Bremen. „Das grüne Herz Bremens“ – so sehen nicht nur die Marketingexperten Oberneuland, sondern auch viele Bewohner. Den Charme des alten Bauerndorfes hat sich der Stadtteil zumindest teilweise bewahrt. Immerhin bewirtschaften noch zehn Landwirte ihre Höfe im Vollerwerb.
Oberneuland ist ländlich, aber nicht rustikal. Konservativ, aber nicht rückständig. Wer hier lebt, ist stolz auf die Natur des Stadtteils, auf die zahlreichen Parks und die Nähe zu vielerlei Naherholungsmöglichkeiten. Es gibt historische Landsitze, auf denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint.
Im Gegenzug hat die üppig sprießende Bebauung in den vergangenen Jahren den Charakter des Stadtteils verändert und mitunter viel Schaden angerichtet. Etwa im Holdheim-Park, wo viele alte Bäume neuen Häusern Platz machen mussten.
Zwar sind die Zeiten lange vorbei, als reiche Bremer Senatoren und Kaufleute das idyllisch gelegene Dorf zu ihrer Sommerfrische erkoren und opulente Landgüter errichten ließen. Im Grünen und gleichzeitig in erreichbarer Nähe zur Innenstadt zu wohnen, das macht Oberneuland zu einer der gefragtesten Wohngegenden in Bremen.
Oberneuland von außen als Refugium für diejenigen zu sehen, die es sich leisten können, liegt nahe. Sicher, hier ist die Geländewagendichte größer als anderswo. Es gibt mehr Villen, die Zäune sind höher und die Gärten weitläufiger als in anderen Stadtteilen. Es gibt aber zwischendurch immer wieder ganz durchschnittliche Wohnhäuser.
Distanz zum Rathaus
Die Entwicklung vom Dorf zu einem städtisch geprägten Teil Bremens erfolgte über einen langen Zeitraum. Eingemeindet wurde Oberneuland erst 1945, und manchmal scheint es, als hätten sich die traditionsbewussten Bewohner damit nur widerwillig abgefunden.
Nach wie vor nennen viele Alteingesessene ihren Ortsamtsleiter am liebsten Bürgermeister und pflegen eine skeptische Distanz zu den Entscheidungen der großen Politik im Bremer Rathaus – nicht nur deshalb, weil im Stadtteil die CDU die Mehrheitsfraktion stellt.
Wer alle Sehenswürdigkeiten Oberneulands kennenlernen möchte, sollte nicht zu wenig Zeit einplanen. Denn der Stadtteil zählt flächenmäßig zu den größten in Bremen. Die großen Entfernungen und die Reize der Natur laden dazu ein, das Gebiet per Fahrrad zu erkunden.
Kay Entholt ist überzeugter Oberneulander. Der 55-Jährige hat sein ganzes Leben im Stadtteil verbracht. Er sitzt für die CDU im Beirat und leitet seit vielen Jahren den Bürgerverein. Die historische Sammlung über die lange Geschichte des Stadtteils hat er mit aufgebaut. „Ein echter Oberneulander ist man, wenn man dort geboren und mindestens einmal ins Fleet gefallen ist“, witzelt Entholt.
Für ihn macht der dörfliche Charakter den besonderen Charakter seiner Heimat aus. „Wir haben hier ein lebendiges Vereinsleben und ein sehr gutes Zusammenleben“, so Entholt. Dies gelte nicht nur für die alteingesessenen Bewohner, sondern auch für die meisten Zugezogenen.
Löwen im Achterdiekpark
Nicht weit entfernt von Entholts Wohnhaus in einer ruhigen Wohnstraße liegt der Achterdiek. Die Straße verbindet Oberneuland mit dem benachbarten Horn-Lehe und ist vor allem für seine Verkehrsprobleme bekannt. Der Achterdiekpark lockt als grüne Oase an diesem Sonntagmorgen vor allem Jogger und Spaziergänger an.
Was viele nicht mehr wissen: Auf einem Teil des Geländes gab es für einige Jahre einen Zoo mit Löwen, Tigern und Elefanten. Erbaut wurde er 1966 von dem indischen Tierhändler George Munroe. „Im Vergleich zu anderen Tierparks war das Konzept aber wohl nicht überzeugend. Jedenfalls ging er schnell in Konkurs“, erinnert sich Kay Entholt. Jetzt wird der Park teilweise von einem Verein gepflegt. Der Rest ist in Privatbesitz und gehört einem Landwirt.
Jenseits des Büroparks liegt der Achterdieksee. Das Wetter ist bedeckt, nur wenige Autos stehen auf dem Parkplatz. Vor allem Besucher aus den benachbarten Stadtteilen kommen zum Baden her. Im Sommer, bei schönem Wetter, ist der See bei Schwimmern sehr beliebt. Der Weg führt über eine Brücke. Rechter Hand gründeln ein paar Enten im flachen Wasser. Idylle pur, wenn nicht der Lärm der benachbarten Autobahn 27 wäre.
Nur wenige Minuten Fahrt sind es bis zum Vinnenweg. Hier steht das Hermann-Hildebrand-Haus, ein Heim für Kinder, die nicht zu Hause leben können. Auch Kevin war eine Zeitlang hier untergebracht. Kay Entholt tritt in jedem Jahr als Nikolaus auf, verteilt kleine Geschenke und singt mit den Kindern.
In der Nachbarschaft stehen keine Villen, sondern Mehrfamilienhäuser. „Es ist falsch, dass in Oberneuland nur Begüterte wohnen. Hier leben auch ganz normale Familien, wie in jedem anderen Stadtteil auch“, sagt Entholt. Es geht weiter am Lür-Kropp-Hof entlang, Sitz der gleichnamigen Stiftung. Das romantischen Ambiente des Meta-Rödiger-Hochtiedshus, benannt nach der Stifterin des Hofs, ist bei Brautpaaren – nicht nur aus Bremen – sehr beliebt.
Entlang an den Sportgeländen von TV und FC Oberneuland fährt Entholt in Richtung Mühlenfeldstraße. Wir lassen die Mühle, das Wahrzeichen Oberneulands, links liegen und kreuzen die Bahngleise. Die Eisenbahn und der alte Bahnhof in Oberneuland wurden 1874 fertiggestellt. In dieser Zeit entwickelte sich das Dorf zu einem gefragten Ausflugsziel für Bremer, und es entstanden beliebte Ausflugslokale.
Heute beschweren sich viele Anwohner über den Lärm des modernen Schienenverkehrs. Das Zentrum des Stadtteils markiert die Mühlenfeldstraße. Hier finden sich Ortsamt und Polizeistation sowie einige kleine Einzelhandelsgeschäfte. Nicht weit entfernt liegen Grundschule und ein Kindergarten, der von einem Elternverein geführt wird. Gleich schräg gegenüber ist der evangelische Kindergarten. Ein staatliches Betreuungsangebot gibt es in Oberneuland nicht.
Einen Blick in die Historie des 1181 erstmals erwähnten Stadtteils erlaubt die Oberneuland-Sammlung im Dachgeschoss des Ortsamts. Die Bücherregale sind prall mit Chroniken und Originaldokumenten über Oberneuland gefüllt. Das Archiv hat jeden Sonntag geöffnet und lädt zum Stöbern ein. Entlang am Park Hohenkamp, wo sich bei Musik, Bratwurst und Prosecco Oberneuland zum „Sonntag im Park“ trifft, geht es weiter in die Parkidylle von Höpkens Ruh.
Jetzt wäre eigentlich ein Picknick das Richtige, aber die Zeit drängt. Denn auf seinem Hof am Hodenberger Deich wartet schon Landwirt Jürgen Drewes. Er führt den Hof bereits in dritter Generation und bewirtschaftet rund 100 Hektar. Etwa ein Drittel sind Äcker, der Rest ist Grünland. Leicht haben es die Landwirte in Oberneuland wegen der knappen Flächen nicht. „Die Stadt frisst viel Land für Wohnbebauung“, sagt er.
Deshalb müssen er und die anderen Landwirte in den benachbarten Landkreisen Verden und Osterholz Böden dazupachten. „Früher war in ganz Oberneuland Landwirtschaft vertreten“, erzählt Drewes. Heute sind sieben Melkbetriebe mit insgesamt rund 450 Kühen, ein Gemüsebetrieb sowie zwei Bauernhöfe mit Mischbetrieb übriggeblieben. „Teilweise haben die Leute hier Verständnis für uns Bauern, teilweise auch nicht“, sagt er. Die Ernte sei eben nur bei schönem Wetter möglich, dann muss eben am Sonntag gearbeitet werden. Man müsse aber miteinander auskommen. „Insgesamt ist das nachbarschaftliche Klima gut“, sagt Drewes.
Durch Heinekens Park geht die Fahrt wieder in Richtung Stadt. Kay Entholt macht auf das Heckentheater in der Grünanlage aufmerksam. „Anfang des 20. Jahrhunderts gab es hier regelmäßig Aufführungen. Heutzutage machen die Hecken nur noch viel Arbeit, um sie in Form zu halten“, sagt er. Am Vereinsheim des weltmeisterlichen Grün-Gold-Tanzsport-Clubs vorbei führt Entholt zum Maßolleweg – für ihn eine der schönsten Straßen in Oberneuland. „Abgesehen von ein paar zu modernen Neubauten fügen sich die Häuser sehr gut ins Ortsbild“, sagt er.
Ein nach seiner Ansicht negatives Beispiel für die Bausünden der jüngeren Vergangenheit demonstriert Entholt zum Ende der Fahrt. Im Holdheim-Park hat vor ein paar Jahren eine umstrittene und heftig kritisierte Baumfällaktion Platz für moderne Stadthäuser gemacht. Problemzonen wie diese gibt es inzwischen zwar einige in Oberneuland. Als „grünes Herz Bremens“ bleibt der Stadtteil jedoch Anziehungspunkt für junge Familien, Ausflügler und Erholungssuchende.