Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Obdachlose im Bremer Winter "Das oberste Ziel ist, dass niemand auf der Straße erfriert"

Trotz eisiger Temperaturen wählen einige Obdachlose in Bremen die Straße statt der vorhandenen Notunterkünfte. Die Gründe sind vielfältig und komplex. Hier erzählen Obdachlose aus ihrem Leben.
18.01.2025, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Ragna Herzog

Es ist wieder kalt geworden. Beständig liegen die Temperaturen in den kommenden Nächten unter null Grad. Und wer sein Zuhause verlässt, zieht sich warm an und versucht, möglichst schnell wieder ins Warme zu gelangen. Doch wer morgens auf dem zur Arbeit durch die Innenstadt läuft, kann die Menschen sehen, die die Kälte die ganze Nacht ertragen mussten. Obdachlose, die, fast im Schlafsack verschwunden, auf der Straße schlafen.

Die Innere Mission bietet 100 warme Schlafmöglichkeiten im Zuge der Kälteregelung für Obdachlose in Bremen an. Sobald es an drei Tagen hintereinander minus vier Grad kalt ist, werden diese geöffnet. „Spätestens von November bis Ende April stehen Betroffenen warme Räumlichkeiten zur Verfügung“, sagt Axel Brase-Wentzell, Bereichsleiter Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission. Aber warum schlafen dennoch einige Menschen auf der Straße?

„Ich schlafe lieber draußen, als in diesem Chaos zu übernachten“, sagt Kalle Engler (67). Mit Chaos meint er die Bedingungen in den Räumlichkeiten für Obdachlose. Er schildert Streitereien, die in den Unterkünften an der Tagesordnung seien. „Außerdem“, so sagt er, „nehmen dort viele Menschen Drogen und bestehlen sich gegenseitig.“

Zusammen mit einem kleinen Porzellanhund sitzen der Pole Robert Adam Pozniak und der Bulgare Kolev Dimich vor dem Lidl-Supermarkt in der Innenstadt. Kolev holt seine Papiere aus einer kleinen Plastiktüte und zeigt ein Schreiben der Inneren Mission. Das Schreiben bestätigt ihm eine Unterbringung im Rahmen der Kälteregelung. Doch Kolev winkt ab. „Dort ist viel Gewalt“, sagt er. Auch Menschen, die Kokain zu sich nehmen oder sich sogar direkt neben ihm ihre Drogen spritzen, würden sich dort aufhalten. „Ich nehme keine Drogen und trinke auch keinen Alkohol“, sagt Kolev Dimich. "Damit möchte ich nichts zu tun haben."

Brase-Wentzell von der Inneren Mission will dem nicht grundsätzlich widersprechen. „Natürlich ist nicht auszuschließen, dass es mal zu Streit kommen kann“, sagt er. Doch der sei schnell geschlichtet, "Wir haben einen 24-Stunden-Sicherheitsdienst vor Ort und tagsüber pädagogische Fachkräfte." Auf jedem Flur überwache Security-Personal die Unterkunft. Im Bereich des Drogenkonsums sei die Kontrolle nicht ganz so einfach, sagt er. „Wenn sich Wohnungslose bei uns für die Übernachtung einfinden, gibt es eine Sichtungskontrolle, ob dieser Mensch drogenabhängig ist“, erklärt er. Finden sich dann tatsächlich mal Utensilien, die auf Drogenkonsum hinweisen und könnten diese auch den entsprechenden Personen zugeordnet werden, verweise man auf die Hausordnung, die den Konsum von Drogen untersage. „Ganz verhindern können wir den Konsum allerdings nicht“, so Brase-Wentzell.

Der 37-jährige Richard aus Lettland sitzt ein paar Meter weiter vom Lidl-Supermarkt entfernt auf seinem Schlafsack und sagt, er schlafe ebenfalls draußen. „Das geht schon irgendwie“, sagt er. „Schlafsack und gut.“ Die Kälte sei nicht so schlimm wie die Stimmung in einer Obdachlosenunterkunft. „In manchen Unterkünften gibt es auch Schränke, um sein letztes Hab und Gut wegzuschließen“, sagt er. Aber diese, so sei seine Erfahrung, würden von anderen schnell mal aufgebrochen. Das sei ihm zumindest in Hamburg mal passiert.

„Es gibt in unseren Notunterkünften Spind-Schränke, für die Bewohner ein Vorhängeschloss bekommen können“, sagt Axel Brase-Wentzell. „Und ja, dies kann relativ schnell aufgebrochen werden.“ Zusätzlich werde aber eine Verwahrung der Wertsachen im Leitungsbüro angeboten. „Und da ist noch nie etwas weggekommen“, sagt der Bereichsleiter der Inneren Mission.

Ein Stück weiter sitzt Katharina in der Obernstraße und schnorrt Geld. „Das mache ich aber nicht immer“, sagt sie. Die 41-Jährige wurde obdachlos, nachdem ihr Freund vor eineinhalb Jahren starb, berichtet sie. Zurzeit sei sie bei Freunden untergekommen. Sie spricht einen anderen Aspekt an, der ihr das Übernachten in einer Notunterkunft unmöglich machen würde. „Der hier“, sagt sie und zeigt auf ihren Hund Bobby, „Das ist mein bester Freund, und ihn würde ich nie allein lassen", sagt sie. Das Mitbringen von Hunden sei in Notunterkünften aber nicht erwünscht, so Katharina.

Das bestätigt Brase-Wentzell. „Das hat unter anderem damit zu tun, dass viele Hunde nicht vom Tierarzt geimpft und untersucht worden sind." Es habe mal Unterkünfte mit Zwingern für die Vierbeiner gegeben, erklärt er. „Am Ende haben viele Obdachlose die Nacht mit ihren Hunden im Zwinger verbracht.“ Denn viele Obdachlose würden sich inmitten von Betonmauern oft unwohl fühlen.

Brase-Wentzell kennt all die Bedenken der Obdachlosen, die Nächte in Räumlichkeiten der Inneren Mission zu verbringen. Er verspricht: „Wir sind immer dabei, die Situation für Wohnungslose in Bremen zu verbessern. Unser oberstes Ziel ist, dass niemand auf der Straße erfriert.“ Oft seien auch die Hausregeln oder das Zusammensein mit anderen Menschen Gründe, lieber auf der Straße zu übernachten. "In Bremen muss aber niemand auf der Straße schlafen, der das nicht will", sagt Brase-Wentzell. "Wir haben genug Plätze."

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)