Sie ist die Älteste in Deutschland: Die Bremer Seemannsmission existiert seit mehr als 160 Jahren. So lange kümmert sie sich um die Sorgen und Nöte von Seeleuten, bietet Unterkunft und ein offenes Ohr, versorgt die Schiffe mit Alltagsgegenständen.
Die Ehrenamtlichen und Beschäftigten der Seemannsmission besuchen die Schiffe und schauen nach dem Rechten. Auch in Corona-Zeiten sind Leiter Magnus Deppe und sein Team jeden Tag unterwegs und 24 Stunden am Tag über das Handy erreichbar: In den Häfen in Bremen sind sie eine feste Instanz. Sie bringen Zeitungen, Schokolade, Chips, Hygieneartikel und andere Kleinigkeiten an Bord, versorgen die Seeleute je nach Bedarf. Nicht alle Häfen können im Moment diesen Service bieten, in vielen sei der Besuch verboten. In der Corona-Zeit können die Seeleute das Schiff meist nicht verlassen. Sie sitzen fest. „Ist ja klar: Auf dem Schiff sind sie in einer Art festen Quarantäne, da kann ihnen nichts passieren“, sagt Winfried Schumann, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Seemannsmission, der früher selbst jahrelang Kapitän war und zur See gefahren ist.

Etwas zu lesen, einige Pflegeprodukte, oft auch Süßes: Das Team der Seemannsmission kommt direkt zum Schiff.
Die Menschen freuen sich, mal andere Gesichter als die eigene Mannschaft zu sehen. Sobald der Transporter der Bremer Seemannsmission vorfährt, winken sie vom Deck aus, einige Seeleute an Bord tragen bereits das blaue Halstuch der Bremer Seemannsmission, welches sie schon bei früheren Besuchen bekommen haben. Die Seemannsmission will eine angenehme Begegnung in Bremen gestalten, sodass die internationalen Seefahrer sich positiv an die Stadt erinnern. Manche Schiffe sind alle zwei Wochen für ein bis zwei Tage in Bremen – die Crew, der Kapitän und die Leute von der Mission kennen sich und sind befreundet. „Gestern kamen wir bei einem Schiff an, da riefen die schon von oben runter Bremer Mission – ‚best mission in the world‘“, erzählt Schumann. Man merkt ihm an, dass ihn das stolz macht.
Früher hieß die Mission Bremer Seemannsheim – und bis vor Kurzem gehörte eben noch genau so eine Stätte zu dem Verein – eine Unterkunft für Seeleute und ihre Familien. Gegründet hat dieses Heim der Reeder Johann Carl Vietor – „aus purem Egoismus, wie ich finde“, sagt Michael Klee. Er arbeitet seit 35 Jahren bei der Seemannsmission und erzählt, dass Vietor das Seemannsheim damals gründete, um auf seine Seeleute ein Auge haben zu können. „Damit die Mannschaft, wenn sie wieder aufs Schiff muss, noch arbeitsfähig ist und nicht alles, was sie verdient, schon ausgegeben hat“, sagt er. So in etwa stehe es auch in der alten Hausordnung. Diese beinhaltet eine Reihe fester Regeln ...
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Eine religiöse Zugehörigkeit war nicht verpflichtend oder eine Voraussetzung. In der damaligen Hausordnung stand zur Morgen- und Abendandacht: „Die Teilnahme daran ist eine freiwillige, es wird aber gehofft, dass jeder Hausgenosse sich gern beteiligen wird, da ein Tag mit Gott angefangen und mit ihm geschlossen nicht ohne Segen bleiben kann.“ Träger der Bremer Seemannsmission ist auch heute noch die evangelische Kirche – Leiter Magnus Deppe ist auch Diakon. Die Mitglieder der Seemannsmission haben eine klare Einstellung zu dem religiösen Einfluss ihrer Organisation: „Der Begriff Mission bedeutet für uns Auftrag, nicht Missionierung.“

Magnus Deppe leitet die Bremer Seemannsmission.
Trotz der Regeln war das Seemannsheim ein Zuhause für viele. Bis es im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, befand sich das Heim sich am Korffsdeich. Danach ging es kurzzeitig im Volkshaus, der Stätte der Bremer Gewerkschaften, oben unter dem Dach provisorisch weiter. Nach Kriegsende kam die offizielle Änderung vom Bremer Seemannsheim zur Bremer Seemannsmission. 1955 zog diese in die Nähe der Kirche St. Stephani. Bis 2018 befand sich dort auch das Hotel der Mission. In diesem gab es bis zum Schluss auch viele Dauergäste.
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Dieses Hotel gibt es seit 2018 nicht mehr. Seitdem ist der Sitz der Bremer Seemannsmission mit ihrem Seemannsklub auf dem alten Use-Akschen-Gelände in Gröpelingen. Die Hauptgeschäftsstelle der Deutschen Seemannsmission, der Dachorganisation, ist mittlerweile von Bremen nach Hamburg gezogen. „Die Nachfrage der Seeleute nach einer Unterkunft war einfach nicht mehr da“, sagt Klee. Es seien immer weniger Seeleute für eine Übernachtung da gewesen, sondern immer mehr klassische touristische Gäste. „Das war auch schön, aber das war ja nicht der eigentliche Sinn des Heims.“ Deshalb habe man sich dazu entschieden, das Heim zu schließen.
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Die moderne Seemannsmission übernimmt viele unterschiedliche Aufgaben. „Für die Seeleute ist wichtig, dass jemand von außerhalb für ein Gespräch da ist“, sagt Leiter Deppe. Die Seeleute sind monatelang unterwegs, fern von Familie und Freunden. Den Großteil ihrer Zeit verbringen sie auf engem Raum nur mit den anderen Crewmitgliedern. Das belaste. Der Druck könne auf Dauer zu viel werden. Was einem Fremden im Hafen erzählt werde, bleibe dort – in diesem Fall in Bremen. Der Seemann müsse so gegenüber seinen Crewmitgliedern keine Schwäche zeigen. Und das gelte für den Kapitän wie für den Koch. „Man merkt, ob die Mannschaft passt, ob Spannungen da sind. Darauf versuchen wir einzugehen oder zumindest kurz einen positiven Moment zu gestalten“, sagt Deppe.

Im Magazin gibt es viel Wissenswertes über Bremen und seine Häfen.
Außerdem haben die Seeleute, wenn die Pandemie es zulässt, die Möglichkeit, regelmäßig mit einem Shuttle in den Klub der Seemannsmission zu fahren. Der Shuttledienst steht jeden Nachmittag zur Verfügung. „Wir sind direkt gegenüber der Waterfront, das wird oft zum Shoppen genutzt“, sagt Deppe. Der Klub Lighthouse ist im zweiten Stock des Lichthauses in Gröpelingen.
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„Ich bin jetzt 35 Jahre dabei, die Arbeit verändert sich konstant, wir müssen uns immer etwas anpassen“, sagt Klee. Das sei zugleich Segen und Fluch finden die Beschäftigten der Seemannsmission. Die Seeleute können so zwar auch auf See Kontakt zu ihren Familien halten, sechs bis acht Monate seien viele an einem Stück unterwegs. Auf der anderen Seite werde auf diese Weise aber die Sehnsucht nach dem Heimatland häufig nicht geschmälert, sondern eher verstärkt. Um diesen Zugang zu vereinfachen, hat die Mission in ihrem Klub zwei WLAN-Boxen. Bei einem längeren Aufenthalt einer Crew im Hafen können sie dann an Bord gebracht werden.
Die Umstände haben sich verändert. Ein Seemannsheim gebe es in Bremen nicht mehr, aber die Arbeit sei nicht weniger relevant als früher, sagt Deppe. Bis zu 200 Schiffe kommen im Monat in die Häfen, 2500 Seeleute wollen von der Mission jeden Monat versorgt werden. Gerade jetzt, während der Pandemie ist der Kontakt wichtig: „Die freuen sich, dass wir kommen, dass man an sie denkt“, sagt Deppe. Und das macht die Seemannsmission in Bremen seit 160 Jahren und wird es weiter machen: an die Seeleute denken.
[***] Dieses ist eine gekürzte Version des deutlich längeren Originaltextes. Die vollständige Version finden Sie im Magazin.