Dass sie so lange dabei bleibt, hätte sie wohl selbst nicht gedacht. Zumindest klingt es so, wenn Ursula Schnell über ihre Zeit vor dem „Haus im Viertel“ erzählt: Früher habe sie alle zwei, drei Jahre den Arbeitsplatz gewechselt. 1993 kam sie zur Bremer Heimstiftung, und 22 Jahre später arbeitet sie dort immer noch. Nun ist es für sie Zeit, eine neue Lebensphase anzutreten und in den Ruhestand zu gehen.
Anfangs hatte Ursula Schnell für die Heimstiftung in Lesum gearbeitet und stellte auch schon dort Kontakte zwischen der Einrichtung und dem Stadtteil her, wie vom Träger gewünscht. 1997 wurde sie dann mit einer neuen Herausforderung betraut. Als die Brotfabrik im Steintor abgerissen wurde, begann Ursula Schnell, an einem Konzept für eine neue Seniorenwohneinrichtung zu arbeiten. Es sollte auf keinen Fall ein Altenheim sein, und gegen den Begriff „Betreutes Wohnen“ hatte sie auch etwas. Sie entschied sich für „Wohnen mit Service“. Die Heimstiftung baute Wohnungen, barrierefrei und mit Notruf, in denen ältere Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können, und stellte die Infrastruktur. Auf Initiative der Mieterinnen und Mieter sind Freizeitangebote wie ein Chor oder ein Literaturkreis entstanden.
Im Juni 1998 zogen die ersten ein. Es gab keine Pflegestation, keine Verwaltung, kein Essen. „Ich hab wirklich mit einem Bleistift angefangen“, sagt Ursula Schnell. Das Pflegeproblem löste sie, indem sie eine Kooperation mit der Paritätischen einging. Die hat noch heute bestand – und es sind etliche weitere Kontakte dazu gekommen, unter anderem mit der Volkshochschule, dem Dienstleistungszentrum des Deutschen Roten Kreuzes, einem Buddhistenkreis, dem Kulturzentrum Lagerhaus und mit Selbstbestimmt Leben.
Der wichtigste Partner des „Hauses im Viertel“ aber ist die Nachbarschaft. Bei den ersten Besprechungen, als die Pläne für das Haus im Viertel vorgestellt wurden, seien viele Nachbarn skeptisch gewesen, erinnert sich Ursula Schnell. Sie habe viele Gespräch geführt und versichert, immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Bedenken der Nachbarn zu haben. „Einige haben mir auch Mut gemacht.“ Manche engagierten sich sogar ehrenamtlich. Ein Nachbar initiierte einen Theaterbesuchskreis. Inzwischen ist der Nachbar ein Mieter des Hauses – und den Besuchskreis gibt es noch immer. Ein Paar vom Sielwall rief eine Geschichtswerkstatt ins Leben.
Es habe sich eingespielt, dass alle aufeinander aufpassen und Rücksicht nehmen, sagt Ursula Schnell. Der ständige Austausch und die offene Struktur hätten dazu geführt, dass sich viele kennen. Anonymität und Ignoranz, einem Klischee vom Großstadtleben entsprechend, gebe es nicht.
In zwei weiteren Bauabschnitten ist das Haus auf 85 Wohnungen und eine Wohngemeinschaft für demente Mieter erweitert worden. Zuletzt hat die Heimstiftung den Gebäudeteil gekauft, in dem sich früher das Fundamt befand. In den Obergeschossen wird gewohnt. Dass unten Gastronomie einziehen sollte, stand von Beginn an fest. Ursula Schnell wollte einen Raum , wo sich Menschen begegnen, „und das geht am besten übers Essen“. Zunächst bekochte ein eigens gegründeter Verein Mieter und Gäste und gestaltete das Kulturprogramm. Dann übernahm ein Nachbar diese Aufgabe, danach kam Mundart, und inzwischen betreibt Bio-Biss das Restaurant mit Mittagstisch im Alten Fundamt.
Auch eine Kita ist auf das Gelände gezogen. Der Träger suchte Räume und Ursula Schnell fand, dass das Montessori-Profil, bei dem die Kinder viel selbst lernen, gut zum Konzept des „Hauses im Viertel“ passe. Deshalb tummeln sich inzwischen fast täglich Menschen zwischen einem Jahr und über 90 auf dem Gelände. Gelebte Vielfalt. Damit soll es auch mit Ursula Schnells Nachfolgerin Dörte Diekmann weitergehen. Sie leitet derzeit das Stadtteilhaus St. Remberti und hat am 1. Dezember ihren ersten Tag im „Haus im Viertel“. Ursula Schnell wird die Kollegin einführen. Am meisten wünscht sie sich, dass ihre Nachfolgerin mit offenen Armen aufgenommen wird.
Auf ihre Zeit als Hausleiterin blickt sie gern und mit Dankbarkeit zurück. Sie habe sich beruflich ausleben können, sagt Ursula Schnell. Es sei nie langweilig geworden, jeder Tag war neu, alles immer in Bewegung. Allerdings gehörte auch das Abschiednehmen dazu. „Ich hab sehr viel in diesem Haus gelernt über das Alter“, sagt Ursula Schnell, beispielsweise wie schnell sich was verändern kann und wie kostbar Zeit ist.
18 Jahre lang hat sie alles gegeben, nun denkt sie vor allem an sich selbst. Die Kunstliebhaberin würde gern mehr Ausstellungen besuchen und wieder singen. Dann sind da noch Tochter und Enkelkind am Bodensee. Aber erst mal wird sie gar nichts tun. Am 18. Dezember hat Ursula Schnell ihren letzten Arbeitstag im „Haus im Viertel“. Für die Zeit danach macht sie noch keine Pläne. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt.