Fast genau zwei Jahre liegt der Schockmoment zurück: Maria Schröder bringt vom Einkaufen Erdnüsse mit, die aus der Schale gepuhlt werden müssen. Ein Spaß für ihre Tochter, denkt sich die Mutter. Die dreijährige Amy knackt die Schalen und – weil es ja sonst nur der halbe Spaß wäre – knabbert die Nüsse. Nur kurze Zeit später geht es ihr immer schlechter: Sie übergibt sich, hat Bauchschmerzen, ein Hautausschlag kommt dazu – sie bekommt schwer Luft. Die Eltern fahren mit ihrer Tochter sofort ins Krankenhaus. Amy hat eine Erdnussallergie, den Verdacht bestätigt einige Tage später ein Bluttest. "Eine der schlimmsten Allergien, die man haben kann", erklären die Ärzte, wie die Mutter sagt.
Die Erdnussallergie ist bei Kindern und Jugendlichen die häufigste Nahrungsmittelallergie – und die gefährlichste obendrein. Kleinste Mengen im Mikrogramm-Bereich können laut dem Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB) starke Reaktionen bis zu einem anaphylaktischen Schock auslösen. In den meisten Fällen bleibt die Allergie ein Leben lang bestehen.
Prinzip der Hyposensibilisierung
Maria Schröder wird in der Arztpraxis aufgeklärt, was die Allergie für den Alltag ihrer Tochter bedeutet, wie die Risiken auf ein Minimum reduziert werden können. "Vermeidung von allem, worin Erdnüsse oder Bestandteile enthalten sind, ist das oberste Gebot", sagt die Mutter. "Man ahnt nicht, in wie vielen Lebensmitteln diese enthalten sind. In Süßigkeiten, Kuchenstreuseln oder sogar Wassereis." Erdnüsse werden laut dem DAAB nicht nur als Zutaten in Nahrungsmitteln verarbeitet. "Sie können auch durch gemeinsam genutzte Produktionsanlagen in Lebensmittel gelangen, die eigentlich erdnussfrei hergestellt werden", heißt es auf der DAAB-Internetseite. Auf Verpackungen und Zutatenlisten ist dies unter anderem mit "Kann Spuren von Erdnüssen" gekennzeichnet.
Der Haushalt der Familie Schröder ist seit dem Schockmoment erdnussfrei, wie die Mutter sagt. Das allein reicht nicht: Verwandte, Freunde, Eltern von Spielkameradinnen und -kameraden werden ebenfalls über die Risiken informiert. In der Kita bekommt Amy eine eigene Süßigkeitenbox; die Erzieherinnen üben den Umgang mit einem Adrenalin-Injektor, den Amy für den Notfall bei sich tragen muss. "Unsere Tochter kommt im Großen und Ganzen für ihr Alter gut mit allem zurecht. Sie weiß, dass sie aufpassen muss."
Die heute Fünfjährige kommt in diesem Jahr in die Schule – "und wir haben die große Hoffnung, die Erdnussallergie dauerhaft in den Griff zu bekommen", sagt ihre Mutter. Diese Hoffnung ist laut Petra Kaiser-Labusch, Kinderpneumologin im Eltern-Kind-Zentrum am Klinikum Bremen-Mitte, berechtigt. Seit dem 1. November sei ein Mittel zugelassen, das erstmals diese Chance biete. Es funktioniert nach dem Prinzip der Hyposensibilisierung, die bei anderen Allergien erprobt ist. Ziel ist es, die Toleranz gegenüber Erdnüssen beziehungsweise Bestandteilen zu erhöhen. "Ein riesiger Fortschritt", sagt die Ärztin.
Amy hat Ende November mit der Behandlung begonnen. Das Mittel ist ein Pulver mit Erdnussprotein, das vor der Einnahme in einen Joghurt, Püree oder ähnlich Breiartiges gerührt wird. "Die Gabe muss täglich und über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren erfolgen. Die Protein-Dosis wird in mehreren Phasen über das erste halbe Jahr immer weiter erhöht", erklärt Kaiser-Labusch. Nach den sechs Monaten seien die Kinder in der Erhaltungstherapie angelangt; dann entspreche die tägliche Dosis etwa einer halben Erdnuss. "Der Körper zeigt dann in der überwiegenden Mehrheit keine heftigen Reaktionen mehr", so die Ärztin.
Spuren von Erdnüssen werden toleriert
Einen Freifahrtschein für Erdnüsse, Erdnussbutter oder andere Erdnuss-Produkte bedeutet die Immuntherapie aber nicht, betont Randolf Brehler, Leiter des Bereichs Allergologie, Berufsdermatologie und Umweltmedizin am Universitätsklinikum Münster (UKM), in einer Pressemitteilung. Eine komplette Unempfindlichkeit für das Allergen werde nicht erreicht. "Vor allem Lebensmittel, die Spuren von Erdnüssen enthalten, können wieder toleriert werden – so können die unbeabsichtigten Erdnussallergie-Reaktionen, die teils lebensbedrohlich sind, milder und weniger gefährlich sein."
Für die jungen Patienten und deren Eltern sei das gerade auch psychisch eine riesige Erleichterung, betont die Bremer Ärztin. Das kann Maria Schröder bestätigen: "Die Sorge ist immer da. Wenn die Therapie funktioniert, trägt das sicher zu einem entspannteren Gefühl bei." Aktuell gibt es die Therapie nur für Kinder und Jugendliche von vier bis 17 Jahren, bei Erwachsenen wurde bislang keine ausreichende Wirkung belegt, wie es in der Mitteilung des UKM heißt.