An den Arbeits- und Sozialgerichten soll einem Referenten-Entwurf der Bundesregierung zufolge während der Corona-Pandemie die Möglichkeit geschaffen werden, mündliche Verhandlungen mit Hilfe von Video-Konferenzen zu erleichtern. Das Ministerium will dazu das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz sowie einige weitere Gesetze ändern, wie es in dem Entwurf heißt, der dem WESER-KURIER vorliegt.
So sollen ehrenamtliche Richter, aber auch Zeugen, Bevollmächtigte oder Sachverständige „mittels Übertragung in Bild und Ton von einem anderen Ort aus als dem Gericht“ an einer Verhandlung teilnehmen können. Die schon in der Zivilprozessordnung und im Sozialgerichtsgesetz beschriebene Möglichkeit von Videokonferenzen soll gestärkt werden. Für schriftliche Verfahren soll vorgesehen sein, Arbeitsgerichtsbeschlüsse nicht mehr zu verkünden, sondern per Post zuzustellen.
Der Präsident des Landesarbeitsgerichts Bremen begrüßt neue, digitale Möglichkeiten, sieht aber auch Probleme. „Wir stehen der Digitalisierung sehr aufgeschlossen gegenüber und wären froh, wenn wir mit einem neuen Tool, das auch Videoverhandlungen ermöglicht, während der Corona-Krise einen Schritt nach vorne machen könnten„, sagte Thorsten Beck. Die Arbeitsgerichte erwarteten einen Berg an Kündigungsschutzklagen und Zahlungsklagen im Zuge der Corona-Krise. “Daher wäre es für uns hilfreich, für diese Zeit digitale Mittel zu haben.“
Die Bremer Arbeitsgerichte und das Landesarbeitsgericht verhandeln noch bis zum 24. April im Notbetrieb. Das bedeutet, es werden nur noch Eilanträge bearbeitet und unaufschiebbare Verhandlungen durchgeführt. Ab dem 27. April, wenn der Normalbetrieb wieder startet, werden diverse Schutzmaßnahmen ergriffen, um Ansteckungen zu vermeiden. So werden beispielsweise Bänke weiter auseinander gezogen und Flächen desinfiziert. „Bisher liefen Güteverhandlungen im Viertelstundentakt, das werden wir entzerren müssen, damit sich nicht zu viele Personen begegnen“, erklärte der Landesarbeitsgerichtspräsident. Das wiederum werde die Verfahrenszeiten natürlich verlängern. Deshalb steht er digitalen Möglichkeiten während der Pandemie offen gegenüber.
Beck wandte zugleich ein: „Wichtig ist allerdings, dass die technische Lösung datenschutzrechtliche Anforderungen erfüllt, damit personenbezogene Daten geschützt sind.„ Ob eine Verhandlung per Video stattfinden kann, wäre ihm zufolge eine Einzelfallentscheidung. Oft sei eine Videoverhandlung nicht sinnvoll. “Um zum Beispiel zu beurteilen, ob ich einem Zeugen glauben kann oder nicht, muss man ihn schon unmittelbar im Sitzungssaal vor sich haben„, sagte Beck. Die Vernehmung eines Zeugen im Ausland per Video könne demgegenüber sinnvoll sein, um Kosten zu sparen. “Was wir nicht wollen, ist ein reines Online-Gericht.“
Ein großes Problem des in der Diskussion befindlichen Gesetzentwurfs sieht Beck darin, dass die Öffentlichkeit bei Videoverhandlungen ausgeschlossen wäre. "Zwar darf auch jetzt schon die Öffentlichkeit im Ausnahmefall ausgeschlossen werden, wenn es zum Beispiel um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geht. Ob aber allein der Schutz der Gesundheit für den Ausschluss der Öffentlichkeit ausreicht, ist auch verfassungsrechtlich problematisch“, erklärte der Jurist. Im Entwurf der Bundesregierung heißt es, Arbeits- und Sozialgerichten werde über eine "begrenzte Ausnahme die Möglichkeit eingeräumt, aus Gründen des Gesundheitsschutzes die Öffentlichkeit auszuschließen."
Bremens Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD) steht der Idee digitaler Verhandlungen reserviert gegenüber. Sie teilte mit: „Das Recht und der Rechtsstaat müssen sich gerade in der Krise bewähren." Auch im Notstand müssten rechtsstaatliche Standards gewährleistet sein.
"Wenn nun für die Sozial- und Arbeitsgerichte über einen de facto Ausschluss der Öffentlichkeit nachgedacht wird, überzeugt mich das zum jetzigen Zeitpunkt nicht", so die Senatorin. Zudem sei fraglich, ob sich für die Gerichte durch virtuelle Hauptverhandlungen tatsächlich eine Zeitersparnis ergebe, schließlich müssten dennoch alle sonstigen Formvorschriften beachtet werden. Auch sei eine datenschutzrechtliche Klärung von Nöten.
Es sei allerdings richtig, sich angesichts der besonderen Ausnahmesituation Gedanken darüber zu machen, wie moderne Medien für die Justiz nutzbar gemacht werden können. "Wenn es zu digitalen Lösungen kommen kann, die die noch offenen Fragen beantworten, die die Öffentlichkeit nicht ausschließen und die tatsächlich zu Effizienzgewinnen führen, stehen wir dem selbstverständlich offen gegenüber“, erklärte Schilling.