Die Zahl der Raucher in Deutschland ist gestiegen. Das geht aus der Langzeitstudie Debra (Deutsche Befragung zum Rauchverhalten) hervor. Demnach liegt der Anteil bei den über 14-Jährigen bundesweit bei 31 Prozent. Vor Beginn der Corona-Pandemie waren es 27 Prozent. Zahlen für Bremen liegen nicht vor, der Stadtstaat gilt aber traditionell als Raucher-Hochburg. Wahrscheinlich sei, dass im vergangenen Corona-Jahr mehr frische Ex-Raucher rückfällig geworden seien, sagt der Suchtforscher und Debra-Leiter Daniel Kotz. Auch in anderen Bereichen zeigt sich: Die Pandemie kann alltägliche Laster und Süchte begünstigen. So habe auch der Alkoholkonsum in bestimmten Gruppen zugenommen, heißt es in der Debra-Studie.
Experten warnen allerdings davor, Suchtprobleme allein auf Corona zurückzuführen. Auch aus Bremen kommen eher zurückhaltende Einschätzungen. Ob es ein zunehmendes Problem gebe, sei schwierig abzuschätzen, sagt Lothar Entelmann, der für die Anonymen Alkoholiker (AA) arbeitet. Ihm zufolge meldeten sich zuletzt eher weniger Leute bei den AA als früher – ob das gut oder schlecht sei, lasse sich allerdings nicht sagen. "Ohne Rückmeldung können wir den Zustand kaum beurteilen", sagt Entelmann. Treffen fänden aktuell digital statt. Die Beteiligung falle spärlich aus, aber das sei auch vor Corona und in Präsenz schon so gewesen. Entelmann, nach eigener Aussage selbst seit 30 Jahren trocken, sieht vor allem durch Lockdowns ein gestiegenes Risiko für Rückfälle. "Wenn die Strukturen wegfallen, ist das für Alkoholiker gefährlich", sagt er.
Das bestätigt auch Melanie Borgmann, Suchtberaterin bei der Caritas Bremen. Dass durch Corona mehr Menschen alkoholkrank werden, lasse sich nicht sagen. Ein Zusammenhang mit einigen Rückfällen sei aber erkennbar. Insbesondere in der ersten Phase der Pandemie sei die Situation für viele Menschen angespannt gewesen. "Und wir wissen ja, dass Suchtmittel genutzt werden, um unangenehme Gefühle zu betäuben", sagt Borgmann. Studien legen ebenfalls nahe, dass die Pandemie besonders negativ auf diejenigen wirkt, die bereits vorher Suchtprobleme hatten. "Menschen, die ohnehin schon regelmäßig Alkohol zu Hause getrunken haben, zum Beispiel zum Schöntrinken des Abends – zum Vertreiben von Einsamkeit, Langeweile oder Sorgen, die trinken nun mehr", so Falk Kiefer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie.
Verändertes Glücksspiel-Verhalten
Eine generelle Zunahme des Alkoholkonsums gab es der Debra-Studie zufolge zuletzt nicht. Geselligkeits- und Partytrinker haben ihren Konsum demnach reduziert. Die AOK Bremen/Bremerhaven macht bei den Reha-Anträgen von Suchtkranken einen Rückgang aus – von 52 im Jahr 2020 auf 36 im Jahr 2021. Die Aussagekraft sei zwar aufgrund der geringen Gesamtzahl begrenzt, die Tendenz aber eindeutig, sagt Unternehmenssprecher Jörg Hons. Für einige Betroffene habe die Pandemie sogar – zumindest kurzzeitig – zu einer Verbesserung der Situation geführt, erklärt Borgmann. Der Abstand zu den Verlockungen in Kneipen und Bars sei durch die zwischenzeitlichen Schließungen größer geworden. Das habe die Abstinenz teilweise erleichtert, löse aber natürlich die Probleme nicht nachhaltig.
Ähnliches ist aus einem anderen Bereich zu hören: Tobias Hayer forscht an der Bremer Uni zum Thema Glücksspielsucht. Ein Teil derjenigen, die Spielhallen und Wettbüros bevölkerten, habe die Schließung im Frühjahr 2020 als Entlastung erlebt, sagt Hayer. Grundsätzlich habe die Corona-Pandemie einen Einfluss auf das Glücksspiel – der dürfe jedoch nicht überschätzt werden. Zwar seien die Umsatzzahlen im Online-Bereich auch dadurch gestiegen, dass einige Spieler ihre Aktivitäten ins Internet verlagert hätten. "Eine Massenbewegung in diese Richtung hat aber nicht stattgefunden", sagt Hayer.
Dem Bremer Forscher zufolge gilt ähnlich wie beim Alkohol auch beim Glücksspiel: Den Konsum ausgebaut haben vor allem diejenigen, die bereits vorher dazu neigten. Wer also während der Pandemie zunehmend im Netz gezockt habe, sei dort in vielen Fällen auch schon vorher aktiv gewesen. Hayers Beobachtungen decken sich in einem weiteren Punkt mit denen aus anderen Bereichen: Unter der Pandemie und den Einschränkungen leiden demnach besonders jene Menschen, die wenig Ressourcen haben – gemeint sind zum Beispiel Geld, Arbeit, Wohnraum oder soziale Kontakte. Diese Gruppe neige eher zum Suchtmittel. Hayer betont aber, dass es eine Zunahme des Online-Glücksspiels auch ohne Corona gegeben hätte. Er sieht die Liberalisierung des Marktes, mehr Werbung und eine daraus resultierende, zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz als größere Treiber der Glücksspielsucht.