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Bremer Baumeister Historische Arbeit über Lüder Rutenberg

Eigentlich hatte Michael Weisser vor, das Leben von Lüder Rutenberg als Kunstprojekt zu erforschen. Herausgekommen ist dabei aber viel mehr.
30.12.2022, 05:00 Uhr
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Von Britta Kluth

Mehr als 18 Monate beschäftigte sich der in Köln, Bonn und Marburg studierte Kunsthistoriker und Medienkünstler Michael Weisser aus Bremen mit dem Leben und dem Werk von Lüder Rutenberg (1816-1890). Herausgekommen sind ein digitales Archiv mit mehr als 28.500 Dokumenten und eine 656 Seiten umfassende Publikation mit mehr als 1000 Abbildungen. Das Buch wird im Frühjahr 2023 im Isensee Verlag veröffentlicht.

Herr Weisser, wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Ausgangspunkt war mein Kunst-Projekt zum Riensberger Friedhof, das zum Buch über die Bremer Familie Leisewitz führte und mich anschließend zu Lüder Rutenberg brachte. Dabei geht es mir nicht nur um den Baumeister selbst, sondern auch um dessen Arbeitsumfeld, um den Ausbau der Vorstadt mit der Ausbildung des Bremer Hauses. Rutenberg hat den Wandel vom Maurermeister über den Baumeister zum Unternehmer gemacht und damit den Wandel vom Handwerk zur industriellen Massenproduktion im 19. Jahrhundert vollzogen.

Was macht Lüder Rutenberg aus?

Er ist aus berechtigten Gründen als der bedeutendste Baumeister Bremens im 19. Jahrhundert zu bezeichnen. Es ist die gewaltige Dimension, in der Rutenberg damals gearbeitet hat, es ist die Vielfalt seiner Projekte und es ist sein strategisches Vorgehen, seine Analyse von städtebaulichen Veränderungen und deren wirtschaftlichem Potenzial. Drei Projekte prägten sein Leben und Werk: der Bau der Kunsthalle, deren Ausschreibung er im Alter von 31 Jahren – noch bevor ihm der Titel des Maurermeisters verliehen war – gewann und der ihn strategisch sehr wirksam positionierte. Dann die Anlage der Mathildenstraße, die ihn als Baumeister qualifizierte. Und die Gründung der „Kaiserbrauerei Beck & Co.“, die ihn als Unternehmer wirtschaftlich erfolgreich machte.

Was war Lüder Rutenberg für ein Mensch?

Rutenberg war ein eigenwilliger, konsequenter und stets nach Herausforderungen suchender Mann. Seine Projekte steigerten sich von Mal zu Mal. Er begann als Maurergeselle bei seinem Vater, machte seine Erfahrungen auf der Wanderschaft durch Europa, begann von ersten Ersparnissen Grundstücke zu kaufen, diese auf eigene Rechnung zu bebauen und die Häuser zu verkaufen. Er hatte Erfolg, er war offensichtlich gut und er war durch seine Familie und seine Arbeit bestens vernetzt. Der Bau der Kunsthalle im Auftrag des Bremer Kunstvereins brachte ihm die wichtigen Kontakte zur Politik, zu den Kaufleuten, den Unternehmern und dem wohlhabenden Bildungsbürgertum. Er war kreditwürdig und Zeit seines Lebens zahlungsfähig. Von seinem Vater hatte er gelernt, dass Grund und Boden der einzig bleibende Wert ist, was sich in der großen Wirtschaftskrise der frühen 1870er-Jahre bewahrheitete.

Inwieweit prägte er das Bild unserer Stadt?

Rutenberg hat wesentlich die Planung der Bremer Vorstadt im Bereich Fesenfeld und Pagentorn umgesetzt und dabei eine sehr solide Bauästhetik entwickelt, die bis heute das Stadtbild mit dem Bremer Haus und der Vorgartenkultur prägt. Er entwickelte Straßenzüge wie die Pagentornerstraße, die Rutenstraße, die Mathildenstraße, die Besselstraße und die Herderstraße. Er baute in der Kohlhökerstraße, Auf den Häfen, in der Humboldtstraße, Am Dobben und am Osterdeich sowie an zahlreichen anderen Orten. Sein besonderes Talent war es, kleine Parzellen von Gemüseland zu erwerben, diese als Baugrundstücke an den Seiten einer neuen Straße anzulegen, mit Reihen von Wohnhäusern auszustatten und diese bestmöglichst zu verkaufen.

Sie haben Ihre Informationen und Bilder nicht nur aus Archiven, sondern zeigen auch den aktuellen Zustand von Häusern außen und innen – wie kam es dabei zum Kontakt mit den Bewohnern?

In die Häuser zu kommen und dort die Treppenhäuser und sogar in den Wohnungen die reichhaltige Ornamentik zu fotografieren, war der wohl schwierigste Teil meiner Arbeit. Ich habe nie spontan geklingelt, sondern mir die Namen notiert und die Bewohner persönlich per Brief angeschrieben. Das war aber nur mäßig erfolgreich. Am besten war der persönliche Kontakt, der sich ergab, wenn ich von Bewohnern auf der Straße fotografierend angesprochen wurde. Dann kamen wir ins Gespräch, und die meisten haben mich freundlich eingeladen, mit in das Haus und in die Wohnung zu kommen. Nur auf diesem Weg war es möglich, an die Bilder zu kommen, die das Buch auf aktuelle Weise interessant machen. Dabei hat mich das unglaubliches Engagement und die große Freude bei den Eigentümern überrascht, die Form und Ausstattung ihrer Häuser trotz der Kosten zu bewahren.

Wie beurteilen Sie rückblickend Ihre Arbeit?

Eigentlich war die Erforschung des Lebens von Lüder Rutenberg als Kunstprojekt angesetzt, bei dem ich herausfinden wollte, inwieweit sich die emotionale Wahrnehmung im Verlauf einer wissenschaftlich exakten Forschung verändert. Dann bin ich auf viele Ungereimtheiten und Fehler der bestehenden Literatur gestoßen und es hat mich gepackt. Ich bin in die historischen Quellen, die Akten, Baupläne, Anträge, Lassungen und Korrespondenzen, Bürgerschaftsdebatten, Ratsprotokolle und Verordnungen eingetaucht. So entstand ein sehr umfangreiches digitales Archiv, aus dem ich die Geschichten der vielen Rutenberg-Projekte schreiben konnte. Dabei haben sich viele Überraschungen ergeben und die Vielfalt der Ambitionen von Rutenberg erwies sich als verblüffend. Insgesamt war es eine mitreißende Arbeit, die aber noch eine andere Wirkung hatte. Denn im Fall der Erforschung eines Themas ist der Blick normalerweise auf das Ergebnis gerichtet. Für mich war aber in gleicher Weise der Arbeitsprozess von Bedeutung und dazu die Frage: Wie verändere ich mich physisch und psychisch, wenn ich mich über eineinhalb Jahre hinweg mit acht Stunden pro Tag und an mindestens fünf Tagen in der Woche vollkommen auf ein Thema konzentriere. Man nimmt so ein Thema zwangsläufig mit ins Wochenende und in die Träume und man beginnt zunehmend darin zu leben.

Sie haben so viel Material zusammengefasst – genug für eine Ausstellung im nächsten Jahr?

Lüder Rutenberg hat ganz sicher eine Hommage verdient. Abgesehen von meiner künstlerischen Umsetzung wäre es schön, wenn er eine angemessene Würdigung durch eine Ausstellung in Bremen erhält.

Das Gespräch führte Britta Kluth.

Info

Mehr Informationen zum Projekt auf www.rice.de/rutenberg.

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