Ernsthaftigkeit. Spricht man mit der Führung der Bremer Grünen über die Frage, wie sie ihren Bürgerschaftswahlkampf aufziehen wollen, fällt immer wieder dieser Begriff. „Wir kommen aus der Regierungsverantwortung“, sagt Landesvorstandssprecherin Alexandra Werwath. Soll heißen: Eine knallige, effekthascherische, mehr auf Form als auf Inhalte setzende Kampagne wäre unangemessen.
Das ist also die strategische Grundaussage der Parteispitze am Beginn eines Wahlkampfes, bei dem man sich ja glatt fragen könnte, ob ihn die Grünen überhaupt führen müssen. Die Umfragen suggerierten zuletzt, dass ihnen die Früchte ohne eigenes Zutun in den Schoß fallen. Eine Erhebung im Auftrag der CDU sah die Bremer Grünen im Sommer bei circa 20 Prozent, obwohl die Landespartei nach außen kein gutes Bild abgab.
Im Streit um die Listenführerschaft zwischen Finanzsenatorin Karoline Linnert und Fraktionschefin Maike Schaefer ging es heftig zur Sache. Doch der Hype um die neue Bundes-Doppelspitze Baerbock/Habeck überlagerte die Querelen komplett, und angesichts von Talkshow-Debatten über die neue „grüne Volkspartei“ deutet vorerst nichts darauf hin, dass die Erfolgswelle in Bund und Land ein baldiges Ende finden könnte.
Hermann Kuhn ist der Höhenflug seiner Partei indes nicht ganz geheuer. Der 73-Jährige hat schon zu viel Auf und Ab in der Politik erlebt, als dass er sich der aktuellen Euphorie im grünen Lager unbeschwert hingeben könnte. „Es wäre ein schlechter Rat, dass wir uns jetzt zurücklehnen dürfen“, sagt Werwaths Co-Vorsitzender. Nach seiner Wahrnehmung gibt es „eine hohe Fluktuation im bürgerlichen Lager“, zu denen er die Grünen offenbar zählt.
Und das heißt für ihn: Wenn seiner Partei derzeit die Herzen zufliegen, kann das in einem halben Jahr schon wieder ganz anders sein. Landespolitische Probleme gebe es ja immer noch genug. „Es haben sich bei den Menschen Unzufriedenheiten angesammelt“, sagt Kuhn. Vieles davon habe mit den Sparzwängen zu tun, denen der Senat in den vergangenen Jahren ausgesetzt war. Die öffentliche Verwaltung sei personell an vielen Stellen zu schlecht ausgestattet, wie sich beispielsweise am Antragsstau in der Elterngeldstelle gezeigt habe. „Das Riesenprojekt Inklusion ist auf Kante genäht“, setzt Kuhn die Aufzählung fort. „Das sind Alltagserfahrungen der Leute, mit denen wir konfrontiert werden.“
Weitere zentrale Botschaften
Eine nachhaltige Finanzpolitik, die das Wünschenswerte mit dem Machbaren austariert und Karoline Linnerts Markenzeichen war, werde im bevorstehenden Wahlkampf gleichwohl zu den Grundaussagen der Grünen gehören. Weitere zentrale Botschaften: der Umwelt- und Klimaschutz, die Verbundenheit mit Europa, die Wahrung von Demokratie und politischer Kultur und der Zusammenhalt in einer vielfältigen Gesellschaft.
Auf Spitzenkandidatin Maike Schaefer kommt die Aufgabe zu, diese Positionen gut zu verkaufen. Anders als Linnert, die über viele Jahre das Gesicht der Bremer Grünen war, muss sich die 47-Jährige aber erst einmal Wahrnehmung und Resonanz in breiten Wählerschichten verschaffen. „Wir wissen um den Bekanntheitsgrad von Maike Schaefer“, sagt Alexandra Werwath. Einer Umfrage von Infratest-Dimap im Auftrag des WESER-KURIER war im Mai zu entnehmen, dass Schaefer nur einem knappen Drittel der Bremer überhaupt bekannt ist.
Dass sie mit Schaefer inhaltlich etwas verbinden können, trifft wohl auf noch deutlich weniger zu. Also werde es in den nächsten Monaten auch darum gehen, die Spitzenfrau mit den Menschen in den Stadtteilen ins Gespräch zu bringen. „Maikes Stärke ist es, im Dialog Dinge auf den Punkt zu bringen“, preist Werwath die Qualitäten der promovierten Biologin, die nach der Wahl als Umweltsenatorin auf Joachim Lohse folgen soll. Überhaupt werde Dialog das Kennzeichen der grünen Veranstaltungsformate sein. Werwath: „Es soll deutlich werden, dass wir den Menschen zuhören wollen.“
In Szene setzen soll das Ganze die im Viertel ansässige „Agentur im Turm“. Deren Chef Ulrich Schwecke ist den Grünen schon länger verbunden. Auf ihn geht die „Lieber nicht“-Kampagne aus dem Wahlkampf 1991 zurück, mit der die Partei seinerzeit den „Lieber Klaus“-Slogan – gemeint war der damalige Bürgermeister Klaus Wedemeyer – der SPD konterkarierte. Zuletzt zeichnete die „Agentur im Turm“ für das im Straßenbild allgegenwärtige „Moin“ verantwortlich, mit dem sich die neuformierte Bremer Stadtreinigung bekannt machte. „Ulli Schwecke weiß, wie die Bremer ticken“, ist sich Hermann Kuhn sicher.
Finanziell sind die Grünen im Wahlkampf nicht auf Rosen gebettet. Ihr Etat liegt bei rund 200 000 Euro. Das ist weniger, als etwa die FDP zur Verfügung hat, von den Hauptkontrahenten SPD und CDU ganz zu schweigen. Anders als die Liberalen können Bremens Grüne auch nicht in größerem Umfang auf Zuwendungen der Bundespartei hoffen. Die wird ihr Geld 2019 in die Landtagswahlkämpfe in Ostdeutschland stecken, wo die Grünen chronisch schwächeln. Hermann Kuhn erwartet für die Monate vor dem 26. Mai eine harte Auseinandersetzung – anders als 2015, als ein präsidial auftretender Bürgermeister Jens Böhrnsen den Schwung rausnahm. „Die Grünen werden den Streit mit dem politischen Gegner fair austragen“, beteuert Kuhn. Hart aber fair also. Ein Versprechen, das im TV auch nicht immer vollständig eingelöst wird.