Die entscheidenden Weichen für den Bau eines nationalen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven – und nicht im deutlich größeren Hamburg, wo es ebenfalls entsprechende Ambitionen gab – wurden im Frühjahr 1969 gestellt. Als sich Bremerhaven beim Ende Juni 1969 tagenden Wissenschaftsrat um eine beträchtliche finanzielle Unterstützung durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung für das Museumsprojekt bewarb, hatte es zwei Trümpfe in der Hand: den Gebäudeentwurf eines namhaften Architekten und ein spektakuläres Ausstellungsstück von höchstem wissenschaftlichen Wert. Beide stachen. Bremerhaven wurde Standort des Deutschen Schifffahrtsmuseums (DSM).
Beim zweiten Trumpf handelte es um das Wrack einer im Oktober 1962 bei Baggerarbeiten in Bremen am linken Weserufer geborgenen Hansekogge, die Experten auf das Baujahr 1380 datierten. Ein einmaliges Fundstück. Mittelalterliche Koggen waren bis dahin nur in grafischen Darstellungen erhalten. Seine vor dem Verfall zu schützenden Einzelteile wurden bis zum Bau eines "Kogge-Hauses" zunächst in einer Lagerhalle beim Industriehafen in großen Bottichen in einer Speziallösung konserviert. Noch im November 1968 berichtete der WESER-KURIER vom bevorstehenden Bau eines Kogge-Hauses in Bremen bei Lankenau am linken Weserufer. Der Bremer Architekt Bernhard Wessel hatte den architektonischen Rahmen entworfen, die wissenschaftliche Begleitung des Projektes lag beim Focke-Museum. Doch dann setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine Bündelung beider Projekte, Museum und Kogge-Haus, für die Einwerbung öffentlicher Mittel die besseren Aussichten bot. Das Kogge-Haus sollte nun in das Schifffahrtsmuseum integriert werden.
Die Stadt zur Weser öffnen
Die Idee für ein Schifffahrtsmuseum am Alten Hafen, dem Ursprungsort der bremischen Gründung Bremerhaven, gewann Mitte der 1960er-Jahre Gestalt, als hier die Bark "Seute Deern" festmachte. Weitere historische Schiffe folgten, sodass sich dort eine Art Freilichtmuseum etablierte. 1967 wurde das "Kuratorium Schifffahrtsmuseum Alter Hafen e.V." gegründet. Für ein neues Museum sollte die schifffahrtshistorische Sammlung des lokal- und regionalhistorisch orientierten Morgenstern-Museums eingebracht werden, ebenso eine bedeutende Privatsammlung. Nach der Verlagerung des Hafenumschlags weiter nach Norden, besaß der Alte Hafen hafenwirtschaftlich nur noch eine geringe Bedeutung.
Deshalb gab es bereits seit den 1940er-Jahren Planungen für eine Erweiterung des Stadtzentrums in diesem Bereich bis zur Weser hin. 1940 schlug Heinrich Mangel, Stadtbaurat im damaligen Wesermünde, den Bau eines neuen Rathauses direkt am Weserdeich vor. Nach dem Krieg war es unter anderem der bekannte Architekt Ernst May, der in einem städtebaulichen Gutachten für Bremerhaven 1962 eine große Grünfläche, den Weserpark, zwischen Altem Hafen und Weser vorschlug. Darin eingebettet sollte eine Stadthalle liegen.
An dieses Konzept schlossen die neuen Planungen an, nur eben mit einem enger an den Hafen herangerückten Museumsneubau statt einer Stadthalle. Einen ersten Architekturentwurf für das Museum lieferte der Bremerhavener Architekt Helmut Bohnsack. Doch die Initiatoren mutmaßten, dass der Entwurf eines namhaften Architekten mit überregionaler Ausstrahlung größere Aussichten für eine Förderung des Projektes aus Bonn bedeuten würde. So kam es zu einer Kontaktaufnahme mit dem Architekten Hans Scharoun im April 1969. Diese Anfrage war durchaus mutig. Denn der in Bremen geborene Architekt, der seine Kindheit und Jugendzeit in Bremerhaven erlebt hatte, befand sich schon in einem fortgeschrittenen Alter. Ein halbes Jahr zuvor war im Feuilleton des WESER-KURIER ein ausführlicher Bericht anlässlich des 75. Geburtstags des Architekten erschienen.
Eine Herzensangelegenheit
Scharoun hatte bereits in den späten 1920er-Jahren beachtliche Erfolge als Vertreter der architektonischen Moderne sammeln können, musste sich in der NS-Zeit mit kleinen Privataufträgen durchschlagen und brauchte in der Nachkriegszeit trotz beachtlicher Wettbewerbserfolge (unter anderem beim Wettbewerb für die Bremer Stadthalle) lange, bis er sich wieder etablieren konnte. Der Durchbruch zu einem viel beachteten Spätwerk kam mit dem Bau der Berliner Philharmonie, die 1963 eingeweiht wurde und dem Architekten weltweite Anerkennung brachte. Danach waren seine Auftragsbücher prall gefüllt. Unter anderem baute er die Deutsche Botschaft in Brasilia, das Wolfsburger Stadttheater und die Berliner Staatsbibliothek.
Dass Scharoun trotz dieses späten Überangebots an Aufträgen beim Bremerhavener Ansinnen nicht lang gezögert haben dürfte, lässt sich in erster Linie biografisch erklären. Obwohl Scharoun seit seinem Studium seinen Lebensmittelpunkt überwiegend in Berlin gefunden hatte, blieb seine Herkunft von der Küste zeitlebens prägend. Fast in Sichtweite des vorgesehenen Bauplatzes, in dem Karlsburg-Komplex, lebte einst seine Familie. Das ehemalige Auswandererhaus wurde seinerzeit als Brauerei genutzt, Scharouns Vater war ihr kaufmännischer Direktor. Heute befindet sich dort die Hochschule Bremerhaven.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert, als Scharoun dort aufwuchs, waren noch die rasante Stadtentwicklung und die wirtschaftliche Dynamik einer lebendigen Hafenstadt unmittelbar sinnlich nachzuvollziehen. Sie hatten beim späteren Architekten einen bleibenden Eindruck hinterlassen. 1967 deutete er diesen in einem Vortrag an: "Ich wurde Zeuge der letzten Jahre einer stürmischen wirtschaftlichen Entwicklung. Die Weserkorrektion war noch nicht abgeschlossen, der Hafen war der bedeutende Umschlagplatz, die Personenschifffahrt funktionierte noch ohne Luftkonkurrenz. Es war die ständig erlebte Relation zwischen Wohnen und Arbeit, Hafen und Stadt, welche Bremerhaven ausmachte."
Scharoun lieferte bald einen Entwurf und kooperierte im weiteren Verlauf mit dem Bremerhavener Architekten Bohnsack. Als die Entscheidung für die Präsentation der Kogge in Bremerhaven fiel, änderte Scharoun noch einmal den Entwurf und fügte das "Kogge-Haus" als teilselbstständiges Bauteil an der Hafenseite an. Äußerlich weckte der Museumsentwurf Anklänge an ein Schiff, vor allem von der Weser aus. Schon in den Jahren der Weimarer Republik spielte Scharoun gern mit Dampferassoziationen, versuchte sogar "Konstruktionen des Schiffsbaus auf den Hausbau zu übernehmen", wie es in einem Brief des Architekten an einen Werftdirektor seiner Heimatstadt hieß. Ganz gemäß seiner Entwurfsphilosophie, Architektur nicht von der äußeren Form her zu denken, sondern als ein sich von innen nach außen vollziehender "Vorgang", fiel der formale maritime Anklang hier aber eher dezent aus. Das zeigt sich besonders im Kontrast zum rund zehn Jahre später entstandenen Alfred-Wegener-Institut von O. M. Ungers, der das "Haus als Schiff" zur gebauten Metapher erhob.
Wie schon bei der Berliner Philharmonie, ist auch beim Schifffahrtsmuseum das Raumerlebnis der entscheidende Faktor des architektonischen Entwurfs. Treppenfluchten, Licht von rechts, links, von oben, vielfache Blickangebote (auch nach draußen auf die Weser oder die Museumsschiffe im Hafen), leicht verdrehte Raumteile, Geschossebenen, die wie Decks ausgeführt sind – auf den ersten Blick mag die Innenraum-Landschaft etwas labyrinthisch wirken, doch durch die Wegeführung und geschickt gesetzte Treppen können sich die Besucher rasch orientieren. Alles in allem ein typischer Scharoun-Bau.

Das fast fertige Museum von der Weserseite 1973. Noch versperren nicht die Hochhausscheiben des Columbus Centers den Blick auf den Stadtkern.
Als das Gebäude am 4. September 1975 durch Bundespräsident Walter Scheel eingeweiht wurde, war Scharoun nicht mehr dabei. Er verstarb am 25. November 1972 im Alter von 79 Jahren. Bohnsack und der Scharoun-Mitarbeiter Peter Fromlowitz setzten die Planungen um. Im Süden wurde die Bauanlage noch durch eine Bootshalle ergänzt. Hier entstand später ein Erweiterungsbau des Berliner Architekten Dietrich Bangert, der 2000 eröffnet wurde und durch seine formale Eigenständigkeit einen gelungenen Kontrast zum Scharoun-Bau setzt. 2019 begonnene größere Umbau- und Renovierungsarbeiten führten dazu, dass der von Scharoun entworfene zentrale Teil des Museums – mit Ausnahme des Kogge-Hauses – zurzeit nicht zugänglich ist. Unter dem Stichwort "An Bord – Schiffe verändern die Welt" soll die Ausstellung in diesen Räumen neugestaltet werden. Ein Eröffnungstermin steht noch nicht fest.