Wie steht es um das Sicherheitsgefühl in Bussen und Straßenbahnen? Diese Frage stellt sich nach einem gewaltsamen Übergriff in Osterholz erneut. Betroffen war diesmal ein bekannter Akteur aus der örtlichen Kneipenszene. Thorsten Lieder, Geschäftsführer der Bremer Gastro-Gemeinschaft (BGG), hat am Mittwochabend in der Straßenbahnlinie 1 Schläge einstecken müssen.
Nach seiner Darstellung begann der Konflikt damit, dass er in Begleitung seiner Frau eine Gruppe jugendlicher Maskenverweigerer ansprach und sie aufforderte, sich den Corona-Regeln entsprechend zu verhalten. An der nächsten Haltestelle stiegen sieben der jungen Männer aus, "einer blieb provokant vor uns stehen. Per Telefon ließ er die anderen wissen, er wolle herausfinden, wo wir wohnen", berichtet Lieder. Als er und seine Frau an der Ellenerbrokstraße ausstiegen, habe ihn dieser Jugendliche mit einer unbekannten Flüssigkeit übergossen. Das habe er sich nicht bieten lassen wollen und sei wieder eingestiegen, um den Übeltäter festzuhalten, schildert Lieder den weiteren Verlauf. An der nächsten Haltestelle sei der junge Mann dann aus der Bahn gesprungen, nicht ohne vorher noch ein paar Fausthiebe in Lieders Gesicht auszuteilen.
Polizei empfiehlt Lieder, im ÖPNV immer vorne zu sitzen
Noch benommen, verständigte Thorsten Lieder um 21.17 Uhr über den Notruf die Polizei und bat um einen Streifenwagen. Doch erst nach drei weiteren Anrufen und fast einer Stunde Wartezeit seien die Beamten in Osterholz erschienen, so schildert es der Gastro-Funktionär. Sie hätten sich für die lange Wartezeit entschuldigt, ihn über seine Rechte aufgeklärt und ihm geraten, in öffentlichen Verkehrsmitteln "immer vorn zu sitzen". Lieder: "Dieser Ratschlag hat mich trotz Kopfschmerzen zum Schmunzeln gebracht. Die fahren wohl nie Bahn."
Der gewalttätige Übergriff in der Linie 1 hat Thorsten Lieder in der Wahrnehmung bestärkt, dass man sich um die Sicherheit in der Stadt Sorgen machen muss. "Junge Cliquen und Clans übernehmen den öffentlichen Raum, brechen alle Regeln, die ihnen missfallen, und schaffen ihr eigenes Recht. Das muss aufhören!", sagt Lieder und fährt fort: "Mir ist bewusst, dass zu den Maßnahmen auch Bildung, Integration und Chancenvielfalt gehören, aber eben auch ein klarer Blick auf Rechtsstaat und Spielregeln der Gesellschaft."
Der Sprecher der Bremer Straßenbahn AG, Andreas Holling, bedauert den Übergriff. "Fälle wie dieser sind erschütternd", sagt er. Tatsächlich habe es vor dem Hintergrund der Covid-Pandemie eine Zunahme von Auseinandersetzungen zwischen Fahrgästen oder auch zwischen Passagieren und BSAG-Aufsichtspersonal gegeben. Auslöser seien häufig Verstöße gegen die Maskenpflicht. Holling nennt Zahlen. Habe es im Jahr 2019 bei insgesamt 138 Millionen Fahrgästen 400 erfasste Streitigkeiten zwischen Fahrgästen gegeben, so seien es 2021 bei 92 Millionen Fahrgästen 650 registrierte Fälle gewesen. Bei rund der Hälfte ging es um nicht getragene Masken.
Letztlich, so Holling, sei das, was sich im öffentlichen Nahverkehr abspielt, ein Teil der gesellschaftlichen Realität. Der BSAG-Sprecher verweist auf die Kriminalstatistik für das vergangene Jahr und den darin verzeichneten Anstieg bei Fällen von Körperverletzung und Bedrohung. Das Unternehmen setze vor diesem Hintergrund schon länger auf wechselnden Linien neben den Fahrausweisprüfern auf Sicherheitspersonal ein. "Klar ist aber auch, dass eine Mitfahrt von Security bei Hunderten von Fahrten tagtäglich immer nur punktuell erfolgen kann", so Holling.
Die Polizei hat den Vorfall auf Anfrage des WESER-KURIER am Freitag bestätigt – auch den Umstand, dass ein Streifenwagen erst eine knappe Stunde nach Lieders Anruf am Ort des Geschehens eintraf. "Aufgrund einer erhöhten Gefährdungslage" hätten andere Einsätze im Bremer Osten priorisiert werden müssen, so Sprecher Bastian Demann.