Zwischen fünf und acht Prozent mehr Gehalt erhalten Bremer Pflegekräfte im neuen Jahr. Zumindest die, deren Arbeitgeber nach Tarif zahlt. Das hatten Träger der Wohlfahrtspflege und die Gewerkschaft Verdi kürzlich ausgehandelt. Doch nun sind die Wohlfahrtsverbände in der Klemme: Die Krankenkassen wollen die Mehrkosten, die dadurch in der häuslichen Krankenpflege ab 2020 entstehen, nicht in vollem Umfang übernehmen. Die im Oktober gestarteten jährlichen Verhandlungen mit den Krankenkassen seien gescheitert, teilte die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG FW) Bremen am Dienstag mit.
„Wir brauchen eine auskömmliche Vergütung für Pflegekräfte und eine auskömmliche Finanzierung“, sagte Arnold Knigge, Vorstandssprecher der LAG. Ihr gehören 23 von 115 Pflegediensten in Bremen und Bremerhaven an, etwa von den kirchlichen Organisationen Caritas, Diakonie, Deutschem Roten Kreuz und Jüdischer Gemeinde, aber auch von der Arbeiterwohlfahrt und dem Paritätischen. Die Träger fordern 6,8 Prozent mehr Geld. Dem stünde derzeit ein Angebot der Krankenkassen von 4,76 Prozent gegenüber, sagte Knigge. Das sei eine zu große Differenz. „Schon heute arbeiten Pflegedienste am wirtschaftlichen Limit, vielfach schon darunter.“
Jetzt werde ein Schiedsverfahren eingeleitet, sagte Knigge. Dies bestätigte der Sprecher AOK Bremen, Jörn Hons, der für alle beteiligten Bremer Krankenkassen sprach. Zu den Gründen für die Uneinigkeit wollten sich die Kassen jedoch nicht äußern, da die Verhandlungen ein schwebendes Verfahren seien und nun mit dem Schiedsverfahren weitergingen. Als Schlichter hat die LAG den Bremer Professor für Gesundheitsökonomie, Heinz Rothgang, vorgeschlagen. Mit diesem Vorschlag zeigten sich die Kassen einverstanden. Die Lohnsteigerungen müssen die Wohlfahrtsverbände ab dem 1. Januar in jedem Fall zahlen. Wenn es keine Einigung mit den Kassen gibt, müssen sie die Mehrkosten aus eigener Tasche begleichen. Wie lange halten die Träger das durch? Um wie viel Mehrkosten geht es? „Bei uns geht es um einen sechsstelligen Betrag“, sagte Martin Böckmann, Vorstand der Caritas. Wie lange man das durchhalte, hänge auch von den Signalen ab, die nun von den Kassen kämen.
Als die Tarife ausgehandelt wurden, saßen die Krankenkassen nicht mit am Tisch. Haben sich die Wohlfahrtsverbände verzockt? Wieso wurden die Krankenkassen nicht früher eingebunden? „Das sind unterschiedliche Ebenen“, sagte Knigge. Es sei üblich, dass die Kassen nicht dabei sind.
Mitarbeiter der häuslichen Pflege wechseln in Krankenhäuser
Die Tarifsteigerung sei absolut notwendig, um Pflegekräfte halten zu können, bekräftigte Friederike Juchter, Oberin der Schwesternschaft des Deutschen Roten Kreuzes. Mitarbeiter der häuslichen Pflege würden schon jetzt in Krankenhäuser wechseln, wo höhere Löhne gezahlt werden. Für Berufsanfänger sei die ambulante Pflege oft unattraktiv. „Die Krankenkassen sollten sich an die Tarifbindung halten und die entsprechenden Kosten erstatten, das sieht das Sozialgesetzbuch so vor“, erklärte Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) dazu.
Ein Großteil der Pflegedienste in Bremen ist nicht in freigemeinnütziger Trägerschaft, sondern privat. Sie hatten bei den Kosten für die häusliche Krankenpflege keinen unüberwindbaren Zwist mit den Krankenkassen. Der Bremer Ableger des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) bestätigte am Dienstag, dass er einen Abschluss mit den Krankenkassen erzielt hat. „Wir haben den Abschluss auf Verhandlerebene“, sagte Johanna Kaste, BPA-Landesbeauftragte. Der Verband akzeptierte das Angebot der Kassen von 4,76 Prozent mehr. „Das ist aus unserer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt auskömmlich“, erklärte Kaste. Diese 4,76 Prozent Steigerung erhielten jedoch nur BPA-Mitglieder, die auf dem Vergütungsniveau des Tarifvertrags Altenpflege in Bremen zahlen oder nach den BPA-Arbeitsvertragsrichtlinien. Für alle anderen Dienste sei ein Plus von 2,75 Prozent verhandelt worden. Kaste zufolge gehören 60 ambulante Dienste dem BPA in Bremen an.
Spätestens Ende 2023 müsse der Lohn der ambulanten Pflegerinnen und Pfleger an das Niveau im Krankenhaus angeglichen sein, betonte Kaste. Dann beendet der erste Jahrgang die neue Pflegeausbildung, die nicht mehr zwischen Kranken- und Altenpflege unterscheidet. Blieben die Gehälter der beiden Bereiche so unterschiedlich, dürften sich noch mehr Pflegekräfte für die Arbeit im Krankenhaus entscheiden.
Caritas-Vorstand Böckmann sagte ebenso, langfristig sei es das Ziel, dass in der ambulanten Pflege nach dem Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst gezahlt wird, der zum Beispiel für Pflegekräfte in staatlichen Krankenhäusern gilt. Das sei auch politisch gewollt. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) strebt einen flächendeckenden Tarifvertrag für Pflegekräfte in Deutschland an. Dies lehnen aber viele Pflegedienst-Anbieter ab. Bundesweit fehlen Zehntausende Pflegekräfte.
++ Zuletzt aktualisiert um 19.14 Uhr. ++