Einsteigen und losfahren, ohne ein Ticket zu lösen: Kostenloser Nahverkehr in Bremen könnte noch vor der Bürgerschaftswahl 2023 beschlussreif sein. Davon gehen die Grünen aus, die mit eigenen Finanzierungsvorschlägen auf einen entsprechenden Vorstoß des Koalitionspartners SPD reagieren. Zur Deckung der Kosten schlagen sie eine Mischung aus Steuererhöhungen und neuen Abgaben vor, die auch von Berufspendlern zu entrichten wären.
Die Sozialdemokraten hatten sich im März zur Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs in der Hansestadt positioniert. Um das Fahren in Bus und Straßenbahn kostenlos anbieten zu können, wollen sie im Wesentlichen einen „Mobilitätszuschlag“ auf die Grundsteuer erheben. So ständen nach ihren Berechnungen rund 90 Millionen Euro zur Verfügung, die die Bremer Straßenbahn AG bräuchte, um den Wegfall ihrer Ticketeinnahmen zu kompensieren. Auf der Angebotsseite plädieren die Sozialdemokraten unter anderem für einen verdichteten Fahrplan mit einem 7,5-Minuten-Takt auf den Linien.
Die Grünen setzen den Mittelbedarf höher an. Aus ihrer Sicht ist ein deutlich attraktiverer ÖPNV erforderlich, um Autofahrer zum Umstieg auf umweltfreundlichere Mobilität zu bewegen. Eine solche „Angebots- und Qualitätsverbesserung“ müsse erfolgen, bevor die zusätzlichen Abgaben erhoben werden.
Die Landesmitgliederversammlung der Grünen hat vor wenigen Tagen konkrete Beschlüsse gefasst. Darin wird unter anderem ein Fünf-Minuten-Takt als Standard für Bus und Straßenbahn gefordert, außerdem eine Ausweitung des ÖPNV-Angebots in den sogenannten Tagesrandzeiten. Auch auf Schnellbusverbindungen zwischen den Stadtteilen und ein Rufbussystem für den ländlichen Rand Bremens setzen die Grünen. Sowohl die Angebotsausweitung als auch die notwendige Finanzierung sollen in einem „Bremischen Mobilitätsgesetz“ verbindlich geregelt werden.
Für den Quantensprung im öffentlichen Nahverkehr rechnet die Partei mit Mehrausgaben von jährlich rund 180 Millionen Euro. Eckpfeiler der Finanzierung ist auch für die Grünen eine Anhebung der Grundsteuer mit einem Volumen von rund 110 Millionen Euro. Hinzu treten in ihrem Konzept bis zu 50 Millionen Euro durch eine räumlich erweiterte Parkraumbewirtschaftung bei erhöhten Gebühren. Gut 16 Millionen Euro wollen sie darüber hinaus einnehmen, indem die rund 130.000 Berufspendler aus Niedersachsen zur Kasse gebeten werden. Auf einem anderen Gebiet gibt es so etwas schon: Wer in der Hansestadt arbeitet, aber beispielsweise in Stuhr oder Lilienthal wohnt, zahlt Beiträge zur Bremer Arbeitnehmerkammer.
Ralph Saxe hält den Mix, den die Grünen bei der Finanzierung vorschlagen, für ausgewogen und praktikabel. „Die gerechte Bepreisung ist der Schlüssel für die Verkehrswende in Bremen“, sagt er. Eine Verständigung innerhalb der rot-grün-roten Koalition ist aus Saxes Sicht noch in der laufenden Wahlperiode möglich, „sodass wir Mitte des Jahrzehnts in die Umsetzung gehen könnten“.
Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Falk Wagner, der die Position seiner Partei mitgeprägt hat, ist nicht ganz so optimistisch. Immerhin gehe es um einen kompletten Systemwechsel bei der Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs. Außerdem sei es wichtig, das Thema „in der Stadtgesellschaft breit zu diskutieren“, bevor Pflöcke eingeschlagen werden. Dass sich auch die Grünen inhaltlich festgelegt hätten, sei zu begrüßen, so Wagner.
Höhere Gebühr für Bewohnerparken
Sowohl SPD als auch Grüne sehen im Bewohnerparken einen weiteren Beitrag zur Verkehrswende. In der Stadt gibt es 14 Zonen, für die entsprechende Ausweise ausgegeben werden. Sie berechtigen Anwohner zum Abstellen ihres Autos in einem bestimmten Quartier. Nutzer dieses Angebots müssen sich darauf einstellen, künftig mehr Geld auszugeben. Zurzeit liegt die Jahresgebühr bei 30 Euro. Sie soll um ein Mehrfaches steigen. Das ergab eine Anfrage bei SPD, Grünen und Linken. Die Spanne liegt je nach Partei bei rund 100 bis mehr als 300 Euro pro Jahr.
Auch CDU und FDP sind für eine deutliche Erhöhung. Möglich wird das durch eine Gesetzesänderung. Bisher hatte der Bund die Gebühr für das Bewohnerparken bei 30,70 Euro pro Jahr gedeckelt. Seit Oktober steht den Städten frei, selbst über die Gebühr zu entscheiden. In Hamburg gilt seit sechs Wochen ein Betrag von 50 Euro. Freiburg und Tübingen planen mit 360 Euro pro Jahr. Der Deutsche Städtetag hatte eine Gebühr von 200 Euro vorgeschlagen.