Ist man erkältet, kuschelt man sich in sein warmes Bett, trinkt Tee und ruht sich aus. Ist die Erkrankung schlimmer, geht man zum Arzt. Besonders bei einer chronischen Krankheit, ist die ärztliche Begleitung ein Muss. Doch was tut man, wenn man sich nicht gut fühlt, obdachlos ist und nicht mal eine Versichertenkarte der Krankenkasse hat?
"Im Mai 2023 sah ich im Fernsehen eine Sendung, in der das Mainzer Modell von Dr. Trabert vorgestellt wurde", erzählt Karin Stelljes (65). Der Arzt aus Mainz hatte mobil gemacht und versorgt mit seinem Arztmobil regelmäßig Obdachlose, die auf der Straße lebten, medizinisch. "Und ich habe gedacht: Wir haben bei den Johannitern die gesamte Ausrüstung bereits vor Ort. Das können wir doch auch in Bremen machen."
Gesagt, getan. Karin Stelljes, die zum derzeitigen Zeitpunkt bereits seit vier Jahren mehrmals die Woche bei den Johannitern mit dem Kältebus Obdachlose betreut, schlägt der Geschäftsleitung vor, ein Arztmobil für Menschen auf der Straße ins Leben zu rufen. "Da bin ich offene Türen eingerannt", sagt sie. "Mein Vorschlag wurde sofort angenommen."
Sie informiert die Gesundheitsbehörde, redet mit der Ärztekammer. Knapp zwei Monate nach der Fernsehsendung fährt Karin Stelljes zusammen mit Rettungssanitäter Lars Grube (23) und dem promovierten und pensionierten Chirurgen Matthias Stephani (68) zum ersten Mal mit dem Arztmobil raus auf Bremens Straßen.
Von Erkältung bis zu chronisch entzündeten Wunden
"Wir wurden sofort gut angenommen", sagt die 65-Jährige. "Und es war überdeutlich, wie dringend diese Menschen medizinische Versorgung benötigten." Kopfschmerzen, Erkältung, chronische Erkrankungen, vor allem aber offene Wunden seien die Anliegen der Patienten, die zum Arztmobil kämen. "Diese Menschen sind ständig der Witterung ausgesetzt. Sie ernähren sich meist schlecht und vielleicht haben sie noch ein Alkohol- oder Drogenproblem, das der Gesundheit schadet", sagt Karin Stelljes.
Menschen, die aus Polen, Bulgarien oder Lettland kämen und hier auf der Straße lebten, hätten zudem nicht einmal eine Krankenversicherungskarte. "Es gibt für diese Menschen zwar feste Anlaufstellen, wie etwa die Medizinische Versorgung Papierloser (MVP)", sagt Karin Stelljes. Doch oft fühlten sich diese Menschen in ihrer Situation so Scham-behaftet, dass sie sich nicht zum Arzt oder zur MVP trauen würden, meint sie. "Wenn wir aber mit dem Arztmobil zu ihnen kommen, ist das Angebot so niedrigschwellig, dass es angenommen wird."
Unkompliziert und ehrlich
Lars Grube ist von Beginn an bei den Einsätzen des Arztmobils dabei. "Vorher habe ich bereits Kontakt zu Obdachlosen gehabt, wenn ich als Sanitäter auf dem Freimarkt am Bahnhof unterwegs war", erzählt der 23-Jährige. "Und vom ersten Kontakt an merkte ich, wie supernett diese Menschen sind."
Man wisse nie, was einem an einem Einsatztag erwarte, sagt Grube. Bis zu zehn Personen würden in den zwei Stunden um ärztlichen Rat bitten. "Meist handelt es sich um offene Wunden, die gereinigt und verbunden werden müssen, damit sie überhaupt wieder heilen können", berichtet der 23-Jährige. In einigen Fällen seien die Wunden durch Keime bereits chronisch entzündet. "Da ist es besonders wichtig, dass eine regelmäßige medizinische Versorgung gewährleistet ist."
Chirurg Matthias Stephani ist von Beginn an der begleitende Arzt im Team. "Ich habe gleich gedacht, dass das passen könnte, als Frau Stelljes mich 2023 auf das Projekt ansprach", so der 68-Jährige, der sich bereits während seiner Zeit als Chirurg in niedersächsischen Kliniken, umfangreich mit chronischen Wunden befasst hatte. Mit seinem Wissen hilft er nun ehrenamtlich Menschen, die auf der Straße leben. "Diese Menschen sind sehr unkompliziert und ehrlich. Sie sagen einem, was sie möchten und was nicht", sagt Matthias Stephani. Dass, so sagt der pensionierte Arzt, sei angenehmer als im Klinikalltag.
Viermal im Monat – alle zwei Wochen mittwochs und sonntags – begleitet das Arztmobil den Kältebus auf seinen Touren. "Wir bleiben so lange vor Ort, bis alle versorgt sind, die zu uns kommen", sagt Karin Stelljes. "Bei uns wird niemand weggeschickt."
Alle drei ehrenamtlichen Mitarbeitern ist es wichtig, den Patienten einen geschützten Raum anzubieten, in dem ihre gesundheitlichen Anliegen besprochen werden können, sagen sie. "So geben wir ihnen ein Stück Würde zurück", so Karin Stelljes. Die Dankbarkeit ihrer Patienten sei groß, berichten Stelljes, Grube und Stephani gleichermaßen. "Es treibt mir schon manchmal die Tränen in die Augen, wenn sich ein Patient zum Beispiel bei mir bedankt, dass ich ihn wie einen Menschen behandelt habe", sagt Matthias Stephani. "Da bekommt man eine Ahnung von dem, was diese Menschen in ihrem Leben bereits durchgemacht haben."
Damit das Arztmobil öfter unterwegs sein kann
"Es ist doch so, dass Obdachlose von vielen Menschen gar nicht mehr wahrgenommen werden", meint Karin Stelljes. "Aber sie sind ein Teil unserer Gesellschaft. Es sind Menschen, wie Du und ich."
Das Team der mobilen Arztpraxis hat einen Wunsch: "Es wäre toll, wenn das Arztmobil öfter rausfahren könnte", sagt Stelljes. "Dafür benötigen wir allerdings mehr medizinisch ausgebildete Menschen, die bereit sind, sich ehrenamtlich zu engagieren", erklärt sie. "Wenn sich weitere Ärzte oder Rettungssanitäter bei uns melden würden, könnten wir die Obdachlosen häufiger medizinisch vor Ort versorgen", so die 65-Jährige. "Das wäre großartig."