Ein Antrag, eine Bescheinigung, fertig: In der Theorie soll der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für aus der Ukraine Flüchtlinge schnell und unkompliziert sein. Es sind so viele Stellen frei wie noch nie, in Bremen mehr als 9100, in Niedersachsen rund 89.000. In der Praxis aber gibt es bürokratische und organisatorische Hürden – zum Beispiel die fehlende Kinderbetreuung. Und Gewerkschaften warnen vor Dumpinglohn-Jobs.
"Für die, die es möchten, wollen wir den Weg in die Arbeitswelt ebnen", sagt Joachim Ossmann, Chef der Arbeitsagentur Bremen-Bremerhaven. Die Nachfrage sei bislang gering: 30 Personen hätten bei der Arbeitsagentur Interesse an einer Stelle bekundet. Ossmann wundert das nicht. Wer aus der Ukraine geflüchtet ist, den beschäftigten meist erst einmal andere Fragen als die Jobsuche, meint er. Zu beobachten sei aber, dass Beratungsangebote wie die bundesweite Hotline der Agentur stark nachgefragt würden.
Es sind vor allem drei Hürden, die den größtenteils weiblichen Geflüchteten den Schritt in die Arbeitswelt erschweren: die Sprache, die Kinderbetreuung und die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen. Einer Umfrage des Bundesinnenministeriums zufolge waren 92 Prozent der Geflüchteten in der Ukraine berufstätig oder in Ausbildung. Ein hohes Bildungsniveau sei natürlich gut, sagt Ossmann. Aber: "Je höher die Qualifikation, desto wichtiger sind die Deutschkenntnisse." Eine Buchhalterin etwa komme in ihrem Beruf nicht weit, wenn sie kein Deutsch spreche, auf dem Spargelfeld oder in der Gastroküche sei das ein kleineres Problem.
Ernesto Harder, Vorsitzender der DGB-Region Bremen-Elbe-Weser, fordert eine politische Lösung für fehlende Betreuungsmöglichkeiten: "Gerade wenn Frauen mit Kindern nach Bremen kommen, können diese sich hier nicht weiterbilden oder arbeiten, ohne dass ihre Kinder gut versorgt sind. Hier müssen Lösungen gefunden werden, die auch dem Umstand genügen, dass viele Fachkräfte in den Kitas gerade nach der Pandemie auf dem Zahnfleisch gehen."
Das Bildungsressort sei mit viel Engagement darum bemüht, Kita-Plätze für Kinder aus der Ukraine bereitzustellen, sagt Sprecherin Maike Wiedwald. 140 Anfragen für Betreuung seien bei der Behörde eingegangen, allerdings hätten nur die wenigsten Kinder bisher einen Platz bekommen. Grund dafür sei der allgemeine Mangel: "Es braucht mehr Plätze für alle Kinder in Bremen." Exklusive Angebote für ukrainische Flüchtlinge gebe es nicht. Ehrenamtliche und einzelne Kitas hätten in Zusammenarbeit mit den Trägern zusätzliche Spielgruppen organisiert, in denen die Kinder für bis zu neuneinhalb Stunden in der Woche untergebracht seien. Das sei aber natürlich zu wenig, wenn die Eltern eine Arbeit aufnehmen wollten.
Nicht zuletzt kann auch die Anerkennung von Abschlüssen schwierig sein: wegen fehlender Dokumente oder langwierigen bürokratischen Vorgängen. Je nach Beruf sind die Kammern, staatliche Behörden, oder auch die Arbeitgeber zuständig. Wichtig sei, dass die Verfahren schnell abliefen, sagt Arbeitsagenturchef Ossmann. In der Vergangenheit habe es Fälle gegeben, in denen die Anerkennung mehrere Monate gedauert habe.
Angebote "weit unter dem Mindestlohn"
Neben der Forderung, diese Zugangshürden möglichst abzubauen, warnen Gewerkschaften vor ausbeuterischen Jobangeboten. Bremens DGB-Chef Harder berichtet, dass es immer häufiger Stellen mit Dumpinglöhnen gebe, die in Whatsapp-Gruppen der ukrainischen Geflüchteten kursierten. Die in Aussicht gestellten Löhne lägen "weit unter dem Mindestlohn" und seien für Frauen deutlich niedriger als für Männer. "Die Menschen, die zu uns kommen, müssen ihre Rechte kennen und Unternehmen, die die Hilflosigkeit der Geflüchteten ausbeuten, gestoppt werden", sagt Harder.
Zwei Info-Veranstaltungen mit etwa 30 ukrainischen Interessierten habe es bereits gegeben, weitere und zusätzlich vertiefende Seminare zum Arbeitsrecht sollen folgen, erklärt Jens Tanneberg, Geschäftsführer der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Bremen. Mit Förderung der DGB-Gewerkschaften und des Wirtschaftsressorts betreibt diese die Beratungsstelle MoBA für Geflüchtete und Drittstaatenangehörige. Auch die durch den Bund geförderte Beratungsstelle "IQ – Faire Integration" ist Teil des Beratungsnetzwerks. Die Fragen reichten von der Arbeitserlaubnis über die Anerkennung von Führerscheinen bis zu den Chancen für Freiberufler, sagt Tanneberg. Ziel sei derzeit vor allem, aufzuklären: "Wir versuchen, über die Prävention zu vermeiden, dass sie in schlechte Arbeitsverhältnisse kommen."
Anmerkung: Die Beratungsstelle MoBA wird anders als zuvor angegeben von der Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa der Freien Hansestadt Bremen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert. Die Beratungsstelle "IQ – Faire Integration" (Arbeit und Leben Bremerhaven) wird über Bundesmittel gefördert. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.