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Impfpflicht oder nicht? Die letzten paar Prozente

Alle Impfwilligen werden bald geimpft sein. Das Gesundheitsressort geht dabei von einer Quote von knapp über 70 Prozent aus. Die Herdenimmunität soll aber erst bei 80 bis 85 Prozent erreicht sein. Und nun?
01.07.2021, 11:07 Uhr
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Die letzten paar Prozente
Von Marc Hagedorn

Die magische Grenze ist 70 plus. 70 Prozent plus vielleicht noch zwei oder drei Prozentpunkte mehr. Das ist der Wert, den Bremen in den nächsten Wochen bei der Impfquote erreichen wird, alle Impffähigen und Impfwilligen werden dann mindestens einmal geimpft sein.

Lukas Fuhrmann, Sprecher der Gesundheitsbehörde, rechnet von 100 ausgehend vor, wie dieser Wert zustande kommt: Fünf Prozent der Bremerinnen und Bremer sind in den vergangenen sechs Monaten genesen, sie müssen aktuell nicht geimpft werden. 15 Prozent, so die Annahme, wollen und werden sich nicht impfen lassen, weil sie es ablehnen. Bleibt die Gruppe der Kinder und Jugendlichen, sie macht in Bremen 14 Prozent aus. „Da es für Kinder ab zwölf zwar die Zulassung für den Biontech-Impfstoff gibt, aber noch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission Stiko, wird es schwer, auf eine Impfquote von deutlich über 70 Prozent zu kommen“, sagt Fuhrmann.

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Bei rund 62 Prozent liegt die Quote der zumindest einmal Geimpften im Moment. Bremen ist damit führend unter allen Bundesländern. Früher oder später werden alle Länder an den Punkt kommen, an dem alle Impfwilligen geimpft sind. Und dann? Um eine sogenannte Herdenimmunität zu erreichen, schätzen Experten, dass zwischen 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung geimpft sein müssten. Wie aber soll diese Zahl erreicht werden? Darüber wird in diesen Tagen kontrovers diskutiert.

Mit einer allgemeinen Impfpflicht rechnet das Bremer Gesundheitsressort nicht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte eine Impfpflicht schon zum Start der Impfkampagne Ende des vergangenen Jahres ausgeschlossen. Auch der Deutsche Ethikrat hatte sich gegen eine allgemeine Verpflichtung ausgesprochen, sondern stattdessen auf die Selbstbestimmung der Menschen gesetzt. An dieser Annahme hat sich bis heute nichts geändert. Allenfalls beim Vorliegen schwerwiegender Grün­de lasse sich für eine klar definierte Gruppe eine Impfpflicht rechtfertigen, hieß es, etwa bei Mitarbeitern, die in ständigem Kontakt mit Hochrisikopatienten stünden.

Einschränkungen für Ungeimpfte

Die Debatte, wie man möglichst viele Menschen dazu bringt, sich impfen zu lassen, wird äußerst emotional geführt. Der jüngste Vorstoß kommt von Rostocks Oberbürgermeister. „Der Alltag für Ungeimpfte muss unangenehmer sein“, sagte Claus Ruhe Madsen zu Beginn der Woche. Sein Ansatz: Für Ungeimpfte könnten Einschränkungen beim Reisen gelten und weiterhin die Testpflicht beim Besuch von Veranstaltungen und Einrichtungen. So könnten sie ihre ablehnende Haltung zum Impfen vielleicht aufgeben.

Der Deutsche Ethikrat findet eine solche Haltung und Vorgehensweise problematisch. Der MDR zitiert den Humangenetiker Wolfram Henn. „So formuliert geht das sicherlich zu weit“, sagte Henn, der Mitglied im Ethikrat ist. Allerdings sagte Henn auch: „Auf jeden Fall ist angesichts der neuen Delta-Variante medizinisch klar: Wer sich nicht impfen lässt, handelt unklug für sich selber und unsolidarisch gegenüber anderen.“

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Genau an diesem Punkt könnte so etwas wie eine „gefühlte Impfpflicht“ ins Spiel kommen. Dafür würde dann nicht der Staat sorgen, sondern das soziale Umfeld. Henn führt aus: „Wer sich und andere nicht schützen will, muss damit rechnen, dass sich andere, mit legitimen Mitteln natürlich, vor ihm schützen.“ Konkret würde das bedeuten: Aus Sorge um ihre Mitarbeiter und die Gesundheit der Kunden und Gäste könnten beispielsweise Betreiber von Restaurants, Kinos oder Fitnessstudios nur Geimpfte einlassen, also bei Ungeimpften von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und quasi Hausverbote aussprechen.

Dank für die Geduld

Ein anderer Ansatz wäre, in mehreren Ländern schon erprobt, Anreize für diejenigen zu schaffen, die zögern, sich impfen zu lassen. In Griechenland hat der Ministerpräsident erst Anfang der Woche angekündigt, dass junge Leute nach ihrer Erstimpfung eine Bezahlkarte im Wert von 150 Euro bekommen. Die so genannte Freiheitskarte sei als Dank für die Geduld der jungen Menschen während der Pandemie gedacht, aber auch als Anreiz, sich impfen zu lassen, sagte Kyriakos Mitsotakis. Zuvor hatte es in den USA, Israel oder Australien schon verschiedene andere Formen der Belohnung vom Freibier über den Joint bis zum Lotterie-Los gegeben.

Im Bremer Gesundheitsressort hält man nicht allzu viel von solchen Ideen. „Wir haben bisher keine Hinweise darauf, dass es eine große Verweigerungshaltung in der Bevölkerung gibt“, sagt Behördensprecher Fuhrmann, „das Problem ist zu diesem Zeitpunkt der Impfkampagne eher, dass es immer schwieriger wird, die Leute, die wollen, auch zu finden. Deshalb setzen wir weiter auf Information, Aufklärung und verstärkt auf Angebote, die besonders niedrigschwellig sind.“ Fuhrmann erinnert an die Impfangebote vor Ort, etwa in den Stadtteilen Gröpelingen, Osterholz und Huchting, die sehr gut angenommen worden seien. Auch der kurzfristig anberaumte Termin zur Impfung mit dem Wirkstoff von Johnson&Johnson habe am vergangenen Wochenende mit 1100 Impfungen gut funktioniert.

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Am Mittwoch hat das Gesundheitsressort erstmals das Impfmobil, einen entsprechend ausgerüsteten Truck, nach Vegesack zur Grohner Düne geschickt. Das Fahrzeug soll in Zukunft regelmäßig zum Einsatz kommen. „Darüber hinaus werden wir uns intensiv mit Quartiersmanagern, Ansprechpartnern in Religionsgemeinschaften und mit Vertretern von Organisationen austauschen, die mit und für Migranten arbeiten“, sagt Fuhrmann. Denn klar ist: Der Zeitpunkt, an dem es mehr Impfstoff als Impfwillige gibt, wird kommen.

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