Die Musik ist so laut, dass die Membranen der Lautsprecher im Rhythmus der Bässe pulsieren. Aus den schwarzen Boxen erschallt plötzlich Rihanna mit ihrem „We‘re diamonds in the sky...“ Auf dem Lastwagen bricht das Tanzfieber aus. Junge und ältere Frauen, eingehüllt in Regenbogenflaggen, improvisieren Tanzschritte. Hinter dem Lkw läuft eine Gruppe des „Club der Rosa Tanzenden“ in schrillen pinken Jacken mit; sie wirken doch etwas professioneller in ihren Moves. Ein menschlicher Fluss in bunten Klamotten und Regenbogenflaggen begleitet den Umzug des Christopher Street Day.
Seit gut 23 Jahren wartete die LGBT-Community in Bremen auf diese Demonstration – so fühlt es sich mindestens an, wenn man vom Wagen die Menschenmenge betrachtet. „Wir finden es gut, dass er endlich auch in Bremen wieder stattfindet. Dieses Jahr waren wir schon in Hamburg, Augsburg und Bielefeld“, sagt Indy, Vorsitzende des Vereins „Dykes on Bikes“. Daraus erhoffe sie sich mehr Sichtbarkeit für die LGBT-Gemeinschaft und ein stärkeres Bewusstsein für Vielfalt in der Gesellschaft.

Die Regenbogenfarben sind überall zu sehen.
"Der Christopher Street Day ist eine Demonstration - keine Parade"
Zwar habe es vor 13 Jahren schon einen Versuch gegeben, den Christopher Street Day (CSD) wieder zu veranstalten, doch daraus sei langfristig nichts geworden, erinnert sich Robert Dadanksi, der mit etwa 20 anderen Organisatoren seit neun Monaten am Projekt CSD arbeitet. Ehrenamtlich, wohl gemerkt. Dadanski ärgert sich jedes Mal, wenn jemand den CSD „Parade“ nennt. Zu kommerziell sind ihm Events wie die „Pride“-Umzüge. „Der Christopher Street Day ist eine Demonstration“, präzisiert er. „Jeder soll es sich leisten können, daran teilzunehmen.“ Deswegen wurde der Event durch Spenden finanziert. Teilnahmegebühren gab es keine.

Auch die „Dykes on Bikes“ aus Hamburg machen mit.
Der große Mann mit dunkelgrauen Haaren läuft in seinem grünen Organisatoren-T-Shirt an der Spitze des Umzugs und hält ein Transparent. Neben ihm läuft ein junges Mädchen mit. Familien mit Kindern schwenken Fähnchen, wenn der Umzug kommt. Auch ein junger Mann und eine junge Frau mit Sonnenbrillen, Rucksack und Trolleys – dem Anschein nach auf dem Weg in den Urlaub – tanzt eine Weile in der Menge mit, ehe sie sich Richtung Domsheide verabschieden.
„Die Barrieren, die Grenzen sind in erster Linie in den Köpfen der Menschen“, sagt Dadanski. Der 39-Jährige kennt die Schwierigkeiten und die Zweifel, die Homosexuelle oft hegen, bevor sie sich vor ihren Freunden, aber vor allem vor ihren Kollegen outen: „Ich und mein Partner, wir haben einige Jahre gebraucht, bis wir auch in geschäftlicher Umgebung als Paar aufgetreten sind.“ Gegen Vorurteile müsse er leider manchmal noch immer kämpfen.

Das diesjährige Motto der Veranstaltung lautet „Vielfalt ist Freiheit — hier und überall“.
"Schwul" als Schimpfwort?
Der CSD erinnert an die Homo- und Transsexuellen, die am 28. Juni 1969 gegen die Willkür der Polizei in New York rebellierten. An einer Bar in der Christopher Street begannen die Auseinandersetzungen, die tagelang andauerten. Von der damaligen Wut ist heute keine Spur mehr. Der Christopher Street Day ist eine einzige, riesige Party.
Sylvia Mehner, auch eine Organisatorin, begleitet den Umzug von der Seite. Mit Handy und Kopfhörer läuft sie hin und zurück und koordiniert sich mit den anderen Mitgliedern. Mehner und Dadanski arbeiten seit Monaten in Team – im Presseteam. „Wir sind die, die ständig in der Zeitung stehen – die anderen Mitglieder sind die, die tatsächlich arbeiten“, sagt Dadanski und lacht. „Mir ist es wichtig, die Gesellschaft in Bremen für die Thematik zu sensibilisieren. Vor allem in Bezug auf die Lesben, denn sie fallen weniger auf“, sagt Mehner. Nicht nur Lesben, sondern auch Trans- und Intersexuelle – je weiter rechts man in der Kürzel LGBT gehe, desto weniger präsent seien diese Kategorien für die meisten Menschen, fügt Dadanski prompt hinzu.

Mit witzigen Sprüchen und Bannern werben die Teilnehmer für mehr Offenheit und Akzeptanz in der Gesellschaft.
Vor dem Umzug fährt ein Polizeifahrzeug, das mit einem Regenbogen geschmückt wurde. „Proud to be your friend“, also „Stolz, euer Freund zu sein“, steht auf einer Seite des Wagens. Die Polizei Bremen hat vor wenigen Tagen die Charta der Vielfalt unterzeichnet, die gleichgeschlechtliche Ehe wird ab dem 1. Oktober erlaubt sein, und die Schirmherrschaft des CSD wurde in Bremen von Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) übernommen: Es sind Fortschritte, finden Mehner und Dadanski. „Doch alleine ist es damit nicht getan“, sagt Mehner. „Es ist auch eine Frage von Mentalitätswandel.“ Dadanksi sagt, manchmal höre er Männer, die einander als „schwul“ beschimpfen. „Da fragt man sich schon: Was, bin ich ein Schimpfwort?“
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