Herr Mäurer, Sie haben angekündigt, dass das Abschleppen von Autos ohne Zulassung erst der Anfang sei. Der Anfang wovon?
Es gibt Entwicklungen in dieser Stadt, die mich und andere nicht kalt lassen. Man kann eine gewisse Verrohung der Sitten im öffentlichen Raum beobachten. Das können und wollen wir uns nicht länger mit ansehen. Der Schwerpunkt der Arbeit der Polizei liegt weiterhin in der Kriminalitätsbekämpfung und -prävention, aber wir werden in Zukunft mehr tun, um Ordnungswidrigkeiten und Fehlverhalten zu ahnden.
Können Sie Beispiele nennen?
Es gibt drei Komplexe, die dringend verändert werden müssen: die Situation im Straßenverkehr, das Erscheinungsbild der Stadt und die Lage am Hauptbahnhof. Täglich beobachte ich, dass Verkehrsteilnehmer die Straßenverkehrsordnung ignorieren. Sie fahren oder laufen bei Rot über Ampeln, statt Helm tragen sie Kopfhörer, spielen mit dem Handy statt sich auf den Verkehr zu konzentrieren oder fahren unter Drogeneinfluss.
Es gibt Straßen in Bremen, da wirft man den Sperrmüll zum Fenster hinaus, und es gibt Kleingartengebiete, wo der Hausmüll in der Landschaft entsorgt wird. Die Situation am Hauptbahnhof ist nicht nur wegen der Schrotträder inakzeptabel. Dieser Bereich steht exemplarisch für das, was sich in dieser Stadt zum Nachteil entwickelt hat. Wer zum ersten Mal Bremen besucht und den Bahnhof verlässt, bekommt keinen guten Eindruck von der Stadt.
Was soll passieren?
Wir werden die Zahl der Kontrollen im Straßenverkehr systematisch ausbauen. Mehrere Kontrollmaßnahmen sind bereits für die Zeit nach den Sommerferien geplant. Für den Bahnhof haben wir eine ganze Reihe von Maßnahmen vor: So werden wir, sobald der Neubau am Bahnhof fertig ist, die Videoüberwachung auf das gesamte Areal rund um den Bahnhof ausdehnen und dafür rund eine Million Euro in die Hand nehmen sowie die Polizeipräsenz erhöhen.
Die Polizei wird ab sofort dafür sorgen, dass die Wartehäuschen der BSAG wieder von den Fahrgästen genutzt werden können und nicht als Trinkhallen zweckentfremdet werden. Wir werden auch aggressives Betteln unterbinden. Zudem planen wir, den Ordnungsdienst der Stadt weiter auszubauen. Insgesamt ist das ein Prozess, der auf Jahre angelegt ist. Wir müssen sozusagen wieder eine Basis schaffen und demonstrieren, dass es richtig teuer wird, wenn man sich nicht an die einfachsten Regeln hält, die für unser Zusammenleben nötig sind.
Das klingt nach einer Art Umerziehung – eine gewaltige Aufgabe.
Wir bekommen oft zu hören, was alles nicht geht. Doch Nichtstun ist in meinen Augen keine Alternative.
Vielleicht hätte man sich schon früher kümmern müssen und es gar nicht so weit kommen lassen dürfen.
Keine Frage, aber man braucht ausreichend Personal, um sich verstärkt den beschriebenen Problemen widmen zu können, ohne andere Aufgaben zu vernachlässigen. Die Zahl der Polizeibeamten wird in den nächsten Jahren zunehmen. Dem Senat ist klar, dass einiges unternommen werden muss, um die staatliche Kontrolle wieder herzustellen.
Ist das alleine eine Frage von Personalkapazitäten?
Ich glaube, es gibt eine Reihe von Ursachen für diesen Kontrollverlust. Sicherheit und Ordnung standen in Bremen lange Zeit nicht im Fokus. Beides galt eher als spießig. Zudem funktioniert die soziale Kontrolle in manchen Stadtteilen nicht mehr. Vor 20 Jahren wäre es übrigens nahezu undenkbar gewesen, einen Ordnungsdienst einzurichten. Heute hätte am liebsten jeder Beirat einen eigenen.
Ist die Lage Ihrer Einschätzung nach andernorts besser als in Bremen?
Alle Großstädte haben mit diesen Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber es gibt auch genug Beispiele, die zeigen, dass es anders geht. Andere Städte haben für ihre Hauptbahnhöfe, die klassische Anziehungspunkte für Konsumenten von Drogen und Alkohol und ein Kristallisationspunkt für Kriminalität sind, ein Gesamtkonzept erstellt, in das Verkehrsbetriebe, Anrainer und soziale Einrichtungen eingebunden sind. Ein ähnliches Verfahren betreiben wir in Bremen seit dem vergangenen Jahr. Die Ergebnisse werden wir in Kürze dem Senat vorlegen. In Bremen gibt es da einen gewissen Nachholbedarf.
Wie meinen Sie das?
Für den Maximilianplatz in München gilt eine Benutzungsordnung, die dem Bürger fast nichts mehr erlaubt. Das ist nun wirklich nicht das, was ich will. Aber Bremen befindet sich eher am anderen Ende der Skala. Aggressives Betteln oder die Trinkgelage in aller Öffentlichkeit sind in der Vergangenheit meist toleriert worden. Das allgemeine Hinwegsehen hat sich auch auf die Polizeibeamtinnen und -beamten ausgewirkt. Man überlegt sich zwei Mal, ob man einschreitet, wenn man später dafür heftig kritisiert wird.
Sind die Bremer mit ihrer Stadt schon einmal pfleglicher umgegangen?
Ja, das ist mein Eindruck. Es gibt bis heute Stadtteile, die sind in einem Top-Zustand. Bremen hat nicht insgesamt ein Problem, aber manche Quartiere und die Innenstadt haben sich negativ entwickelt. Das können wir nicht ignorieren. Die Sorge um staatlichen Kontrollverlust ist ein zentrales Thema in der Bevölkerung. Sie erwartet, dass der Staat seine Rolle wahrnimmt, dass er präsent ist und sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Wenn er nicht mehr in der Lage ist, die elementaren Bedürfnisse seiner Bevölkerung nach Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, verliert er die Bürgerinnen und Bürger. Der Aufschwung von Populisten, gerade von rechts, ist untrennbar mit dieser Entwicklung verbunden.
Wer neu in Bremen und politisch noch ein wenig orientierungslos ist, würde Sie nach diesen Ausführungen nicht gerade in der SPD verorten.
Keine Sorge, ich fühle mich sehr wohl in der SPD, auch mit dieser Haltung. Die Bevölkerung, die ich vertrete, findet die Zustände unerträglich. Ich weiß, was ich zu tun habe.
Und wer Orientierung hat, versteht Ihren Vorstoß als Wahlwerbung.
Ich glaube, das Innenressort hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass wir einen einmal eingeschlagenen Weg hartnäckig weiter verfolgen – ob wir uns in einem Wahljahr befinden oder nicht. Das haben wir beim Thema Rocker gezeigt oder auch beim Streit mit der DFL um die Fußballkosten. In Sachen Bahnhof erwarte ich schnelle Veränderungen. Für manches braucht man aber einen langen Atem.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.
Ulrich Mäurer ist seit zehn Jahren Innensenator. Zuvor war der Jurist Staatsrat beim Senator für Justiz und Verfassung. Seit 1970 ist er Mitglied in der SPD.