Für seinen Hinweis auf die Maskenpflicht in der Straßenbahn hat Thorsten Lieder Prügel kassiert. Der Bericht im WESER-KURIER über den Angriff auf den Geschäftsführer der Bremer Gastro-Gemeinschaft hat bei einigen Personen aus unserer Leserschaft ein Déjà-vu ausgelöst: Viele, die sich Sorgen um ihre eigene und die Gesundheit ihrer Mitmenschen machen, trauen sich schon länger nicht mehr, andere Fahrgäste im ÖPNV auf fehlende oder unter der Nase hängende Masken hinzuweisen. "Ganz viele Menschen halten den Mund, weil sie Angst haben", sagt Hans-Ulrich Otte (66) aus Alt-Osterholz.
Er hat seine Erfahrungen gemacht und sich – wie andere – in einem Leserbrief geäußert. Während des Freimarktes habe er "eine ähnliche Situation" wie Thomas Lieder erlebt. Als er einen Mann gebeten habe, eine Maske aufzusetzen, hätten er und seine Mitfahrer schnell andere Fahrgäste gegen sich gehabt. „Wir sind als Nazis beschimpft worden.“ Und es gab kein Ausweichen. „Es war der letzte Bus zur Heimfahrt, deshalb haben wir irgendwann einfach nichts mehr gesagt – bevor wir jetzt noch Schläge bekommen", erzählt Hans-Ulrich Otte. Er hätte sich gerade auch zur Freimarkt-Zeit gewünscht, dass das Ordnungsamt "die Gesundheit der Fahrgäste in Bussen und Bahnen" stärker im Blick hätte. "Man fühlt sich allein gelassen.“
Wer Regeln aufstellt, muss auch ihre Einhaltung überprüfen. Nicht nur Otte ärgert sich darüber, dass andernfalls der Eindruck eines "rechtsfreien Raumes" entsteht. Thorsten Lieder, der täglich mit der Bahn unterwegs ist, erinnert sich daran, dass noch zu Beginn der Pandemie manches anders gewesen sei: "Früher bin ich dreimal in der Woche in Fahrausweiskontrollen geraten. Kontrollen der Mund-Nase-Bedeckung habe ich noch nie erlebt." Er ist überzeugt davon, dass das eine negative Entwicklung eher verstärkt: "Wenn man etwas anordnet und den Verstoß als Ordnungswidrigkeit benennt, aber die Einhaltung nicht kontrolliert, dann bringt man den Menschen bei, dass Regeln keine Rolle spielen, und nicht, dass sich alle gleichermaßen daran halten müssen."
Leserin Inse Kempe wiederum will sich gar nicht erst ärgern und hat ihre eigene Strategie. "Ich verschenke manchmal Masken in der Straßenbahn", sagt sie. Damit habe sie sehr gute Erfahrungen gemacht.
Was sich Fahrgäste wünschen, sind unter anderem Händedesinfektionsspender mit ungefährlicher, nicht brennbarer Füllung in den Fahrzeugen. Die Fortsetzung der vielleicht auch mehrsprachigen Durchsagen, die auf die Maskenpflicht hinweisen, nach breiter Wahrnehmung aber weitgehend verstummt oder leicht zu ignorieren sind. Kunden der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) haben ihre Forderungen häufig benannt. Die nach mehr Kontrollen werden erst laut, seit sich Fahrgäste unnötig Gefahren ausgesetzt sehen – und das Gefühl der Ohnmacht und Unsicherheit um sich greift: Wie lässt sich das Recht auf Gleichbehandlung aller zum Wohle aller Fahrgäste durchsetzen, wenn sich BSAG-Beschäftigte nicht dafür einsetzen und wenn Ordnungs- oder Sicherheitskräfte keine Präsenz zeigen?
Innenressort kündigt gemeinsame Kontrollen an – stichprobenartig
Der Einsatz einer Reinigungsfirma, die während der Fahrt Haltestangen, Griffe und anderes sauber hielt, dauerte kaum länger, als eine Imagekampagne braucht, um wahrgenommen zu werden. Die von BSAG-Kontrolleuren als "Erfolgsgeschichte" bezeichneten gemeinsamen Einsätze mit Beschäftigten des Ordnungsamts schienen Geschichte zu sein. Jetzt teilt das Innenressort mit, seit Oktober gebe es "regelmäßig" gemeinsame Kontrollen mit BSAG-Kräften – wie im vergangenen Herbst und Winter. Da sich die Menschen in der kalten Jahreszeit häufiger in geschlossenen Räumen aufhielten, "steigt zudem die Infektionsgefahr insgesamt". Wegen der vielen weiteren Aufgaben, die der Ordnungsdienst habe, bleibe die Maskenkontrolle allerdings auf Stichproben beschränkt.
Kontrollen seien aus personellen Gründen nur punktuell möglich, heißt es auch seitens der BSAG. "Natürlich sind wir uns der Verantwortung für ihre Fahrgäste bewusst", bekräftigt Unternehmenssprecher Andreas Holling. "Daher arbeiten wir eng mit der Polizei zusammen." Bei Kontrollen werde "konsequent" auf Verstöße hingewiesen, "im Bedarfsfall geben wir Masken aus." Die Kontrollen "stoßen bei unseren Fahrgästen auf hohe Akzeptanz", sagt Holling. Wer sich konsequent weigere, Maske zu tragen, werde des Fahrzeugs verwiesen. Im Zweifelsfall sollten Fahrgäste die Polizei rufen und sich nicht in Gefahr bringen.
50 Euro Bußgeld werden fällig, wenn jemand die Maskenpflicht im ÖPNV missachtet und in eine Kontrolle gerät. Im Nahverkehr werden Maskenverweigerer an Bahnhöfen mit Unterstützung der Bundespolizei sogar gelegentlich aus dem Zug geholt. Wobei keine Statistik erfasst, wer da besonders oft ohne Maske im ÖPNV unterwegs ist – ob nun alkoholisierte Mittvierziger oder, wie häufig beobachtet, Jugendliche, mit oder ohne Migrationshintergrund, die sich provoziert fühlen, wenn sie auf die fehlende Maske angesprochen werden.
Nach Angaben der BSAG hat sich die Zahl der gemeldeten Fälle von Streitigkeiten unter Fahrgästen von 2019 auf 2020 in etwa verdreifacht – auf einen Fall pro 141.500 Fahrten. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor, und die Dunkelziffer dürfte nach allgemeiner Erfahrung hoch sein. Die Mehrheit der Fahrgäste mit Maske riskiert gar nicht erst, beleidigt oder sogar geschlagen zu werden.
Eine Stellungnahme des Verkehrsressorts steht noch aus.