Am Dienstag erhält Anja Rothe einen Anruf aus Singapur. Am Hörer aufgeregte Kunden, sie haben bei Rothe eine Kreuzfahrt gebucht. Zwei Wochen durch Asien, Stopps in Kuala Lumpur und Bangkok, die typische Tour. Können sie vergessen. Der Kreuzfahrtanbieter hat ihre Buchung storniert, einen Tag vor Abfahrt des Schiffes. Das Paar hat einen italienischen Pass. Grund genug für den Veranstalter, sie nicht an Bord zu lassen. Man wolle vorsichtig sein, in Italien verbreite sich das Coronavirus eben schneller als anderswo in Europa. Dass das Paar seit Monaten nicht mehr dort gewesen ist? Ändert nichts, keinen Schritt aufs Schiff, der Anbieter bleibt dabei. Was macht man da als Reisebüro?
„Das ist Diskriminierung, ich finde das unglaublich“, sagt Rothe, „aber so geht das gerade ständig: Es passieren Dinge, die man eigentlich für unmöglich hält.“ Rothe leitet das Reisebüro First in Bremen, seit mehr als 30 Jahren ist sie im Geschäft. Sie kennt die Aufs und Abs der Branche, irgendetwas sei ja immer, Terror, Staatsstreiche, Naturkatastrophen, das alles beeinflusse das Reiseverhalten. Doch das Coronavirus sei anders, irgendwie unberechenbarer. „Mich erstaunt, was da auf uns zukommt“, sagt Rothe, „kaum zu glauben, wie groß die Verunsicherung ist.“
Rothe weiß: Die allgemeine Panik bedeutet Gift für ihr Geschäft. Nicht nur, dass ihren Kunden die Kreuzfahrt verhindert wird. Es werden auch immer weniger, die überhaupt eine Reise bei Rothe abschließen. Ihr Umsatz sei zuletzt um 40 Prozent eingebrochen. „Hier herrscht Stillstand“, sagt sie, „das Telefon klingelt kaum.“ Im Reisebüro, das sie leitet, arbeiten 15 Personen – zu viele, solange kaum Kunden kommen. Sie habe schon über Kurzarbeit nachgedacht, sagt Rothe: „Die Situation ist katastrophal für uns.“
Ein herausforderndes Jahr
Rothes Reisebüro ist eine von vielen Firmen aus der Branche, auf die sich das Coronavirus unmittelbar auswirkt. Der Deutsche Reiseverband spricht von einem „herausfordernden Jahr“, die Tourismuswirtschaft fordert ein Konjunkturpaket für ihre drei Millionen Mitarbeiter. Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) stimmt mit ein. „Die Touristikbranche ist die meistbetroffene Branche in dieser Krise“, sagt Nathalie Rübsteck, Dehoga-Hauptgeschäftsführerin in Bremen, „für manche Betriebe hat dies schon ein kritisches Ausmaß erreicht, deshalb fordern wir schnelle Hilfsmaßnahmen.“
Jörn Burmeister leitet Melchers Travel, das Bremer Unternehmen hat sich auf Asienreisen spezialisiert. „Das Virus beeinflusst unsere Arbeit sehr stark“, sagt Burmeister. Am meisten beschäftigten ihn Kunden, die beruflich reisen. Überall würden gerade Messen verschoben, deswegen müsste seine Firma reihenweise Geschäftsreisen umbuchen. Das Problem mit den Touristen sei ein anderes. Es gingen deutlich weniger Buchungen ein. Und nicht wenige, die bei ihm gebucht haben, wollten ihren Urlaub nun streichen. Aus Angst vor dem Virus. Ganz gleich, wohin die Reise gehe.
Natürlich, sagt Burmeister, könne er verstehen, wenn seine Kunden nicht nach China oder Norditalien reisen wollten. Doch meist gehe es gar nicht um die Risikogebiete. Gerade hätten Kunden ihren Ausflug nach Amsterdam stornieren wollen. „Denen habe ich gesagt: Dann könnt ihr euch auch gleich zu Hause einsperren“, erzählt Burmeister, „mit rationalem Verhalten hat das nichts mehr zu tun.“ Burmeister ahnt: Ansteckender als der Erreger ist die Angst davor. „Das Virus wird irgendwann unter Kontrolle sein“, sagt er, „nur wann kriegen sich die Leute wieder ein?“
Den halben Dienstag habe sie am Telefon verbracht, sagt Anja Rothe. Sie habe versucht, den Kunden in Singapur zu helfen. Immerhin einen Rückflug habe sie finden können. Doch das Paar müsse draufzahlen, deswegen habe sie empfohlen, gegen den Kreuzfahrtanbieter zu klagen. Wie es in dem Fall weitergeht, wisse sie noch nicht. Im Grunde gelte das auch für ihr Büro und die gesamte Branche. Das Virus bedeute Unsicherheit. „Wie lange man so etwas durchhält? Keine Ahnung.“ Rothe hat ihren Mitarbeitern nun erst mal angeboten, Urlaub zu nehmen. Passe gerade gut. Es wolle ja sonst kaum jemand verreisen.
Die Reise stornieren
Wer eine Pauschalreise in ein Land gebucht habe, für das eine Reisewarnung gelte, könne sich an sein Reisebüro wenden, um den Urlaub dort zu stornieren, sagt Annabel Oelmann, Vorständin der Verbraucherzentrale Bremen. Selbst bei anderen Pauschalreisen seien viele Veranstalter aktuell kulant, so Oelmann. Dennoch rate sie davon ab, in Panik zu verfallen und Reisen vorschnell zu stornieren.
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