Seit Samstagvormittag ist die Einkaufsmeile Am Wall faktisch eine Einbahnstraße: Die Fahrspur von der Polizeiwache an der Ostertorstraße bis zur Kreuzung Herdentor entfällt für Pkw, stattdessen wurde hier neben dem bereits bestehenden Fahrradweg eine weitere breite Fahrradspur eingerichtet. Für die entsprechenden Markierungsarbeiten war der Wall am Vormittag kurzfristig komplett für den motorisierten Verkehr gesperrt worden. Die neue Fahrradtraße soll noch mit zusätzlichen Absperrungen zu einer "Protected Bike Lane" aufgerüstet werden. Die entsprechenden Arbeiten werden dann "unter fließendem Verkehr vorgenommen", teilt das Amt für Straßen und Verkehr mit.
Bei betroffenen Geschäftsleuten stoßen die Maßnahmen durchweg auf Kritik und Verständnislosigkeit. Drei Punkte werden unabhängig voneinander immer wieder genannt: Die Einzelhändler beklagen mangelnde Gesprächsbereitschaft der Verkehrsbehörde, weisen auf den bereits bestehenden und wenig genutzten Radweg hin und fühlen sich politisch nicht vertreten – auch nicht von den Oppositionsparteien in der Bürgerschaft.

Sorge um den Lieferverkehr: Porzellan-Händler Stefan Storch.
"Wir wurden ohne Kontaktaufnahme und Beteiligung vor vollendete Tatsachen gestellt", kritisiert Stefan Storch, seit 1994 Inhaber des Porzellangeschäfts D.F. Rabe/Hespen am Wall. So sei auch nicht geklärt, wie künftig der Lieferverkehr geregelt werden soll. Angeblich sollen die noch bestehenden Parkplätze vor den Geschäften dafür an Werktagen von 7 bis 11 Uhr gesperrt werden, doch Storch weiß davon nichts. Die vier Stunden seien ohnehin nicht ausreichend, denn Paketdienste kämen den ganzen Tag über zu den Geschäften. Gleiches gelte für Restaurants, die mit Lebensmitteln, Getränken und frischer Wäsche beliefert würden.
"Es geht nur ums Durchsetzen politischer Ziele", bedauert Storch. "Seitens des Senats gibt es keinerlei Kompromissfähigkeit." Dabei habe man doch schon harte Zeiten hinter sich am Wall: erst der Großbrand vor sechs Jahren, dann der Lockdown wegen der Corona-Pandemie.

Lieber eine Avenue als einen Fahrrad-Highway: Buchhändlerin Bettina Wassmann.
Auch Bettina Wassmann, die hier seit 52 Jahren einen kleinen Buchladen betreibt, ist "ganz empört". Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) müsste doch eigentlich aus dem Wall "eine Avenue" machen, eine gehobene Einkaufsstraße. Stattdessen habe man jetzt zwei breite Fahrradspuren, auf denen kaum Fahrradverkehr stattfinde.
"Die Grünen wollen hier etwas machen, was nicht funktioniert", schimpft die resolute Buchhändlerin, deren erster Vermieter Olaf Dinné war - Urgestein und Mitbegründer der Bremer Grünen. Wassmann hatte offenbar durchaus einmal Sympathien für deren Vorstellungen. "Kommunikation ist doch das A und O", sagt auch sie, aber nicht einmal die Taxi-Fahrer hätten am Morgen gewusst, wo sie nun noch entlang fahren und halten dürfen. Einen kleinen Vorteil der neuen Verkehrsführung nennt sie dann doch: "Es ist leiser geworden."
"Ich bin nur noch sprachlos" – Antje Horn, Geschäftsführerin des Modehauses Harms, findet nach kurzer Pause jedoch viele Worte der Kritik. "Wir hatten hier doch schon alle Varianten einer Sperrung, und immer hat man es sofort am Umsatz gemerkt", berichtet die elegante Geschäftsfrau. "Die Innenstadt wird kaputtgemacht, viele Kunden wollen eben nicht mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad zu uns kommen", sagt sie zwischen Kaschmir-Pullovern und Seidenblusen. Und dann habe man die neue Verkehrsführung auch noch "wegen ein paar Wählerstimmen" vorgezogen, was sie jedoch erst zu Beginn der Woche erfahren habe. So könne man aber nicht mit Geschäften umgehen, die zum Teil auch lange geplante Events veranstalteten.
Ein Ladenbetreiber, der seinen Namen nicht nennen möchte, warnt vor nicht mehr zu behebenden Schäden: "Kleine Geschäfte eröffnen hier doch gar nicht mehr. Die Stadt ist verloren, längst völlig abgehängt von Hamburg." Ein anderer, der eher hochpreisige Artikel anbietet, schlägt in dieselbe Kerbe: "Die solventen Kunden haben die Schnauze voll: Wir fahren lieber nach Hamburg – das höre ich hier jeden Tag." Und die Folgen seien am Wall sichtbar: "Immer mehr Büros statt Boulevard."
An diesem frühen Samstagnachmittag bietet sich ein vielschichtiges Bild: Die Außenbereiche der beiden Restaurants "Medio" und "Napoli" sind bis auf den letzten Platz besetzt, in den Geschäften hingegen verlieren sich nur wenige Kunden. Auf der verbliebenen Fahrspur Richtung Altenwall rollt der Verkehr wie an den Wochenenden zuvor, freie Parkplätze sind kaum zu finden. Gleich zu Beginn des rund 700 Meter langen Teilstücks gibt es zwei: vor der Ökostrom-Tankstelle der swb. Zum Laden von Elektro-Autos darf man hier zwischen 8 und 18 Uhr maximal drei Stunden parken, danach offenbar auch länger. Allerdings verkündet ein handgeschriebener und mit Panzerband befestigter Zettel "Ladesäule Defekt!!!" Die Verkehrswende in Bremen und ihre Hindernisse.