Momentan gilt das Impfzertifikat für ein Jahr. Aber hält so lange auch der Impfschutz?
Sebastian Springer: Das sind alles Dinge, zu denen man im Augenblick noch keine wissenschaftlich gut fundierten Aussagen machen kann. Weil es noch keine groß angelegten Studien zu dem Thema gibt. Eine Pandemie mit einem neuen Erreger ist gewissermaßen eine Art von Blindflug. Sicher ist, dass der Impfschutz bei verschiedenen Menschen unterschiedlich lange halten kann. Es ist also gut möglich, dass Menschen nach einer zweifachen Impfung für 20 Jahre gut geschützt sind. Es ist auch denkbar, dass man durch die Mutationen des Virus in Zukunft jedes Jahr nachimpfen muss. So ist es bei Influenza ja auch der Fall mit der jährlichen Grippeimpfung. Das ist für SARS-CoV-2 noch nicht so ganz verstanden.
Wie kann man den Impfschutz messen?
Der Grund, dass man momentan nach sechs Monaten wieder impfen – also boostern – will, liegt daran, dass bei bestimmten Menschen das Antikörper-Niveau (Level) abnimmt. Das ist aber total natürlich, das passiert bei jeder normalen Immunantwort. Der Körper entwickelt ja zudem Gedächtniszellen statt der zirkulierenden Antikörper. Wenn die Antikörper abnehmen, muss das nicht unbedingt heißen, dass der Impfschutz abnimmt. Dazu kommt, dass am Impfschutz nicht nur die Antikörper beteiligt sind, sondern auch die T-Zellen. Die sind allerdings viel schwerer zu messen. Ob die T-Zell-Antwort nach ein paar Monaten zurückgeht, kann derzeit kein Mensch sagen. Was man weiß: Wenn die Antikörper nicht so gut gegen eine Virusvariante funktionieren, dann sind die T-Zellen trotzdem aktiv und reaktiv.
Kommt es vermehrt zu Impfdurchbrüchen, weil der Impfschutz abnimmt?
Das kann man derzeit nicht in Verbindung bringen. Das Wort Impfdurchbruch ist schon ein Fachausdruck, aber es klingt ein bisschen danach, als würde der Deich brechen und alles wird überschwemmt. Die Annahme, dass eine Impfung bei einem Durchbruch nicht wirksam ist, ist aber total falsch. Sie haben vier wichtige Parameter: Die Ansteckung, die Einweisung ins Krankenhaus (Hospitalisierung), das Versterben durch Corona oder, dass ein Patient die Corona-Infektion überlebt, aber Long Covid bekommt. Mit allen Impfungen, die derzeit in Deutschland zugelassen sind, werden alle vier Parameter deutlich reduziert. Jeder einzelne. Es gibt weniger Infektionen, weniger Menschen im Krankenhaus und auf den Intensivstationen, es sterben weniger Menschen und auch die Chance Long COVID zu bekommen, ist deutlich verringert.
Gibt es Unterschiede bei der Wirksamkeit durch Vektor-Impfstoffe (Astra-Zeneca, Johnson & Johnson) oder mRNA-Technologie (Biontech, Moderna)?
Wie lange ein Impfschutz anhält, kann man im Moment nicht sagen. Es gibt offenbar geringe Unterschiede bei der Wirksamkeit, aber die sind auch von Person zu Person stark verschieden. Ich kenne da nicht einmal Anhaltspunkte, weil die Datenlage auch noch recht mager ist. Deswegen sagt man, wir nehmen das schlechtestmöglichste Szenario und fordern die Menschen auf, sich erneut impfen zu lassen. Wenn wir uns irren, dann in die gute Richtung.
Das Gerücht kursiert, dass nach einer Impfung mit Johnson & Johnson der Schutz nach einem halben Jahr bei gerade einmal noch zehn Prozent ist. Stimmt das?
Ich habe das noch einmal in amerikanischen Quellen nachgeschaut. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Die Wirksamkeit nach einer Gabe von Johnson & Johnson ist ziemlich hoch.
Wie gut sind Totimpfstoffe?
Die Daten aus den klinischen Versuchsreihen zu dem Totimpfstoff von Novavax sehen wirklich hervorragend aus. Zudem er im Kühlschrank aufbewahrt werden kann und nicht eingefroren werden muss. Das hat vor allem in Entwicklungsländern ganz massive Vorteile. Der Totimpfstoff ist eine extrem gute Nachricht für die Menschheit.