Die beiden älteren Damen haben Diskussionsbedarf. Dürfen sie jetzt rein oder nicht? Sonst kommen die Frauen, beide jenseits der 70, jeden Mittwoch hierher zur Bremer Tafel an der Brauerstraße in Hemelingen, ordnen sich in die Schlange der Wartenden ein, und irgendwann sind sie an der Reihe.
Aber heute, so hören sie, seien nur noch bestimmte Nummern dran. Stimmt das? Sie tuscheln, dann schicken sie einen Herrn los, der in ihrer Nähe steht, um am Einlass nachzufragen. Und tatsächlich findet der Mann heraus: Seit Wochenbeginn läuft es hier etwas anders als sonst. In dieser Woche dürfen die Kunden mit den Ausweisnummern 1 bis 200 einkaufen, nächste Woche kommen die Nummern 201 bis 400 zum Zuge. Gut für die Frauen, dass sie zur ersten Gruppe gehören.
Die Aufteilung der Kunden ist eine Maßnahme der Tafel, um den verschärften Corona-Regeln gerecht zu werden. Die Verantwortlichen haben es auf laminierte Zettel geschrieben, die am Eingang aushängen: Der Einkauf ist im Moment für jeden Kunden nur noch alle 14 Tage und nicht mehr wöchentlich möglich. Man hat die Gruppe halbiert, um die Nachfrage unter Einhaltung aller Abstands- und Hygieneregeln bewältigen zu können und ohne die Öffnungszeiten ausweiten zu müssen. „Alles etwas umständlicher jetzt“, sagt Uwe Schneider, der Vorsitzende der Bremer Tafel, „alles erst mal gewöhnungsbedürftig.“ Aber lieber so, als gar nicht öffnen.
Weitermachen oder schließen wegen Corona? Diese Fragen müssen sich die Tafeln in Deutschland in diesen Tagen schon zum zweiten Mal in diesem Jahr stellen. Beim ersten Lockdown im April machten allein in Niedersachsen mehr als die Hälfte der Tafeln zeitweise zu. Ein Grund: Viele der ehrenamtlichen Helfer zählten selbst zur Risikogruppe, sie mussten zu Hause bleiben, aber ohne ihr Mitwirken war der Betrieb nicht länger aufrechtzuerhalten.

Warten auf den Einlass: Weil auch bei der Tafel Corona-Einschränkungen gelten, ist Geduld gefordert.
Auch jetzt haben einige Tafeln im Bremer Umland geschlossen, sie brauchen die Zeit, um sich neu zu sortieren. „Wir hatten im Frühjahr durchgehend geöffnet“, sagt Schneider, „und wir werden auch jetzt nicht schließen.“ Auch die Bremer hatten im Frühjahr zunächst auf ihre älteren Kräfte verzichten müssen, aber weil viele Schüler, Studenten und Männer und Frauen eingesprungen waren, die in ihren eigentlichen Berufen in Kurzarbeit gehen mussten, konnte die Bremer Tafel mit ihren Ausgabestellen in Burg, Huchting, Obervieland und Vahr weitermachen. Auch aktuell melden sich fast täglich Menschen per Telefon und bieten ihre Hilfe an. „Mit so viel Hilfsbereitschaft haben wir nicht gerechnet“, sagt Schneider. Rund 40 Ehrenamtliche sind an diesem Vormittag in Hemelingen im Einsatz, sehr viele von ihnen zwischen 25 und 55 Jahre alt.
Peter Amberge ist kreuz und quer auf dem Gelände unterwegs, das die Tafel gemietet hat. Es ist eine alte Tischlerei, direkt neben dem alten Coca-Cola-Werk. Amberge, Handwerksmeister, „positiv verrückt“, wie er sagt, und wie alle hier ehrenamtlich aktiv, schaut im Verkaufsraum nach dem Rechten. Hier sind die ersten Körbe für die Kunden bereits vor dem ersten Einlass gepackt; an der ersten Station Gemüse: Paprika, Pilze, Porree, Kohlrabi, ein Salatkopf; am nächsten Tisch Obst: Weintrauben, Äpfel, Birnen, Pflaumen. Ein paar Meter weiter stehen Marmeladengläser zur Auswahl, Tütensuppen und Gewürze. Kurz vor der Kühltheke mit Joghurt, Sahne und Milch befindet sich der Tresen mit dem Brot, auch hier ist das Sortiment groß. Immer fünf Kunden gleichzeitig dürfen im Verkaufsraum sein, das wird am Eingang kontrolliert.
Amberge wirft noch einen schnellen Blick in die Sortierung, öffnet dann die Türen zum Lager: auch hier alles in Ordnung. Die Bremer Tafel ist gut bestückt mit Waren, Versorgungsengpässe kennen sie aktuell nicht. In einer der Hallen stehen 20 Paletten mit Marmelade, außerdem Dutzende Paletten mit Waschmitteln, Kaffee, Olivenöl, Toilettenpapier, Energy Drinks und Süßigkeiten. Palettenweise Hilfe, die das schmale Budget der bedürftigen Kundschaft merkbar entlastet.
Zentrallager für den Nordwesten
Bremen fungiert seit einiger Zeit offiziell als Zentrallager für den Nordwesten. Am Vormittag war ein Team der Tafel aus Cloppenburg mit einem Lkw da, hatte Salate eines Feinkostproduzenten mitgebracht und im Tausch dafür ein paar Paletten aus Bremen mitgenommen. So hilft man sich gegenseitig, damit nichts fehlt. „Das Sortiment“, sagt Amberge, „kann fast mit jedem Supermarkt mithalten.“
Damit hat sich eine Befürchtung aus der Zeit des ersten Lockdowns nicht bestätigt: Würden sie überhaupt genug zum Verteilen haben, hatten sich die Tafeln gefragt, wenn fast die komplette Wirtschaft lahm gelegt wird? Jetzt kennen sie die Antwort. „Das Spendenaufkommen hat nicht nachgelassen, absolut nicht“, sagt Amberge. Mit fünf Fahrzeugen, besetzt mit je zwei Leuten, fahren die Bremer weiterhin jeden Morgen 160 Adressen an und sammeln ein, was Supermärkte, Bäckereien, Groß- und Einzelhändler übrig haben. Drei Tonnen Lebensmittel kommen an einem Vormittag locker zusammen, und darin sind die Großspenden noch nicht einmal eingerechnet.
Die Bremer Tafel ist längst ein kleines mittelständisches Unternehmen. 200 Ehrenamtliche arbeiten an den fünf Standorten, die im Quartal 200 Tonnen Lebensmittel ausgeben. Acht Fahrzeuge gehören zum Fuhrpark. 350 sogenannte Bedarfsgemeinschaften kommen täglich zur Tafel, das reicht vom Ein-Personen-Haushalt bis zur Mehrgenerationenfamilie. Jeder Kunde hat einen Ausweis, den er am Eingang vorzeigen muss, er zahlt zudem eine Eintrittsspende von zwei Euro, Mehrpersonenhaushalte zahlen drei Euro. Die Lebensmittel selbst sind kostenlos. 7000 Bremer erhalten auf diese Weise Unterstützung.
Aber so sehr sich die Macher freuen, dass es immer genug zum Verteilen gibt, so sehr machen sie sich Gedanken darüber, wie es in den nächsten Jahren mit der Armut in Deutschland weitergeht. Die Corona-Krise wird dafür sorgen, dass Menschen ihre Arbeit verlieren, vielen Minijobbern und Freischaffenden ist das schon passiert. Das merkt auch die Bremer Tafel. „Es fragen mehr Jüngere nach“, sagt Schneider, „die Bedürftigkeit wächst.“ Auch deshalb machen sie weiter. Trotz Corona. „Wenn wir zumachen“, sagt Schneider, „trifft es die, die sowieso schon arm dran sind.“ Und das wollen sie nicht.
Tafel sucht Raum in Gröpelingen
Doch, doch, sagt Uwe Schneider, die älteren Kunden kämen noch. Sie sind zwar während der Corona-Pandemie besonders gefährdet, aber auf den Besuch der Tafel können viele von ihnen nicht verzichten. Sie sind auf die kostenlosen Lebensmittel angewiesen. „Und es werden immer mehr Ältere“, sagt Schneider. Die Hälfte der Tafelnutzer lebt in Ein-Personen-Haushalten, deutlich mehr als noch vor ein paar Jahren. „Die Altersarmut wird eine große Herausforderung für uns“, sagt Schneider. Einen Bringdienst für die Innenstadt gibt es nicht, lediglich die Tafel in Bremen-Burg kann das im Moment anbieten. Heißt für die Bremer Tafel mit ihrem Hauptsitz in Hemelingen: Sie muss zu den Alten in die Stadtteile.
Tatsächlich gibt es inzwischen zwei Seniorentafeln, die eine im Bürgerhaus Obervieland, die andere im Hanna-Harder-Haus in der Vahr, jeweils geöffnet immer mittwochs zwischen 14.30 und 16 Uhr. In Planung ist eine Niederlassung in Gröpelingen, aber dort hat die Tafel bisher noch keine passenden Räumlichkeiten gefunden, mehrere Möglichkeiten haben sich zerschlagen. Einmal die Woche würde man gern auch dort öffnen, wenn sich Helfer und ein Ort finden lassen.