das gehöre dazu. „Sehen Sie, Krankenschwester zu sein, gilt vielen als Traumberuf, dabei müssen die mehr Scheiße wegmachen als ich.“

Während die Toilettenfrau erzählt, gibt‘s immer mal wieder einen Gruß, ein Hallo und Winken. Man kennt sich und schätzt sich. Zu der Anlage gehört ein WC für Menschen mit Handicap und ein liebevoll dekorierter Wickelraum. Auch sonst ist dieses Klo deutlich anders als andere. Auf einem kleinen Tisch stehen Fläschchen mit Parfüm. Unter der Decke baumeln Grünpflanzen. Und egal, wohin man schaut – alles blitzblank. „Wir machen hier im Minutentakt sauber, sonst werde ich nervös“, sagt Knösel. Zur Weihnachtszeit, wenn es so voll ist, dass sich Schlangen bilden, gehe sie hinter jedem Kunden her. Jedes Mal prüft sie, ob alles in Ordnung ist: „Ich kann nicht anders.“

Pauline Knösel macht als Toilettenfrau 10.000 Schritte pro Schicht

10.000 Schritte, mindestens. So viel läuft sie in jeder Schicht. Die Fitnessuhr am Handgelenk ist ihr Zeuge. Vielleicht deshalb, vielleicht auch, weil sie so ein fröhlicher, zugewandter Mensch ist – das Alter hat Paula Knösel bisher nicht viel anhaben können. Für den Enkel arbeitet sie zwei- oder dreimal in der Woche, ein 520-Euro-Job. Und so ist sie immer noch da, macht einfach weiter. Abschied hin oder her.

Knösel erlebt Begegnungen mit Kunden, die einmal da waren und nach Jahren wiederkommen – „das ist schön, wir erkennen uns wieder“. Eine Frau brachte ihr einen Umschlag mit einer Karte darin und 50-Euro. Auf der Karte stand, dass die Frau als Kind früher mal etwas vom Trinkgeldteller stibitzt habe, das wolle sie nun wieder gutmachen. Oder dies, eine letzte Geschichte: „Manche wollen den Preis drücken und sagen, dass sie nur Pipi müssen. Was kostet das, fragen sie.“ Auch darauf hat die Toilettenfrau eine Antwort: „Hängt von den Litern ab.“ Es läuft. Und wie das läuft auf dem Klo bei Karstadt.

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