Auch vollständig Geimpfte können sich mit dem Coronavirus oder etwa der Delta-Variante infizieren und Covid-Symptome entwickeln. „Das heißt aber nicht, dass die Impfstoffe nicht wirken, im Gegenteil. Nur die vollständige Impfung schützt effektiv und umfangreich vor einem schweren Krankheitsverlauf von Covid-19, das ist das wesentliche Merkmal. Und das trifft nach aktuellen wissenschaftlichen Daten auf alle in Deutschland zugelassenen Impfstoffe zu“, sagt Sebastian Springer, Professor für molekulare Immunologie an der Jacobs University Bremen. Er warnt vor Nachlässigkeit beim vollständigen Impfschutz.
Zum Stichtag 4. Juli verfügten rund 25 Millionen Menschen laut Robert Koch-Institut über vollständigen Impfschutz. Laut RKI sind bislang bei 3806 Menschen in Deutschland symptomatische Infektionen zwei Wochen nach vollständiger Impfung registriert worden – bei etwa 975.000 Erkrankungen insgesamt im selben Zeitraum. Das entspricht 0,39 Prozent.
Für Bremen liegen dazu keine Zahlen vor, eine Auswertung sei in Arbeit, sagt der Sprecher der Gesundheitsbehörde, Lukas Fuhrmann. „Es würde uns aber sehr überraschen, wenn sie deutlich darüber lägen.“ Laut einer Sonderauswertung des Landesgesundheitsamtes für den Zeitraum vom 1. Januar bis 25. Juni liegt der Anteil in Niedersachsen bei 0,17 Prozent – das sind 261 von 150.964 Fällen in diesem Zeitraum. Das RKI stuft die Effektivität der Impfung auch aufgrund der bundesweiten Werte als hoch ein. Das Institut schätzt, dass die Wirksamkeit aller Impfstoffe bei etwas mehr als 90 Prozent liegt.
„Worum es bei Impfungen immer geht, ist der Schutz vor schweren Verläufen und Krankenhausaufenthalten. Es gibt nur wenige Impfstoffe, die 100 Prozent wirksam sind, insofern zeigen Werte um oder über 90 Prozent eine sehr hohe Effektivität", sagt Springer. Das israelische Gesundheitsministerium hatte kürzlich Daten veröffentlicht, wonach der Biontech-Impfstoff wegen der Delta-Variante noch zu 64 Prozent vor einer Infektion schütze – der Schutz vor einer schweren Erkrankung und Klinikaufenthalten sei mit 93 Prozent weiter hoch.
„Zwischen Infektion und schwerem Krankheitsverlauf muss man unterscheiden“, betont Springer. Es könne und werde weiterhin auch bei Geimpften zu Infektionen kommen. „Der entscheidende Unterschied durch die Impfung ist aber, dass das Immunsystem ganz schnell in der Lage ist zu reagieren und den Angreifer wieder loszuwerden – und damit in den meisten Fällen schwere Verläufe zu verhindern.“ Diese Effektivität werde nur bei vollständiger Impfung erreicht, das zeigten Studien. So etwa vom französischen Institut Pasteur, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet: Danach ist die zweite Dosis bei den Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Astra-Zeneca entscheidend für einen wirksamen Schutz gegen die kursierenden Varianten des Virus. Nach nur einer Spritze führe nur jede zehnte Impfung zu einer ausreichenden Konzentration von Antikörpern.
„Menschen, die nicht geimpft sind, werden weiterhin sehr gefährdet sein“, warnt Springer. Hinzu komme: Je mehr Ungeimpfte oder nicht vollständig Geimpfte es gebe, desto größer sei das Risiko für neue Varianten. Es gehe darum, die Menge der Viren in der Bevölkerung gering zu halten – „und zwar weltweit“, so Springer.
Derzeit sei das Impftempo, gerade bei Zweitimpfungen sehr hoch, sagt Behördensprecher Fuhrmann. Mobile Impfangebote sollen ausgeweitet werden. Im Land Bremen sind laut RKI 43 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, 67 Prozent haben die erste Spritze erhalten.
Bund und Länder bereiten sich unterdessen laut Bundesregierung auf Auffrischungsimpfungen vor. Die Hersteller Biontech/Pfizer hatten mitgeteilt, dass sie von einem Rückgang der Schutzwirkung nach einem halben Jahr ausgingen. Auf Basis aktuell vorliegender Daten sei es wahrscheinlich, „dass eine dritte Dosis innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach der vollständigen Impfung erforderlich sein wird“.
Der Impfstoff von Astra-Zeneca ist momentan wenig nachgefragt: In den Bremer Impfzentren gebe es 21.934 ungenutzte Dosen, wie die Gesundheitsbehörde mitteilt. Ein Grund sei die Kreuzimpfung. Das Bundesgesundheitsministerium frage derzeit die Zahlen der ungenutzten Dosen in den Ländern ab. „Eine sehr gute Option wäre es, diese so schnell wie möglich zu spenden“, so Fuhrmann. Auch in den Arztpraxen ist die Nachfrage nach diesem Vakzin laut der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen praktisch auf Null gesunken.