Es ist schwierig, in Worte zu fassen, woran es liegt – aber ihre politische Herkunft hat Karoline Linnert nie verleugnen können. Es mag ein Klischee sein, aber Linnert trägt das Quäntchen unkonventioneller Art in sich, das die Grünen immer noch von anderen unterscheidet. Nicht alle, aber viele. Es gibt keinen Anlass daran zu zweifeln, dass Linnert im Bund, aber auch in der Runde der Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder akzeptiert und geschätzt wird.
Betrachtet man Konferenzfotos, sticht sie durchaus hervor. Das liegt nicht nur daran, dass sie die erste Grüne war, der bundesweit ein Finanzressort beziehungsweise -ministerium übertragen wurde, und damit bis heute nicht nur, aber vor allem von Schlipsträgern umringt ist. Es ist mehr als das, was sie sich erhalten hat: Die 60-Jährige zeichnet eine gewisse Natürlichkeit aus, ein unverbogenes Temperament, das sie nicht immer zügeln kann oder will.
Karoline Linnert denkt schnell, sie spricht schnell, sie lacht gerne und kann sich vor Vergnügen im Sessel zurückwerfen. Sich für das Amt zu verändern, sich ihm anzupassen in einer Weise, die ihr ohnehin verstaubt und überkommen vorkommt, kam für sie nicht infrage – anders als Joschka Fischer, der im Olymp der Minister in Berlin vom Turnschuh- zum Krawattenträger wurde.
Linnert war nie die Frau für Kostüm und Perlenkette. Was das betrifft, hält sich ihre Eitelkeit in Grenzen. Daran hat ihre Karriere bei Bremens Grünen nichts geändert, nicht ihre Position als Fraktionsvorsitzende und nicht ihr bis 2019 für sie reservierte Platz am Kabinettstisch. Sie wehrte sich von Anfang an dagegen, wegen eines übernommenen Amtes als ein anderer Mensch betrachtet zu werden.
Vielmehr hat sie stets betont, dass es ihr um die Sache geht und nicht um die Prominenz, die an einem Senatorenposten hängt. „Ich mache das nicht, damit man mir einen Orden an die Brust heftet“, hat sie Anfang dieses Jahres in einem Interview gesagt.
Man ist gewillt, ihr das abzunehmen. Obgleich Linnert zweifellos auch das Gen in sich trägt, dass man braucht, um sich an die Spitze eines Landesverbands zu setzen, sich dort über viele Jahre zu halten und dreimal Spitzenkandidatin der Partei zu sein. Ohne Machtbewusstsein und -anspruch, ohne ein Talent fürs Strippenziehen ist das unmöglich. Niemand wird zur Senatorin geboren.
Sie will Transparanz
Karoline Linnert hat sich in ihre Position als Finanzsenatorin verliebt, heißt es oft, nicht nur in das Fach, bei dem es um handfeste Tatsachen geht, um Zahlen, um Plus und Minus. Auch das konkrete Gestalten und die Macht, Dinge in Bewegung zu setzen, muss ihr nach vielen Jahren in der Opposition wie das politische Paradies vorgekommen sein. Sie will Transparenz.
Das Parlament und seine Befugnisse sind ihr heilig. Sie will beweisen, dass es anders geht; sie will die sein, die Bremens Finanzen in Ordnung bekommen hat. In ihren Worten: „Ich will nicht mehr die Welt retten. Ich will versuchen, Bremens Finanzen auf einen ordentlichen Stand zu bringen.“ Das ist ihr Ehrgeiz, ihre Eitelkeit wohl auch. Das ist menschlich nachzuvollziehen, politisch aber ein wunder Punkt.

Den Blick schon früh in die Ferne gerichtet: Karoline Linnert im Jahr 1976 mit 18 Jahren.
In der Politik zählt der Wunsch nichts, ein Großprojekt, wenn man so will, zu Ende zu bringen. Wer das in der Hand behalten will, muss Architekt werden. Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass man anderen nicht zutraut, einen fraglos sehr guten Anfang sauber zu Ende zu bringen. Karoline Linnert wäre die Einäugige unter den Blinden, wenn sie sich nicht von Macht korrumpieren ließe, zumindest ein bisschen.
Status wurde parteiintern angezweifelt
Dieser Ehrgeiz ist verantwortlich für den einzigen, aber finalen Karriereknick in Linnerts politischer Biografie – nimmt man die Vorwürfe wegen ihrer Rolle beim Niedergang der Bremer Landesbank aus, die in Rücktrittsforderungen mündeten. Es war von Anfang an klar, dass die Sanierung der bremischen Finanzen eine längere Zeit in Anspruch nimmt.
In einer Partei, die einst das Rotationsprinzip ersonnen (obgleich wieder fallengelassen) hat, sind grundsätzlich alle suspekt, die an ihren Posten zu kleben scheinen. Karoline Linnert wollte noch im Amt erleben, wie das Land wieder Atem schöpfen kann, finanzpolitisch gesehen, nach einer langen Strecke der Einschränkungen. Vielleicht wollte sie auch nicht als „eiserne Karoline“ in Erinnerung bleiben wie weiland Bundesfinanzminister Hans Eichel.
Das ist ihr zum Verhängnis geworden. Sie hat sich überschätzt – schon nach der Wahl 2015 wurde ihr Status parteiintern angezweifelt. Matthias Güldner, bis zur Wahl Fraktionschef, gab wegen der Stimmenverluste der Grünen seinen Posten auf und forderte Linnerts Rücktritt – das kommt unter Parteifreunden einem politischen Attentat gleich. Sie blieb im Amt, klar war jedoch, dass Güldner keine Ruhe geben würde.
Vielleicht hat ihr Kontakt zur Partei unter dem Amt gelitten, offenbar sind dort die Kräfte gewachsen, die sich kritisch mit der Regierungsarbeit mit den Sozialdemokraten auseinandersetzen und einen Neuanfang herbeisehnen. Linnert war diesen Grünen in der Praxis nicht mehr grün genug, heißt es. Den Landesvorstand konnte Linnert noch einmal für sich gewinnen, aus wahltaktischen Gründen sprach auch manches dafür, mit ihr an der Spitze in den Wahlkampf zu ziehen. Die Mitglieder haben anders entschieden. Linnert hat das Ergebnis der Urwahl gefasst hingenommen. Dazu ist sie Politprofi genug, doch ein Abgang mit Konfetti ist das nicht.
Ihr Aufstieg war langsam, aber unaufhaltsam. 1979 zog sie nach Bremen, ein Jahr später trat sie den Grünen bei. Elf Jahre später schickten sie die Grünen und die Wähler in den Landtag. Im Jahr 2000 wurde sie Fraktionschefin, 2003 Vorsitzende des Haushalts- und Finanzausschusses. Die ausgebildete Röntgenassistentin, die später in ihrer Geburtsstadt Bielefeld und in Oldenburg Psychologie studierte, fand den Weg über die Sozialpolitik in die Partei.

Sonntagsfrühstück im Jahr 2002: mit dem inzwischen verstorbenen Ehemann Helmut Oppermann und den Kindern Alice und Johann.
„Ich habe mir ständig von älteren Herren anhören müssen, dass für sozialpolitische Projekte kein Geld da sei. Und weil ich den Dingen gerne auf den Grund gehe, habe ich angefangen, mich dafür zu interessieren, wofür das Geld denn da ist und wofür es an anderer Stelle gebraucht wird“, sagte sie Anfang des Jahres.
Der Star der Opposition
Es war die Finanzpolitik der Großen Koaliton (1995 bis 2007), der sie sich in der Bürgerschaft verbal wie eine Jeanne d’Arc entgegenwarf. Rhetorisch geschickt, nämlich allgemein verständlich, redete Linnert stets Tacheles, Diplomatie lag ihr gegenüber der „ganz großen Koalition“ fern. Sie prangerte die Ausgabenpolitik an, die teuren Kuhhandel zwischen SPD und CDU, die Schattenhaushalte, die der Geldbeschaffung dienten. Sie war der Star der Opposition.
Original-Ton: „Die Große Koalition wollte Symbole für gute Stimmung, für Sanierung und Erfolg. Jetzt hat sie mit dem Musical, dem Space und dem Ocean Park ihre Symbole – Symbole des Scheiterns und des Hochmuts.“ Linnert war das personifizierte schlechte Gewissen in Finanzfragen. Das ist ziemlich grün und ziemlich lästig, doch das focht sie nie an. Sie ist keine, die jedermanns Liebling sein will. Dazu ist sie zu streitbar.

Die Politikerin auf ihrer Parzelle im Kleingartengebiet „Weserlust“. Hier entspannte sie am Wochenende mit ihrer Familie.
Auch in die verbreiteten Lobeshymnen über Landesvater Henning Scherf konnte sie nie einstimmen. Über die Abwesenheit von Senatoren bei Bürgerschaftssitzungen sagte sie 2001: „Scherf ist das absolute Vorbild, wenn es darum geht, der Stadt zu demonstrieren, wie wenig er sich um das Parlament schert. Er hat die direkte Demokratie für sich entdeckt. Er rennt durch die Stadt und zeigt sich überall, wo er sich öffentlichkeitswirksam in Szene setzen kann. Im Parlament benimmt er sich, wenn er mal da ist, wurschtig und flegelhaft.“
Karoline Linnert hat angekündigt, nun nicht mehr für die nächste Wahl zur Verfügung zu stehen. Einmischen wird sie sich vermutlich weiterhin, wo auch immer. Das liegt in ihrem Naturell, das die Politik nicht verbiegen konnte.