Wie groß muss ein Adventskalender sein und mit welchen Inhalt? Viele Eltern stecken im Zwiespalt zwischen Kaufzwang und exklusivem Selbstgebastelten. Manchmal ist weniger allerdings viel mehr.
Direkt an der Rolltreppe stehen sie bei der Bremer Karstadt-Filiale in einer Reihe: Adventskalender von Star Wars, Lego, Playmobil oder Schleich. So gut wie alle großen Spielwarenhersteller haben sie im Angebot und die großen Kaufhäuser in Bremen und dem Umland sowieso. Noch sind es ein paar Tage bis zum 1. Dezember, das Geschäft mit den Kalendern ist bereits in vollem Gange. Sogar erste Rabatte gibt es schon.
Spielzeugfiguren, kleine Bücher oder Kunststofftiere – mit dem letzten geöffneten Türchen haben Kinder wahlweise einen fertigen Bauernhof oder eine Armada für den Krieg der Sterne zusammen. Oder neues Zubehör für den Pferdestall. Die Bandbreite reicht von der Luxusvariante bis zum bescheidenen Kalender, der nur Bilder zeigt. Aber mal ehrlich: Welches Kind will so etwas schon? Dann schon eher den von den Drei Fragezeichen, bei dem sie jeden Tag bis Heiligabend ein Rätsel lösen können.
Viele Eltern sind hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, ihren Kindern eine stimmungsvolle Vorweihnachtszeit zu bescheren, und dem Gefühl, der Nachwuchs bekommt von allem schon zu viel. Manch einer reagiert genervt auf die Fülle des Angebots. Brauchen Kinder überhaupt einen Adventskalender? „Er ist sicherlich nicht notwendig für die Entwicklung eines Kindes“, sagt Bodo Reuser von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung.
„Allerdings bekommen Kinder natürlich mit, was um sie herum geschieht, und Adventskalender gehören zu unserer christlichen Tradition.“ Die Kalender steigerten die Vorfreude und veranschaulichten vor allem jüngeren Kindern die Zeit bis zum 24. Dezember.
Wenig weihnachtliche Vorfreude bei den Eltern
Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die christliche Tradition, die vor allem eine Hilfe dafür war, um die Tage bis zum Weihnachtsfest zu zählen. Der Alltag heute sieht anders aus. Manche Eltern verbinden mit der Vorweihnachtszeit wenig Vorfreude. Sie fühlen sich dem Konsumterror ausgeliefert oder stehen unter Leistungsdruck, einen besonders schönen Kalender selbst zu basteln. Jeder habe es laut Reuser selbst in der Hand, dem Adventskalender seine ursprüngliche Bedeutung zurückzugeben. „Familien können sich Zeit nehmen und in Ruhe überlegen, was ihrem Kind Freude macht“, so sein Vorschlag.
„Theoretisch klingt das prima, aber die Umsetzung im Alltag gelingt nicht immer“, erzählt Andrea Schäfer. Die Berlinerin hat drei Söhne im Alter von 22, 17 und fünf Jahren. Sie und ihr Mann Ingo haben im Laufe der Zeit viele Adventskalender angeschafft – selbst gemachte wie auch fertig produzierte. Schäfer erinnert sich noch gut daran, wie die Eltern für ihre ersten beiden Jungs jeweils einen Kalender aus Filz gebastelt und bestückt haben.
„Der Abend vor dem 1. Dezember war dann richtig stressig, denn wir mussten 48 kleine Geschenke einwickeln.“ Ob Kekse, Stifte, Haarspangen oder Süßes: Mit ein paar Extras befüllt, wie etwa Kinogutscheinen, Kosmetikartikeln oder kleinem Spielzeug ist man schnell mit 30 Euro aufwärts pro Kalender dabei. Dann doch lieber einen fertigen Kalender kaufen?
Kleine Geschenke mit bleibendem Wert
Dafür entschieden sich nach einigen Jahren die Schäfers, zumal die Söhne damals nicht immer zu würdigen wussten, wie liebevoll ihre Eltern gewerkelt hatten. „Manchmal ging es nur ums Auspacken, dann wurde der Inhalt schnell zur Seite gelegt.“ Schlimmer noch: Es gab morgens nach dem Auspacken gar Zoff, weil den Kindern das Geschenk missfiel. Einfacher ist es bei gekauften Kalendern, Variante Spielzeug. Der Inhalt lässt sich bequem in die bestehende Spielzeugsammlung integrieren. Doch wehe der gewünschte Kalender ist schon ausverkauft, dann kann es sogar Tränen am 1. Dezember geben.
Wer auf gekaufte Adventskalender verzichten möchte, kann bestimmte Rituale in der Vorweihnachtszeit etablieren: So hält es das Team des Waldkindergartens am Löwen im Berliner Südwesten. Neben einem Adventskalender mit Nüssen und ein paar Süßigkeiten steuert jedes Kind ein Stück zur Weihnachtsstimmung bei. „Bei uns entsteht vor Weihnachten ein großes Waldbild, zu dem alle etwas beitragen. Jedes Kind klebt ein Bild dazu, manchmal auch ein Gedicht oder einen kleinen naturwissenschaftlichen Text“, erzählt Leiterin Anne Makowsky. „Wir beobachten, dass es den Kindern viel bedeutet.“
Weniger kann manchmal viel mehr sein. Das ist die Erfahrung der Familie Hahndorf aus Bremen. Sohn Moritz hat im vergangenen Jahr einen sehr persönlichen Adventskalender für seine Eltern gebastelt. Darin gab es zwar auch Süßes aber vor allem Sätze des damals 16-Jährigen an die Eltern. „Danke, dass ihr mich immer unterstützt habt“, stand etwa hinter einem Türchen; „Danke für all die schönen Urlaube“ hinter einem anderen. Oder noch das: „Danke, dass ihr mich so toll erzogen habt.“ Kleine Geschenke mit bleibendem Wert. Der Kalender hängt noch immer im Durchgang zur Küche. Und das, sagt Mutter Sabine Hahndorf, wird ganz sicher auch so bleiben.