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Neue Chefin für Flugsicherheit in Bremen Die Überfliegerin

Pro Tag passieren 1700 Flugzeuge den norddeutschen Luftraum. Und Christine Schierhorn trägt die Verantwortung dafür, dass sie alle sicher ihr Ziel erreichen.
08.08.2015, 00:00 Uhr
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Die Überfliegerin
Von Kira Pieper

Pro Tag passieren 1700 Flugzeuge den norddeutschen Luftraum. Und Christine Schierhorn trägt die Verantwortung dafür, dass sie alle sicher ihr Ziel erreichen. Denn sie ist Chefin der Kontrollzentrale der Deutschen Flugsicherung (DFS) in Bremen. Die Zentrale ist für den Luftraum in ganz Norddeutschland zuständig und ist damit eine von insgesamt vier Kontrollzentralen in Deutschland. Während die anderen Zentralen von Männern geleitet werden, ist Schierhorn die einzige Frau. Und nicht nur das: Sie ist auch deutschlandweit die erste Frau, die diese Position ausfüllt.

Doch darüber möchte die zierliche 36-Jährige erst einmal nicht reden. Wenn sie über ihren Chefposten spreche, dann wolle sie über ihren Beruf sprechen und nicht über ihre Rolle als Frau, sagt sie. Gut. Was macht der Chef einer Kontrollzentrale eigentlich? „Ich bin der Betriebsleiter“, erklärt Schierhorn. „Ich trage die Endverantwortung. Ich bin zwar nicht diejenige, die mit den Piloten spricht, aber natürlich vertraue ich darauf, dass unsere Lotsen einen guten Job machen. Meine Aufgabe ist es, dafür optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen.“

Und dafür beginnt sie ihren Arbeitstag jeden Morgen um 7.30 Uhr und beendet ihn manchmal erst um 22 Uhr.„Dann kommt schon mal der Pförtner vorbei und guckt, ob ich noch atme“, sagt sie und lacht. Ein so langer Tag, um gute Arbeitsbedingungen für das Personal zu schaffen? Nicht nur: In der Luft über Deutschland tut sich einiges, was einer umfangreichen Planung bedarf. Zum Beispiel stehen Änderungen an, wenn der neue Flughafen in Berlin ans Netz geht. Auch dieser gehört zum norddeutschen Luftraum. Im Großraum Berlin werden sich dann die An- und Abflugrouten ändern. Und: Der Flugverkehr in Europa soll allmählich vereinheitlicht werden.

Ihr Traum war ein anderer

Dabei war das alles gar nicht Schierhorns Traum. Nach dem Abitur wollte sie eigentlich Bauingenieurswesen in England studieren. Dann erzählte ihr eine Bekannte, dass sie gerade durch den Einstellungstest bei der Flugsicherung gefallen sei. „Nur fünf Prozent bestehen“, sagt Schierhorn. Die Chance, bei bis zu 3000 Bewerbern durchzukommen, ist also verschwindend gering. Da habe sie sich angestachelt gefühlt, es auch mal zu versuchen. Einfach nur so. Prompt kam sie durch. 1999 fing sie im Tower am Flughafen Köln/Bonn an.

Ein toller Job, bei dem es auf schnelle Entscheidungen ankomme, sagt Schierhorn. Damit sie mehrere Flugzeuge gleichzeitig durch den Himmel navigieren können, brauchen Lotsen räumliches Vorstellungsvermögen, und sie müssen sich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren können. Pflichtbewusstsein sei wichtig, ja, aber man müsse sich bei der Arbeit auch frei von dem Gedanken machen, dass in jedem der Punkte auf dem Bildschirm 300 Menschen sitzen, sagt die 36-Jährige. Die verantwortungsvolle Aufgabe wird gut entlohnt: Das Einstiegsgehalt eines Fluglotsen beträgt 100 000 Euro brutto pro Jahr.

Doch die Arbeit im Tower lastete Christine Schierhorn irgendwann nicht mehr aus: Zwar arbeite man als Lotsin nicht nach dem „Schema F“. Aber: „Mit der Zeit hat man einfach seine Lösungen parat, wie man die Flugzeuge schicken muss.“ Als 2012 eine neue Tower-Leitung in Hamburg gesucht wurde, bewarb sie sich. „Ich habe gesagt, dass ich mir das zutrauen würde“, sagt sie. Und das, obwohl sie bislang lediglich als Lotsin gearbeitet hatte und nicht als höher gestellter Teamleiter und Supervisor. „Das war ich nie. Aber ich wollte immer schon mitreden und mitgestalten und war deswegen im Betriebsrat.“ Die Entscheider trauten der Lotsin auch ohne Führungserfahrung den Chefposten am Hamburger Flughafen zu.

Und nun also die Leitung der Kontrollzentrale Bremen. 520 Männer und Frauen arbeiten dort. „Hier habe ich alles mal zehn“, sagt sie. „Zehn mal mehr Mitarbeiter und zehn mal mehr Verantwortung als im Tower in Hamburg.“ Diese Frau liebt Herausforderungen – und sucht nach ihren Grenzen.

Darauf lassen auch die Fotos an der Wand in ihrem Büro schließen. Sie zeigen Triathlon-Wettkämpfe, und in einer Vitrine liegen Medaillen. „Ich laufe in der Woche 60 Kilometer“, sagt sie. Früher sei das mal wesentlich mehr gewesen. „Ich brauche das. Beim Laufen kann ich gut nachdenken.“Aber selbst mit diesem Hobby sind die 24 Stunden pro Tag noch nicht ausgereizt. Denn eine Familie hat Christine Schierhorn auch noch.

„Meine Familie lebt noch in Hamburg, wird aber bald nach Bremen ziehen“, sagt sie. Und so managt sie vom Schreibtisch aus auch noch ihr Familienleben. „Ich bin den ganzen Tag mit unserem Au-pair im SMS-Kontakt“, sagt sie. Auf den Umzug ihrer Familie nach Bremen freut sie sich sichtlich: Die Hansestadt gefällt der gebürtigen Wuppertalerin gut: „Die Bremer sind sehr offen für alles. Das ist nicht überall so, das habe ich auch schon anders erlebt.“

Ständige Rechtfertigung als Frau

Natürlich möchte sie auch gerne wieder tagtäglich ihren Ehemann und ihre vier, fünf und acht Jahre alten Söhne um sich haben und sie nicht mehr nur am Wochenende sehen. Dennoch hat sie es nie bereut, sich für die Karriere in Bremen und damit für eine Fernbeziehung zur Familie entschieden zu haben. „Ich lasse mir kein schlechtes Gewissen machen“, sagt sie. Und dann redet sie doch noch über dieses „Frauen-Ding“, wie sie es selber nennt. Sie ärgere es, sich als Frau ständig rechtfertigen zu müssen. „Ich glaube nicht, dass Männer in meiner Position gefragt werden, wie sie das Chef-Sein mit dem Vater-Sein verbinden.“ Sie sei einfach nicht der Typ, der zu Hause bleiben könne. „Und wenn ich unglücklich bin, haben meine Kinder doch auch nichts von mir“, sagt sie und verschränkt die Arme. Natürlich hätten ihre Kinder, dadurch dass sie seltener zu Hause sei, eine engere Bindung zum Vater als zu ihr. „Wenn sie hinfallen, schreien sie halt eher nach Papa als nach Mama. Aber damit muss ich eben leben“, sagt Schierhorn.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Widerspruch zwecklos. Sie hat gelernt, sich durchzusetzen. In der Männerdomäne Fliegerei kommt sie mit dieser Eigenschaft gut zurecht. „Ich weiß, manchmal lasse ich das Chef sein zu sehr raushängen.“ Aber man könne nicht immer alles ausdiskutieren und basisdemokratisch entscheiden. Manchmal brauche es jemanden, der auf den Tisch haue und Entscheidungen treffe. „Die Leute wollen das so.“ Und weil das so ist, organisiert sie gerade in der Schule ihres Sohnes auch noch ein Fest.

Hat diese Frau auch Schwächen? „Klar hab ich die. Es ist nur eine Frage, wie man mit ihnen umgeht“, sagt sie. Und dann wird sie ernst: „Ich bin rastlos. Ich bin eine Schnelldenkerin und merke oft, dass mir die Leute während meines Denkprozesses nicht folgen können.“ Als Chefin habe sie lernen müssen, dass sie auch mal mit 95 Prozent Leistung ihrer Mitarbeiter zufrieden sein muss. „Auch wenn ich selber immer 130 Prozent geben möchte.“

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