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Vorstoß dreier Bremer Institutionen Kammern wollen Verfassungsrang

Die Bremer Arbeitnehmer-, Handels- und Handwerkskammern wollen als Institutionen in der Landesverfassung abgesichert werden. Ihr Vorstoß hat in der Politik ein unterschiedliches Echo ausgelöst.
21.02.2022, 19:34 Uhr
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Kammern wollen Verfassungsrang
Von Jürgen Theiner

Einflussreich sind sie bereits, in Kürze könnten Arbeitnehmer-, Handels- und Handwerkskammer auch als Institutionen eine Aufwertung erfahren. Dann nämlich, wenn die Bürgerschaft ihrem Wunsch folgt, in der Landesverfassung verankert zu werden. Ein entsprechender Entwurf liegt vor, er hat aber noch nicht alle politischen Akteure restlos überzeugt – vor allem die Grünen und die FDP nicht.

Dass die Kammern in einer deutschen Landesverfassung erwähnt werden, ist eher ungewöhnlich. Tatsächlich gibt es so etwas nur im Saarland. In Bremen bestand Verfassungsrang für die Kammern bis vor wenigen Jahrzehnten. Zu diesem Zustand möchten sie nun zurück, allerdings in modifizierter Form.

1996 aus der Verfassung gestrichen

Die Bremische Verfassung kannte in den ersten Nachkriegsjahrzehnten die sogenannte Wirtschaftskammer, in der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter zahlenmäßig gleich stark vertreten waren. Allerdings gelangte sie aus genau diesem Grund auch kaum je zu einem inhaltlichen Konsens. Sie zerfiel nach dem Rückzug der Arbeitgeberseite und wurde 1996 von der Bürgerschaft mit einem fraktionsübergreifenden Votum aus der Landesverfassung gestrichen.

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Nun also ein neuer Anlauf. In Artikel 46, der bis 1996 die Wirtschaftskammer als Interessenvertretung von Unternehmen und Arbeitnehmern nannte, soll ein neuer Passus aufgenommen werden. Er lautet sinngemäß, dass die Beschäftigten ihre öffentlich-rechtliche Vertretung in der Arbeitnehmerkammer finden, die Wirtschaft in der Handels- und der Handwerkskammer.

"Zeichen der Wertschätzung"

Eine unmittelbare praktische Auswirkung hätte das nicht. Darin sind sich die politischen Akteure einig, die in den Bürgerschaftsfraktionen mit dem Projekt befasst sind. Denn schon jetzt befinden sich Politik und Kammern in ständigem Dialog. Wenn in Senat und Parlament Weichenstellungen zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen anstehen, melden sich die Kammern stets frühzeitig zu Wort und werben für ihre jeweiligen Positionen.

SPD-Fraktionschef Mustafa Güngör, der die geplante Verfassungsänderung klar befürwortet, formuliert das so: "Operativ würde sich daraus nichts ableiten, es handelt sich eher um ein Zeichen von Wertschätzung für die Kammern." Außerdem gebe es historische Gründe. Er verweist auf das Jahr 1920, in dem Bremen seine erste demokratische Verfassung erhielt. In dem Dokument wurden die Kammern zur Förderung von Handel und Gewerbe sowie zur Vertretung der Angestellten und Arbeiter in die Paragrafen 79 bis 86 aufgenommen. Schon damals lautete das Ziel, wichtige gesellschaftliche Gruppen durch institutionalisierte Interessenvertretungen in die politische Willensbildung einzubinden.

Innerhalb der rot-grün-roten Regierungskoalition ist das Echo auf den aktuellen Vorstoß der Kammern nicht so uneingeschränkt positiv wie bei Güngör. Grünen-Fraktionschef Björn Fecker sagt ganz allgemein: "Verfassungsänderungen müssen sehr gründlich abgewogen werden." Er verweist auf einen noch laufenden Diskussionsprozess in den Reihen seiner Fraktion. Nach Informationen des WESER-KURIER wird dem Wunsch der Kammern dort allerdings eher skeptisch begegnet. Käme es zum jetzigen Zeitpunkt zu einer Abstimmung über das Thema, würde die Verfassungsänderung bei den Grünen wohl durchfallen.

Linken-Fraktionschef Nelson Janßen nennt den Vorstoß der Kammern "legitim". Zugleich verweist er auf einen Aspekt, der aufseiten der Kammern wohl auch eine Rolle gespielt haben dürfte. "Wer diesen Institutionen Verfassungsrang zuweist, muss sie auch arbeitsfähig halten." Soll heißen: An der Finanzierung der Kammern mit ihrem System der Pflichtbeiträge wäre in Zukunft noch weniger zu rütteln als jetzt.

FDP ist laut ihrem Landesvorsitzenden dagegen

In der CDU-Bürgerschaftsfraktion ist das Echo auf den Vorstoß der Kammern verhalten positiv, aber nicht überschäumend. "Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, allerdings gibt es noch kein abschließendes Votum der Fraktion", sagt ihr Chef Heiko Strohmann. Er räumt ein, dass es in den Reihen der Christdemokraten auch skeptische Stimmen gibt. Die FDP spricht sich nach Darstellung ihres Landesvorsitzenden Thore Schäck gegen die Verfassungsänderung aus. "Uns ist unklar, was dadurch wirklich besser werden soll. Wir sehen keinen Mehrwert für alle Beteiligten."

Die Kammern selbst bleiben bei der Beschreibung des Nutzens eher im Allgemeinen. In einem gemeinsamen Statement heißt es: "Eine verfassungsrechtliche Einbeziehung der Kammern stärkt die Legitimation der Entscheidungen der Politik." Zudem spiegelten die Kammern "durch die Vielschichtigkeit der Mitglieder ein Abbild des Wirtschaftsstandorts wider". Zu den zentralen Aufgaben der drei Einrichtungen gehöre es, "die Politik, den Senat und die Verwaltung über die wirtschaftliche und soziale Lage ihrer Mitglieder unter Berücksichtigung des Gemeinwohls zu beraten".

Zur Sache

Die jüngsten Verfassungsänderungen

Die Verfassung des Zwei-Städte-Staates ist in den vergangenen Jahren einige Male ergänzt und geändert worden. Zuletzt war dies im Mai 2021 der Fall, als Kinderrechte in die Konstitution aufgenommen wurden. Zuvor hatte die Bürgerschaft im Dezember 2020 durch die Änderung des Artikels 79 ihre Mitwirkung an Rechtsverordnungen des Senats bei der Pandemiebekämpfung gesichert. Im September 2018 erweiterte die Bürgerschaft ihr Recht auf Akteneinsicht. 2015 wurde die Schuldenbremse - also die Verpflichtung zu ausgeglichenen Haushalten - in der Verfassung verankert. Sie gilt allerdings erst seit 2020. Eingriffe in die Landesverfassung bedürfen einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament.

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