Die CDs stecken noch in den Regalen: Bon Jovi, Depeche Mode, Spice Girls, Backstreet Boys – was damals so gespielt wurde. Es liegen auch Schallplatten herum, schwarz glänzend in der Dunkelheit, denn Licht gibt es in dem Kabuff keines mehr. „Die heiligen zwei Quadratmeter“, sagt Björn Diederichsen. Jeden Dienstag, Donnerstag und Sonntag war das sein Reich. Er hat aufgelegt und den Beat bestimmt. Acht Stunden, manchmal länger, bis der Morgen graute. Nun ist DJ Björn wieder zurück, nicht um zu arbeiten, sondern für einen Rundgang.
Mehr als fünf Jahre ist es her, dass das Stubu dichtgemacht wurde. Der Schlusspunkt für Bremens größte und sicherlich auch schillerndste Diskothek. Sie wird bis heute mit Razzien, Schießereien und behördlichen Sperren verbunden. In Erinnerung sind genauso aber auch die rauschenden Nächte, verrückten Begegnungen, die Show der Freaks, erste Lieben, Tanz und Musik. Erstmals nach so langer Zeit standen die Türen für einen Moment wieder offen. Der WESER-KURIER konnte einen Blick hineinwerfen. Back to the Backstreet Boys.
Olaf Mosel, neuer Eigentümer des Gebäudes am Rembertiring, hat Mühe, den Eingang zu öffnen. Der Schlüssel passt und er lässt sich auch drehen, aber irgendetwas blockiert. Mit einem beherzten Tritt gegen die blaue Metalltür ist das Problem erledigt. Erste Schritte und gleich der Eindruck, nicht überraschend: Mief und Muff, wenig Licht, Treppen und Gänge, die sonst wohin führen. Dann aber weiter, dann wird es interessant: runter in den Keller, dorthin, wo das Herz des Stubu schlug.
Mosel lässt seine Gäste laufen, wohin sie wollen. Der Immobilienunternehmer aus Bremen-Nord erledigt am Telefon derweil seine Geschäfte. Demnächst will er sich mit der Baubehörde treffen, ausloten, was möglich ist an diesem exponierten Ort. Abriss oder Rückbau bis runter zum Stahlskelett, so weit ist das klar. Aber was kommt danach? Alles noch offen.
Im Keller also. Und man kann sich das sofort vorstellen: wie sich die Menschen dort gedrängt haben, Platz suchten auf der Tanzfläche oder an einer der drei Theken. Wie sie auf den Emporen hockten, Ausschau hielten oder auf einem der kleinen Tische den Eiskrug mit der Wodkaflasche platzierten. „Bier und Wodka“, sagt Diederichsen, das seien die Getränke gewesen. Sammy zum Beispiel, der Glücksspieler, wie er genannt wurde. „Der hat immer gleich eine Drei-Liter-Flasche geordert, wenn er beim Zocken gewonnen hat.“ Ab und an ging‘s natürlich auch schief: „Dann habe ich ihm eine Cola ausgegeben.“

Björn Diederichsen hat fast bis zuletzt im Stubu als Discjockey gearbeitet. Sein Reich war ein Kabuff am Rande der Tanzfläche im Musikkeller. Die CDs stehen noch in den Regalen.
Getanzt und gefeiert wurde nicht nur im Keller. Das Stubu hatte verschiedene Ebenen mit jeweils eigener Musikrichtung und eigenem Namen. Es gab Hip-Hop, Elektro, Latin Music oder Schlager und Pop von DJ Björn. „Der Betreiber wollte allen etwas bieten“, erzählt Diederichsen. In Spitzenzeiten seien an einem Abend gut 2000 Menschen gekommen. Mehr und mehr freilich auch solche, die Krawall gemacht hätten oder zumindest so wirkten, als könnten sie gleich damit loslegen: „Zuletzt war es hart.“ Vielleicht etwas überspitzt, aber der DJ sagt es so: „Das Coconut im Stubu waren die 200 kriminellsten Quadratmeter in Bremen.“ Von seinem Pult aus konnte er Alarm auslösen: zwei Schalter, der eine Grün, um vorzuwarnen, der andere Rot, damit die Ordner einschreiten.
Krass, was er alles erlebt hat, und er würd‘s nie wieder haben wollen. Aber irgendwie, das hört man raus, fand er‘s auch schön: „Das Stubu war ein Treffpunkt der Freaks“ – und die waren in der Regel friedlich. Diederichsen fällt Helmut ein, ein Rechtsanwalt: „Der kam jede Nacht zwischen vier und fünf, trank sein alkoholfreies Bier und ging, wenn wir zumachten.“ Helmut stand jedes Mal dort, wo der DJ etwas weiter hinten im Raum seine zusammengezimmerte Ecke hatte. Er stand, trank und schaute. „Manchmal, wenn ich zu viel intus hatte, hat er mich mit seinem Wagen nach Hause gefahren.“
Jede Nacht wurde zum Tage gemacht, jede. „Das Stubu war die einzige Disco in Deutschland, die das ganze Jahr geöffnet hatte.“ Nach ihrem Feierabend spät am Abend seien die Gastronomen gekommen, „hier saß immer das ,El Mundo‘, zeigt der DJ auf einen der Tische. Es kamen „die Damen aus den Etablissements“, um ein wenig zu feiern. Oder Bands, die vorher in der Stadthalle aufgetreten waren. Ein buntes Volk, das für den Moment kein Morgen kannte.
Diederichsen ist 55 Jahre alt und sein halbes Leben als Discjockey unterwegs. Die Zeit im Stubu, oh Mann – „entweder warst Du auf Droge oder hast gesoffen“. So war das damals, er hat‘s überlebt. An diesem Nachmittag hat DJ Björn noch einen Termin – Musik auflegen bei einer Hochzeit in Stuhr. Alles manierlich, ein Kontrastprogramm. Auf dem Freimarkt wird‘s ab kommenden Freitag dann wieder wild und laut, dort heizt er im Hansezelt ein.
Wild und laut – 25 Jahre ging das so am Breitenweg, bis das Stubu wegen aller möglichen Widrigkeiten und unklarer Vertragsverhältnisse 2019 schließen musste. Eine letzte Party am 1. Juni, und es war vorbei. Die Diskothek versank in ein Schattenreich.
Wie nach einem Untergang, wenn ein Schiff verloren geht und weitgehend intakt am Meeresboden liegt, ist das Stubu in voller Montur von einem Tag zum anderen aus der Zeit gefallen. Es gibt die Tanzflächen, jede anders und so klein, dass man sich automatisch näherkam. Es gibt die Theken, drei auf jeder Ebene. Sie sind im Keller aus dunklem Holz gebaut, schön schummrig alles, das sollte so sein. Da sind die Lichterketten und vergilbten Laternen an der Decke. Seltsam unförmige Lampenschirme aus Häkelstoff und allerlei Deko, die aussieht, als wäre sie selbst gemacht. Stimmt wahrscheinlich auch.

Eine Ecke der Disco ist mit knallroten Sitzbänken bestückt.
Das Stubu, kann man sagen, liegt zwar nicht am Meeresgrund, aber allemal am Boden. Die Diskothek ist abgerockt. Ein Lost Place. Es gibt Menschen, die mögen so eine Aura. Das Morbide und Abgewetzte. Olaf Mosel ist keiner davon: „Ich find‘s eher bedrückend als beeindruckend“, sagt der Eigentümer. Dann dreht er die Sicherungen heraus. Licht aus – Spot an? Nein, hier nicht mehr.
Stubu ist die Abkürzung für Studentenbund. Er war es, der den Veranstaltungsort vor mehr als 70 Jahren ins Leben gerufen hatte. Erste Station war die Ostendorpstraße. Damals wurde in dem Lokal von namhaften Musikern Jazz aufgeführt. Eine Diskothek war es aber auch schon – nicht immer zum Vergnügen der Anwohner. Das Stubu wurde später kommerziell betrieben. 1986 zog es in die Innenstadt, in die Straße Hinter dem Schütting. 1994 bis zum Ende im Jahr 2019 war die Adresse der Rembertiring 21.