Häuser stürzen ein und begraben ihre Bewohner unter sich, bei eisigen Temperaturen suchen Retter nach Überlebenden – bei einem verheerenden Erdbeben der Stärke 7,7 sind in der Türkei und Syrien mehr als 3600 Menschen gestorben. Es gab ein zweites Beben der Stärke 7,5. Dem Katastrophendienst Afad zufolge hatte das Hauptbeben am Morgen mit Epizentrum im südtürkischen Kahramanmaras eine Stärke von 7,7. Mittags erschütterte ein Beben der Stärke 7,5 dieselbe Region, wie in Istanbul die Erdbebenwarte Kandilli meldete. Auch im Libanon und im Irak bebte die Erde, ebenso auf der nahe gelegenen Mittelmeerinsel Zypern. Nach Angaben von EU-Vertretern war das Erdbeben in der Nacht eines der stärksten in der Region in mehr als 100 Jahren.
Professor Achim Kopf, wie ist es zu den Erdbeben in der Türkei und Syrien am Montag gekommen?
Achim Kopf: Auf der Erde befinden sich zwölf große und viele kleine tektonische Platten, die auf Magma schwimmen und sich relativ zueinander bewegen. Die Magmenbewegung können Sie sich wie eine Rolltreppe vorstellen: Ein Konvektionsstrom sorgt dafür, dass sich die Platten auf dem Erdmantel bewegen. Dadurch werden die Platten immer weiter geschoben. Manchmal geht das nicht ganz reibungslos vonstatten, so dass sich die Plattengrenzen verhaken. Im vorliegenden Fall werden die afrikanische und die eurasische Kontinentalplatte gegeneinander geschoben, im Osten kommen die anatolische und die arabische Platte dazu. Dadurch steigt die Spannung immer weiter an und entlädt sich schließlich in einem Erdbeben.
Am Montag gab es zwei starke Erdbeben mit einer Magnitude von mehr als 7 in der Region. Warum war das denn her ungewöhnlich?
Ist die Spannung durch ein Erdbeben erst einmal abgebaut, gibt es zwar kleinere Nachbeben, aber eigentlich kehrt Ruhe ein. Doch im östlichen Mittelmeerraum gibt es viele Verwerfungen wie Eisschollen im Packeis, die sich gegeneinander bewegen. Diese kleinen Platten sind ineinander verkeilt, und wenn eine wegen eines Erdbebens abrupt einige Meter rutscht, überträgt sich diese Energie auf andere Kleinplatten, bis das System wieder im Gleichgewicht ist. Die Situation ist insofern brisant, weil viele Störungen auf engem Raum existieren und die Einspannung zwischen Afrika und Eurasia stets fortschreitet. Die Stärke der beiden Erdbeben, und insbesondere die des Nachbebens, ist ungewöhnlich und vermutlich die Folge, dass es sehr lange keine Starkbeben in der Region zwischen der Türkei und Syrien gab.
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Wie können Beben vorhergesagt werden?
Erdbeben sind hochgradig episodisch, wir wissen nie genau, wann sie auftreten. Am effektivsten wäre es, die Vorboten solcher Beben aufzuzeichnen. Zum Beispiel wissen wir, dass bestimmte Grundwasserquellen vor einem Beben überlaufen oder es chemische Veränderungen der Wässer gibt – und diese bereits Tage vor dem Beben. Die Nordanatolische Störungszone ist in der Vergangenheit relativ häufig aktiv gewesen und die Aktivitäten sind gut dokumentiert, so dass wir an speziellen Messgeräten für diese Veränderungen arbeiten können. In Bremen wird an solchen Naturgefahren an vorderster Front geforscht, vor allem auch mit Meeresbodengeräten: Ab 2024 werden wir im östlichen Mittelmeer zu genau dieser Frage forschen, um geologische als auch klimabedingte Naturgefahren zu untersuchen, um uns auch als Gesellschaft effektiver auf diese Extremereignisse einzustellen.