Herr Brockmann, wie sieht die Arbeit der Telefonseelsorge gerade aus?
Peter Brockmann: Es gibt eine deutliche Zunahme an Anrufen und Gesprächen zurzeit.
Sonst sind es im Schnitt rund 40 pro Tag.Jetzt sind es deutlich mehr, auch weil wir vor einer Woche eine zweite Leitung aufgemacht haben.
Als Reaktion auf die erhöhte Nachfrage wegen Corona?Wir haben diese Leitung für besondere Zeiten immer schon auf. Wir bekommen vermehrt Anrufe nachmittags und bis in den späten Abend hinein. Diese Leitung, die sonst nur zu diesen Stoßzeiten auf ist, die haben wir jetzt rund um die Uhr freigeschaltet.
Um welche Fragen geht es, wenn sich die Menschen jetzt bei Ihnen melden?In vielen Gesprächen dreht es sich um Corona. Viele Menschen haben verständlicherweise Befürchtungen und Ängste. Um ihre Gesundheit, um ihre Familie, um Freunde und nahe Angehörige. Sie sorgen sich um wirtschaftliche Folgen der Krise, den eigenen Arbeitsplatz, das eigene Geschäft.
Darüber führen wir bewusst keine Statistik. Aber ich kann sagen, dass es eine bunte Mischung ist. Ich habe vergangene Woche selbst einen Telefondienst übernommen, den sonst unsere Ehrenamtlichen bestücken. In der Schicht hat sich zum Beispiel eine ältere Dame gemeldet, die nun keinen Besuch mehr bekommen kann und einsam zu Hause sitzt. Es hat aber auch eine jüngere Frau angerufen, die jetzt gar nicht mehr weiß, was sie abends unternehmen soll, die Probleme hat, sich ans Homeoffice zu gewöhnen, weil direkte soziale Kontakte wegbrechen. Dann gibt es den Handwerker, der Sorgen um seinen Kleinbetrieb hat, weil Aufträge ausbleiben. Dann ruft jemand an, der unter normalen Umständen schon sehr isoliert ist und nun völlig enttäuscht festgestellt hat, dass die Bibliothek geschlossen ist.
Was waren die Themen, bevor Corona kam?Die Lagen waren sehr ähnlich. Einsamkeit ist ein großes Thema, und das spitzt sich durch die Maßnahmen zur Corona-Eindämmung jetzt noch einmal deutlich zu. Sonst geht es viel um Konflikte in der Familie, um Erschöpfung, depressive Zustände oder handfeste Depression.
Wie können Sie und Ihre insgesamt 75 ehrenamtlichen Frauen und Männer helfen?Unsere Hilfe besteht in dem Gespräch selbst, indem die Ehrenamtlichen ihr Ohr leihen. Zu Zeiten von Corona ist ein erhöhtes Erregungspotenzial festzustellen. Die Leute wissen nicht, wie es weitergeht, wie lange der Zustand andauert. Das beunruhigt sie. Gerade erst am Montag sagte eine ehrenamtliche Helferin nach dem Dienst zu mir: ,Wir selbst müssen noch viel ruhiger werden, um Ruhe zu vermitteln.‘ Und das stimmt. Die Menschen entlasten sich im Gespräch mit der Telefonseelsorge von ihren Sorgen, Ängsten und Nöten. Nicht selten hören wir am Ende: ,Das hat jetzt aber mal richtig gut getan, dass ich das bei Ihnen lassen konnte!‘
Ich sehe meine Aufgabe als Leiter der Telefonseelsorge darin, auch den Ehrenamtlichen eine Entlastungsmöglichkeit zu schaffen. Meine Mitarbeiterin und ich haben am Anfang allen Ehrenamtlichen geschrieben, dass sie auch sehr auf sich selbst schauen sollen, dass sie sich klarmachen müssen, was sie sich zumuten können, wenn sie zu uns in die Dienststelle fahren. Ich habe für jede Absage eines Dienstes Verständnis. Aber das Gegenteil passiert: Es ist eine hohe Einsatzbereitschaft da.
Hat die Telefonseelsorge Schutzmaßnahmen vor Corona getroffen?Wir sorgen dafür, dass sich Dienste, die sich ablösen, nicht begegnen, dass wir Abstand halten in diesen Tagen.
Wie geht es Ihnen selbst?Mit Blick auf die Telefonseelsorge frage ich mich, wo das alles hinführen wird und wie es weitergehen soll mit unserer Arbeit, wenn sich die Bedingungen weiter verschärfen. Ich weiß von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bundesländern, dass deren Stellen als systemrelevant eingestuft worden sind, damit sie weiterhin ihre Arbeit tun können. Das hoffe ich für uns auch, denn der Bedarf ist groß.
Ich mache vormittags Homeoffice, und nachmittags wechsle ich mich mit meiner Kollegin ab, um für die Ehrenamtlichen vor Ort präsent zu sein. Es ist gar nicht so einfach, die Ruhe zu bewahren, wenn um einen herum viel Aufregung herrscht. Ich versuche jetzt, nur noch einmal am Tag die Nachrichten zu hören und zwischendurch mit einem guten Buch abzuschalten.
Das Gespräch führte Marc Hagedorn. Die Telefonseelsorge ist an 365 Tagen im Jahr, 24 Stunden am Tag unter der kostenlosen bundesweiten Rufnummer 0800-111-0-111 erreichbar. In der Bremer Stelle werden 9500 seelsorgerische Gespräche geführt im Jahr, die sich aus 14 000 Anrufen ergeben. Die Telefonseelsorge wird von der Evangelischen und der Katholischen Kirche getragen und finanziert, die Telekom trägt die Gesprächskosten.Peter Brockmann (56)
Der Bremer Pastor ist seit sechs Jahren Leiter der Telefonseelsorge. Ihm zur Seite steht Heidi Remmers als beraterisch-seelsorgliche Mitarbeiterin.