Bis zu den tödlichen Schüssen auf eine Polizistin und ihren Kollegen in Rheinland-Pfalz war von Wilddieben lange nicht die Rede gewesen. Marcus Henke, Vizepräsident der Landesjägerschaft Bremen, vermutet, dass das Phänomen Wilderei immer dann zunimmt, wenn die sozialen Rahmenbedingungen schlechter werden. "Das war nicht nur früher oder nach dem Krieg ein Thema, das ist hochaktuell." Er erinnert sich nur zu gut daran, wie ihm als einst jungem Jäger im Forstpraktikum ein bewaffneter Mann begegnete, der nicht etwa die Flucht ergriffen, sondern ihn durch den Wald verfolgt habe. "Das kann lebensgefährlich werden. Als Jäger ist man draußen häufig allein und in Gefahr. Wilderermorde hat es immer gegeben."
Diese Auffassung teilt auch Michael Ohlhoff, Jäger aus der Nähe von Sittensen. "Durch diesen extrem tragischen Fall ploppt das jetzt wieder auf. Im Wald ist es noch viel gefährlicher, Wilderer zu stellen." Als Wolfsberater und Jagdaufseher ist Ohlhoff auch viel in der Nachbarschaft Bremens unterwegs und weiß: "Das Problem der Wilderei hat sich verschlimmert und wird von der Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen." Das liege nicht zuletzt daran, dass so wenige Taten angezeigt würden.
Oftmals mangelt es an verwertbaren Spuren
In den seltensten Fällen verlaufe die Sache so eindeutig wie vor zwei Wochen im Blockland, sagt Marcus Henke: "Am Kuhgrabensee wurden die Reste eines Rehs gefunden, an der Straße hinter einem Zaun versteckt. Es waren nur noch Haupt, Decke und Läufe da." Das Tier sei fachkundig zerlegt und nur das Fleisch mitgenommen worden. Ein klarer Fall für ihn, oftmals mangele es aber an verwertbaren Spuren. "Ein Reh wiegt 16 bis 18 Kilogramm, das kann man auch wegtragen", sagt Henke. Das Kilo Rehfleisch koste zwischen 35 und 45 Euro. Die Nachfrage sei so hoch wie nie.
Und nicht nur das. "Wir haben tatsächlich mal ein totes Reh gefunden, dem ein Stück Fleisch aus der Keule geschnitten worden war. Ganz merkwürdige Sachen passieren hier", meint Marcus Henke. In Borgfeld und Wasserhorst seien Rehe mit Pfeilen und mit Armbrustbolzen beschossen worden. Vergangenes Jahr war ein illegal getötetes Reh in Hemelingen entdeckt worden, wie Stadtjägermeister Harro Tempelmann berichtet. Ein getroffenes Reh könne trotz Blattschuss unter Umständen noch 50 bis 70 Meter weit laufen, ehe es zusammenbreche. Ihm im Dunkeln nachzuspüren, sei zu gefährlich für den Wilderer. Wäre das tote Tier nicht gefunden worden, wäre dieser Fall vermutlich unbemerkt geblieben.
Marcus Henke geht davon aus, dass die Dunkelziffer auch in den 36 Bremer Jagdrevieren hoch ist. "Die meisten Jäger dürften früher oder später mit Wilderei in Berührung kommen." In der Bremer Polizeistatistik für das Jahr 2020 taucht nur ein einziger Fall von Jagdwilderei auf – und der blieb ungelöst. In Niedersachsen waren es 102 Fälle, 37 davon wurden aufgeklärt.
Jäger Michael Ohlhoff hat bereits zweimal Anzeigen wegen Wilderei erstattet. "Beide Male sah die Staatsanwaltschaft kein ausreichendes öffentliches Interesse, um die Sache weiterzuverfolgen." Aktuell seien die Polizei und er einem Duo im Kreis Harburg auf den Fersen. Aber auch in der Nähe Bremens gibt es immer wieder Indizien, die oft nur zufällig bemerkt werden: "Vor Jahren haben wir in Burgdamm im Busch versteckte Schlingfallen gefunden", sagt Harro Tempelmann. Eine tierquälerische Fangmethode, die ausnahmslos verboten und doch nicht so selten sei: "Viele scheinen das als eine Art Hobby zu betreiben, für die ist das einfach was zu essen", vermutet Michael Ohlhoff. Diese Fallen seien für Hasen und Kaninchen gedacht, "aber es haben sich auch schon Rehböcke in den Schlingen verfangen und sind verendet".
Fischwilderei als häufiges Problem
Deutlich häufiger als Jagdwilderei kommt die Fischwilderei vor: 2020 wurden in Bremen 26 Fälle angezeigt und beinahe alle aufgeklärt, in Niedersachsen 206 von 236 angezeigten Fällen. Rolf Libertin, Vizepräsident Fischereiaufseher des Landesfischereiverbandes Bremen mit 6300 Mitgliedern in 18 Vereinen, geht von einer sehr großen Dunkelziffer aus. "Fast alle Gewässer in Bremen sind verpachtet, das gilt auch für Ochtum und Wümme. Für die Weser gibt es das alte Stockrecht, das allen Bürgern erlaubt, in der Weser zu angeln", sagt er. Dazu brauche man allerdings einen Schein vom Stadtamt – "und die Weser ist nicht komplett frei, sondern es gibt Schongebiete, was nicht alle wissen". Und Schonzeiten – seit Anfang Februar für Raubfische wie Zander, Hecht und Barsch.
In der Regel reiche es aus, bei Verstößen Ermahnungen auszusprechen, sagt Rolf Libertin. "Wenn dann die Sachen eingepackt werden, ist die Sache für uns erledigt. Nur wenn jemand bockig ist oder pampig wird, gibt es eine Anzeige. Aber wir versuchen lieber, die Leute in die Vereine zu holen. Nur bei Verstößen gegen Tier- und Artenschutz sind wir gnadenlos." Aber Libertin hat auch Verständnis für Kinder, die sich als Angler versuchen. "Seit ich zwölf war, habe ich einen Fischereischein, sagt der 73-Jährige. "Vorher war ich begnadeter Schwarzangler."