Knapp eine halbe Million Menschen dürfen in drei Wochen über die Geschicke des Landes Bremen entscheiden. Bei der letzten Bürgerschaftswahl machte die Hälfte von diesem Recht keinen Gebrauch. Die Politik gab sich damals schockiert, es war die niedrigste Wahlbeteiligung der Bremer Nachkriegszeit. Man müsse unbedingt etwas tun, um die Menschen für Politik zu begeistern, hieß es allenthalben. Jetzt sind vier Jahre vergangen, aber von Begeisterung ist wenig zu spüren. Eigentlich müsste der Wahlkampf mitten in der sogenannten heißen Phase stecken, aber SPD und CDU sind nicht über lauwarm hinausgekommen.
Das hat viel mit den Machtstrukturen zu tun: hier die selbstgefällige SPD, die seit über 70 Jahren unangefochten regiert, dort die CDU, die es sich in der Opposition nett eingerichtet hatte. Aber es liegt auch an deren Spitzenkandidaten. Wenn Carsten Sieling und Carsten Meyer-Heder aufeinandertreffen, lässt sich wenig Konfrontation spüren. Der Schulkonsens gilt, das Grundsätzliche steht in der Bildung nicht infrage, und alle wollen mehr Geld bereitstellen. Die Arbeitslosenzahl sinkt, die Wirtschaft wächst. Man könnte dann noch hart über die Verkehrspolitik oder die Zukunft der Innenstadt streiten, aber dazu kommt es nicht. Und so fehlen Konflikte über die großen Themen, für die sich die Menschen interessieren.
Der amtierende Bürgermeister Carsten Sieling wurde zwar nicht von den Bürgern in sein Amt gewählt, scheint aber gleichwohl auf einen Amtsbonus zu spekulieren, so präsidial gibt er sich. Ob ihm die Menschen den Landesvater abkaufen, lässt sich bezweifeln. Da sind wenig Wärme und Leidenschaft, da fehlt es an rhetorischem Geschick, und manche Rede, wie jüngst bei Kühne + Nagel, schludert er fahrlässig hin. Aber er ist ein erfahrener Politiker, der sich ihm bietende Chancen taktisch nutzt. Die Debatte über Frauen beim Eiswettfest half ihm, sich modern zu zeigen, das Wort von Schwachhausen und Oberneuland als Problemstadtteile diente dazu, in weniger gut situierten Gegenden anzukommen und sich einzuprägen. Weil das für die nötige Profilierung zu wenig sein dürfte, kommt Henning Scherf aufs Plakat.
Meyer-Heder spekuliert auf Wechselstimmung
Und Herausforderer Carsten Meyer-Heder? Der spekuliert offensichtlich darauf, dass die Wechselstimmung so groß ist, dass er nur auf seine Persönlichkeit setzen kann, ohne erklären zu müssen, wie er die Probleme genau lösen will. Nur: Was ist eigentlich von jemandem zu halten, der sagt, er sei kein gelernter Politiker, sondern Problemlöser? Nichts gegen eine Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Politik, aber sollte man nicht wenig- stens ein dauerhaftes Interesse an Politik dokumentiert haben, wenn man ins Rathaus will?
Der Kandidat ist hingegen erst vor einem Jahr in die CDU eingetreten, von vorherigem politischem Engagement ist nichts bekannt. Ist es wirklich egal, welche Probleme zu lösen sind? Dann sollte Meyer-Heder bitte schleunigst Bundeskanzler werden. Über den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den ehemaligen Investmentbanker, der aber durchaus politische Erfahrung vorzuweisen hatte, sagte der Autor Peter Handke jüngst in der „Zeit“, er sei zwar redlich und guten Willens. „Aber er hat keine Ahnung, worauf er sich da eingelassen hat.“ So ist es wohl auch hier, mit dem Unterschied, dass sich Meyer-Heder mit seiner Unkenntnis des politischen Geschäfts brüstet.
Wenn er tatsächlich die Wahl gewinnen sollte, hinge es von der Zusammensetzung seines Senats ab, ob etwas daraus wird. Leider gibt es keine Anhaltspunkte, worauf man sich einzustellen hat. Die fünf Männer und vier Frauen, die er zum Beraterteam berufen hat, sollen jedenfalls ausdrücklich kein Schattenkabinett darstellen. Kommen dann doch wieder Ex-Senatoren zum Einsatz, die eigentlich mit Regieren fertig waren? Reicht es Meyer-Heder mit dem Neuanfang, wenn er nur das Rathaus hat?
In den nächsten Tagen kommt die nächste Wahlumfrage, aber eine handfeste Koalitionsaussage werden SPD wie CDU wohl auch dann vermeiden. Für Rot-Schwarz oder Schwarz-Rot, also das Bündnis, das fälschlicherweise immer noch Große Koalition genannt wird, dürfte es arithmetisch reichen, politisch eher weniger. Am Ende könnte Maike Schaefer, die Spitzenkandidatin der Grünen, zu entscheiden haben, in welcher Konstellation – Rot-Rot-Grün, Schwarz-Grün, Jamaika, Ampel? – künftig regiert wird. Da ein Wechsel im Rathaus möglich zu sein scheint, dürfte die Wahlbeteiligung immerhin steigen. Bremen hätte trotzdem einen substanzielleren Wahlkampf zwischen SPD und CDU verdient. Aber es sind ja noch drei Wochen.