Das ist peinlich“, antwortet Dilbag Aulakh, als ich sein Alter abfrage. „Keine Frau möchte mich mehr haben. Schreib, dass ich 35 bin, gut aussehe und dreimal die Woche trainiere“, drängt der Inder lachend – und meint die Bitte mindestens zur Hälfte im vollen Ernst. Zur anderen Hälfte der Wahrheit gehört aber auch, dass der gelernte Restaurantfachmann es liebt, Scherze zu reißen, und seine Rolle als Inhaber und Gastgeber dieses indischen Restaurants Shalimar stets mit einer neckenden, bisweilen aneckenden, aber immer aufmerksamen und liebevollen Leidenschaft ausfüllt.
Zu dieser Leidenschaft gehört auch der Hang zur Inszenierung, welche mitunter vor Unsinnigkeiten nicht zurückschreckt. Ein Beispiel: dass es mittags ist und wir direkt am Fenster sitzen, hindert Aulakh nicht daran, uns am Tisch eine Kerze anzünden zu lassen.
Saft- und Kraftlos
Unwillkürlich fühle ich mich da an Nietzsches tollen Menschen erinnert, der am helllichten Tag mit seiner Laterne nach Gott sucht. Freilich, auch ich suche heute nach Erleuchtung, namentlich in den genussvollen Gefilden Indiens. Im Unterschied zur im Nihilismus gefangenen Figur ist meine Suche jedoch eine hoffnungsvolle. Jäh wird diese Hoffnung jedoch getrübt, als ich in die allen Lebens beraubten Pakora (6,90 Euro) beiße, die für meinen Gegenüber gerade so richtig sind. Für mich bleibt das Allerlei aus im Kichererbsenteig frittiertem Gemüse und Fleisch jedoch vor allem eins: saft- und kraftlos.
Probiert und empfohlen: Dass die Küche auch anders kann, will der ebenfalls gelernte Koch direkt mit dem ersten Hauptgericht beweisen. „Chicken Tikka Masala läuft hier wie verrückt“, kündigt er jene Spezialität an, die bei Gästen vor allem auf Grund der über einen Tag lang marinierten Hähnchenbruststücke beliebt sei. Dieses mit reichlich Butter und Sahne zubereitete milde Tomatencurry (15,90 Euro) mag so indisch sein, wie die Speisekategorie Beef hinduistisch ist, aber es ist doch so lecker. „Ich esse es gerne, aber mag nicht unbedingt so tomatige Saucen“, bemerkt Aulakh dagegen in einer Manier, die wie die Umwertung aller Geschmackswerte wirkt.
In der Hoffnung, wieder die kulinarische Spur der Eintracht zu finden, machen wir uns nun an den vegetarischen Klassiker der indischen Küche: Palak Paneer (11,90 Euro). „Top, genauso, wie es sein sollte“, gibt sich mein Tafelpartner zufrieden. Ich bin verwundert: dass diese im Gegensatz zu vielschichtigen Currys fast schon profane Kombination von mit indischen Gewürzen eingekochtem Rahmspinat und hausgemachtem Kuhmilchkäse dann doch so geschmeidig auf der Zunge zergeht, dass man das Gefühl bekommt, alle Klaviaturen von Cremigkeit in einem Guss und Fluss vorgespielt zu bekommen, überrascht und erfreut mich dann doch.
Nach den beiden vorzüglichen Auftritten ist die Hoffnung genährt, dass auch das dritte Hauptgericht uns umhaut: Lamb Buna Gosht (16,90 Euro). Es ist das richtige Curry, um das kulinarische Comeback fulminant zum Abschluss zu bringen. „Das Essen schmeckt nur, weil viele Zwiebeln drin sind“, kritisiert Aulakh zu meinem Verdruss. Ich liebe es genau dafür und verneige ich mich vor dieser dicklichen, über acht Stunden eingekochten Konzentration indischer Aromen, die zusammen mit dem zarten Schmorrlamm nicht langsamer den Gaumen herunterlaufen könnte. Fazit: So behäbig der Beginn auch war, bei den Hauptgerichten meldete sich diese indische Küche gewaltig zurück.
Restaurant Shalimar, Martinistraße 62-66, 28195 Bremen, Telefon 04 21/44 96 80 22, Öffnungszeiten Montag bis Sonnabend von 12 bis 15 und 17 bis 23 Uhr, Sonntag von 17 bis 23 Uhr, Sonnabend von 11 bis 23 Uhr, nicht barrierefrei (auf Wunsch Rampe vorhanden)
Temi Tesfay
hat Hunger auf Bremen. Auf seinen wöchentlichen Streifzügen durch die heimische Gastroszene hat er schon viele Küchen, Köche und kulinarische Schätze der Stadt kennen gelernt. Unter dem Titel „Ein Bisschen Bremen“ schreibt er außerdem einen Foodblog.