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Interview zum Masterplan Überseestadt „Dudler ist in Bremen ein Schimpfwort“

Vor fast 15 Jahren hat Manfred Schomers mit seinen Partnern den Masterplan Überseestadt erarbeitet. Heute ist der Architekt nicht mit allen Entwicklungen im Ortsteil und in Bremen einverstanden.
06.09.2017, 18:28 Uhr
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Von Maren Beneke und Jürgen Hinrichs

Den Masterplan Überseestadt gibt es seit mittlerweile fast 15 Jahren. Es hat sich vieles anders entwickelt, als Sie es damals entworfen haben. Wie gehen Sie damit um?

Manfred Schomers: Der Masterplan kommt nicht nur aus einer Feder. Unser Büro hat ihn in Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten WES aus Hamburg und den Verkehrsplanern BPR aus Hannover entwickelt. Seither ist er mehrfach angepasst und fortgeschrieben worden. Das gehört dazu. Auch damals gab es schon die eine oder andere heftige Diskussion.

Worum ging es dabei?

Wir haben darüber diskutiert, ob zu viele Grünflächen eingeplant sind. Aus meiner Sicht eine absurde Debatte. Es gibt schließlich nur eine 1A-Lage – und das ist die am Wasser. Für alle anderen Lagen muss eine besondere Adressbildung geschaffen werden. Deswegen wollten mein Büropartner und ich mehrere Grünstrukturen als Ausgleich durch die Überseestadt ziehen. Es hieß dann aber: zu viel ungenutzte Fläche. Das Ergebnis ist wie so oft ein Kompromiss.

Nun entsteht mit der Weichen Kante ein neues Naherholungsgebiet. Einige Hafenbetriebe setzen sich dagegen zur Wehr, weil sie Ärger mit den Besuchern befürchten. Sind die Unternehmen zu empfindlich?

Diesen Grundkonflikt gibt es in jedem Hafengebiet. Deswegen muss in jedem Einzelfall jeweils erneut abgewogen werden, wie damit umgegangen wird. Wir könnten uns viel öfter ein Beispiel an den Niederländern nehmen. Die sehen deutlich weniger Probleme, wenn sie Wohnungen in ein Hafengebiet bauen – aber eben mit den entsprechenden Regeln und Auflagen.

Solche Regeln gibt es zum Beispiel für die sogenannten Mischgebiete, in denen andere Grenzen für Emissionen gelten. Trotzdem hat es in der Überseestadt wegen des Lärms in der Vergangenheit Ärger mit Anwohnern gegeben.

Es gibt zwei Grenzwerte beim Lärm, nachts liegen sie niedriger als tagsüber. Mit Verkehrslärm kann man gut umgehen, weil er am Abend in solchen Gebieten abnimmt. Aber der Gewerbelärm bleibt rund um die Uhr. Deswegen sollten Toleranzgrenzen für Maßnahmen am Gebäude liberaler werden.

In Bremen hat man sich auf das Bremer Modell geeinigt. Die Pläne für ein Bürohaus direkt am Holz- und Fabrikenhafen sind aber gescheitert, weil sich die Unternehmen vor Gericht durchgesetzt haben. Finden Sie die Entscheidung richtig?

Nein, auf keinen Fall. Es gibt viele Möglichkeiten, sich vor diesem Lärm im Gebäude zu schützen. Und jeder, der an solch einem Ort ein Bürohaus bauen will, weiß, was er tut. Auf der Fläche gleich gegenüber sind Büros durch Umnutzung alter Gewerbebauten entstanden.

In Ihrem ursprünglichen Masterplan war vorgesehen, dass in direkter Nachbarschaft zum Kellogg-Werk Wohnen als Sonderform möglich ist. Nun könnte es durch den Verkauf des Geländes tatsächlich so weit sein. Was wünschen Sie sich für das Areal?

Es ist das interessanteste Gebiet in der Überseestadt überhaupt. Die Lage direkt am Fluss mit Südausrichung, dazu die Nähe zur Innenstadt – aus meiner Sicht wäre das Areal prädestiniert für Wohnbebauung. Natürlich nur, wenn die Probleme mit dem Hochwasserschutz und den Altlasten geregelt sind. Das Wichtigste ist, dass sich die Beteiligten Zeit lassen. Wirtschafts- und Bauressort müssen einen gemeinsamen Weg finden.

Wohnen am Wasser ist so begehrt wie nie. Der Überseehafen ist zugeschüttet worden, da gab es noch keinen Masterplan. Dadurch fehlt heute in einem Teilgebiet die Nähe zum Wasser. War das ein Fehler?

Aus der damaligen Sicht war dieser Schritt verständlich, denn man brauchte viel Platz für den Großmarkt. Die Politik entschied sich dann dafür, den Hafen zuzuschütten. Man hat sich damit erstens der Unterhaltung eines nicht mehr funktionierenden Hafens entledigt und zweitens den Großmarkt untergebracht.

Ein Startschuss für die weiteren Planungen.

Für das frei gewordene Gebiet sollte ein Rahmenplan erstellt werden. Und der umfasste ein immer größeres Gebiet, wurde immer präziser. Der Masterplan ist nach dem Vorbild des Quartiers der klassischen europäischen Stadt entstanden, also mit Blöcken von 50 bis 70 Metern Länge. Diese Größeneinteilung hat den Vorteil, dass dort mittleres Gewerbe und auf jeden Fall Büros und Wohnungen mit Licht, Luft und Sonne untergebracht werden können.

In der Überseestadt gibt es heute nicht mehr nur teure Immobilien, sondern seit wenigen Jahren auch sozialen Wohnungsbau. War es höchste Zeit, dass Politik eingreift, um einen vernünftigen Mix hinzubekommen?

Ich finde es richtig, dass die Stadt eine Quote für sozialen Wohnungsbau einfordert. Schließlich gibt es in Bremen zu wenig preiswerten Wohnraum. Das Problem ist aber, dass geförderter Wohnungsbau bei den Kosten meist sehr gedeckelt und mit Vorschriften überhäuft ist.

Das heißt: Die Häuser passen optisch nicht in die Überseestadt?

Darüber ließe sich lange philosophieren. Die Gebäude an der Marcuskaje sind das erste Beispiel für sozialen Wohnungsbau. Von der Organisation her macht es Sinn, von der Architektur her ist es trivial. An der Marcuskaje wurden zu viele gleiche Elemente, die nichtssagend sind, addiert. Das Schlimme ist: Der Nächste, der baut, könnte diesem Vorbild folgen. Dabei kann auch ein Haus, das mit einfachen Mitteln gebaut wird, interessante Architektur sein.

Es gibt ja ein paar markante Punkte wie den Landmark-Tower. Gefällt der Ihnen?

Nein, den finde ich zu einfach angelegt: kein richtiger Sockel und kein markanter Abschluss. Das Motiv mediterraner Ferienhausarchitektur mit gestapelten umlaufenden offenen Balkonreihen passt nicht zu einem Hochhaus.

Und das neue Bürohaus an Bömers Spitze?

Das Gebäude bedient ein modisches Klischees: Ein Rahmen wird wie ein Netz über die Fassade gespannt, dazwischen Glas – fertig ist das Haus. Solch skelettierte Architektur gibt es zu oft. Man sollte darauf achten, dass bei zu viel Einfachheit nicht Langeweile entsteht. Für diesen unglaublichen Ort jedenfalls finde ich das Gebäude zu simpel. An dieser Stelle hätte etwas Einmaliges entstehen können. Als Beispiel sei nicht nur der Anspruch des Chile-Hauses in Hamburg genannt, sondern auch viele Eckpositionen Bremer Häuser.

Die Überseestadt gibt es als Wohnstadtteil seit noch nicht einmal 15 Jahren. War die Entwicklung zu rasant?

Überhaupt nicht. Nur hat niemand damit gerechnet, dass es so schnell geht. Wir haben eher mit einem Zeitraum von 30 bis 40 Jahren geplant.

Aber das schnelle Wachstum bringt eine Menge Probleme mit sich. Den täglichen Verkehrskollaps am Nachmittag zum Beispiel. Haben Sie den Verkehr damals unterschätzt?

Ursprünglich waren zwei Hauptwege geplant, die aber so nicht realisiert wurden. Die Hauptachse Konsul-Smidt-Straße hat in der Breite noch Reserven.

Insgesamt gibt es viel Kritik an der Überseestadt, die Architektur sei zu wenig aufregend. Wie sehen Sie das?

Es gibt in der Überseestadt viele interessante Elemente, die erst auf den zweiten Blick ihre Architekturqualität zeigen. Am Speicher 1 stehen sieben Häuser, die alle die gleiche Höhe, Breite und Tiefe haben. Und doch ist jedes Haus von einem anderen Architekten entworfen worden, und damit sind auch alle Häuser unterschiedlich. Sie sind wie Geschwister einer Familie. Die Überseestadt ist mit seinen großen Speichern und Schuppen in Verbindung mit ähnlich gestalteten Neubauten und einigen Höhepunkten durchaus differenziert. An der einen oder anderen Stelle würde ich mir allerdings mehr Architekturqualität wünschen.

Haben die Stadt und ihre Gesellschaft in der Bauplanung keinen Mut?

Bremen zählt zu den architektonisch konservativen Städten. In dem Moment, in dem ein Gebäude geplant wird, an dem man sich reiben kann, gehen die Bremer auf die Barrikaden. Nehmen wir die Architektur von Max Dudler: Überall in Europa wird sie hochgeschätzt und prämiert. Nur in Bremen wird Dudler als Schimpfwort verwendet. Das ist intolerant und ein Ausdruck von Ignoranz. Unter diesen Voraussetzungen würde das Haus der Bürgerschaft heute mit Sicherheit nicht mehr gebaut werden.

Welche Rolle spielt das Bauressort?

Eine herausragende, für die Entwicklung der Stadt die wichtigste. An die Spitze der Bauverwaltung gehört deshalb eine ausgewiesene Fachkraft für Städtebau und Architektur.

Das Gespräch führten Maren Beneke und Jürgen Hinrichs.

Zur Person:

Manfred Schomers war viele Jahre Professor für Entwerfen an der Universität Hannover. Nach wie vor arbeitet er als Architekt und Stadtplaner und leitet in Bremen ein eigenes Architekturbüro. Schomers hat neben Bauten in der Hansestadt, darunter das Kontorhaus am Markt, Gebäude in Berlin, Dresden (Altmarkt-Galerie) und Leipzig entworfen und weiterentwickelt. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet.

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