Will Willenberg sitzt auf seinem Rollator und ruht sich aus. Viele Möglichkeiten gibt es dafür nicht mehr auf dem Findorffer Wochenmarkt. Die Sitzbänke sind mit rot-weißen Absperrbändern umwickelt. Seit Beginn der Kontaktsperre gilt auch auf dem Marktgelände das Gebot: Abstand halten.
Willenberg wartet auf seine Tochter, die weitere Einkäufe erledigt. Der 74-Jährige trägt Handschuhe und eine geblümte Maske. Seine Schwägerin habe sie für ihn genäht und darauf bestanden, dass er sie trage. Denn Willenberg ist ein Risikopatient, und wie viele Menschen ab 65 Jahren trägt auch er ein hohes Risiko, am Corona-Virus schwer zu erkranken.
Auf dem Wochenmarkt sind viele ältere Menschen unterwegs. Sie schlendern mit Körben, Taschen und Beuteln über das Gelände. Einige tragen wie Willenberg Masken oder haben sich Schals bis über die Nase gezogen.
Herausforderung Kontaktsperre
„Ich versuche mich, so gut es geht, zu schützen – mit Maske und Abstand“, sagt der Rentner. Er unterstütze die Maßnahmen der Regierung. Er sei froh, dass er mit seiner Tochter auf den Markt gehen könne und herauskomme. „Ganz abschotten geht ja auch nicht. Das tut keinem gut.“ Die noch immer geltende Kontaktsperre sei eine Herausforderung für viele Senioren, auch für ihn.
„Menschen sind soziale Wesen. Sie sind auf das Miteinander angewiesen“, sagt Peter Bagus, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Bremen Ost. Unter der Corona-Krise würden zurzeit insbesondere ältere Menschen leiden. Viele ihrer sozialen Kreise würden wegfallen: Der Gottesdienst finde nicht statt, Kaffeekränzchen werden gestrichen und die Enkel dürfe man auch nicht mehr sehen.
Ältere Menschen, die alleine leben, könnten in dieser Zeit der Corona-Pandemie schnell in eine gewisse Isolation und Einsamkeit geraten. „Junge Menschen sind ebenfalls bedroht, auch sie werden verstärkt in depressive Zustände kommen. Doch sie werden das ein Stück dadurch kompensieren, dass sie in sozialen Medien aktiv sind und eher Kontakt über Whatsapp oder Videochats halten“, sagt Bagus. Senioren seien online meist nicht gut vernetzt. Für sie sei unter anderem der Wocheneinkauf der Höhepunkt der Woche. Dort könnten sie in Kontakt treten und andere Menschen sehen.
Das gilt auch für Ingrid Hüsing – der wöchentliche Gang auf dem Markt ist ihr wichtig. Für die 71-Jährige ist er ein Ritual geworden, den sie auch in Zeiten von Corona beibehält. Hüsing fühlt sich auf dem Markt sicherer als im Supermarkt. „Man ist draußen, die Menschen halten Abstand und das Geld wird bei den meisten Ständen in einem Schälchen übergeben“, sagt Hüsing. Die Rentnerin gehe nicht nur für sich, sondern auch für eine 90-jährige Nachbarin einkaufen. „Ich habe selbst keine Angst vor dem Virus. Ich bin ja noch fit. Ich spaziere viel und ernähre mich gesund“, sagt Hüsing. Sie weiß, dass der Markt für viele ältere Menschen in der Gegend wichtig sei. Er sei ein Punkt der Begegnung, an dem man sich treffe und Kontakt halte. Es sei gut, dass der Markt auch weiter geöffnet habe. Er schenke ein Stück Normalität in diesen ungewissen Zeiten.
Nicht in völlige Isolation geraten
„Wenn Menschen nur isoliert in ihrer Wohnung leben würden, würden sie krank werden“, sagt der Psychologe Peter Bagus. Nicht jeder wohne großzügig oder habe einen Garten. Gerade für diese Menschen sei es daher wichtig, vor die Tür zu gehen, etwa bei Spaziergängen im Park. „Ältere dürfen nicht in eine völlige Isolation geraten. Wir müssen in dieser Hinsicht aufpassen“, sagt Bagus.
Viele ältere Menschen würden sich sehr bedacht und umsichtig verhalten und auf Abstand gehen. „Ich sehe das Risiko eher bei den Kindern. Sie wollen mit ihren Freunden spielen und rausgehen. Gerade Kleinkindern fehlt die Einsicht, auf Abstand zu gehen. Dafür können sie nichts. Wir müssen daher viel mehr auf die Kinder schauen“, sagt Bagus. Für ihn steht fest: Es müssen Wege gefunden, die ein soziales Leben wieder ermöglichen, gerade auch in Hinblick auf die ältere Generation, die sowieso schon eher von Einsamkeit betroffen sei.
Zurück auf dem Findorffer Wochenmarkt. Drei ältere Frauen stehen in großem Abstand zueinander in einem Dreieck. Normalerweise würden sie sich zum Reden auf die Holzbänke setzen. „Das geht eben nicht mehr. Deswegen stehen wir brav auseinander“, sagt Anneliese Ruster, eine der drei Frauen. Die 87-Jährige geht zurzeit gerne regelmäßig auf den Markt oder zum Einkaufen. „Der Tag ist sonst so lang. Gerade fällt ja alles andere weg“, sagt sie.
Ruster und ihre Freundinnen Brigitte und Brunhilde kennen sich seit Jahren. Auf Abstand zu gehen sei eine ungewohnte Situation, doch sie seien froh, dass sie sich überhaupt noch sehen können. Die Frauen unterhalten sich über ihre Familie und über die kleinen Geschäfte, die wochenlang geschlossen hatten. „Mir tun vor allem die jüngeren Menschen leid. Diejenigen, die Verluste machen und ihre Familien nicht mehr versorgen können“, sagt Ruster.
Wie sie die Corona-Krise empfindet? „Es ist schwierig. Doch ich habe keine Angst. Ich bin 1933 geboren, habe den Krieg miterlebt und werde auch diese Krise hoffentlich überleben.“ Sie verabschiedet sich von den beiden Freundinnen und sagt: „So, ich kaufe jetzt noch Blumen.“