Bremen. Dass man sich in Findorff mitten in einer der größten Städte Deutschlands befindet, fällt – wenn überhaupt – erst auf den zweiten Blick auf. Es gibt keine Hochhäuser, keine Industrieanlagen und auch die Straßenbahn fährt schon seit Jahrzehnten nicht mehr durch den Stadtteil. Wer es nicht besser wüsste, könnte meinen, er wohnt auf dem Land. Und doch sind es nur wenige Minuten mit dem Fahrrad oder dem Bus bis in Bremens Zentrum. Lediglich der Hauptbahnhof und seine Gleisanlagen trennen Findorff von der Innenstadt.
Schwachhausen hat seine Villen, das Viertel seine Kneipen. Doch was ist typisch Findorff? „Man kennt sich.“ Das ist der erste Satz, der Birgit Busch zu ihrem Stadtteil einfällt. Das klingt banal, fast belanglos und doch verrät es viel von dem, was Findorff ausmacht.
Birgit Busch lebt seit 1987 in dem Stadtteil und ist Erste Vorsitzende des Bürgervereins. Findorff ist fast so etwas wie eine Stadt innerhalb der Stadt. „Gerade die alteingesessenen Bewohner sind in erster Linie Findorffer und erst dann Bremer“, sagt Birgit Busch. „Viele von ihnen leben von Geburt an in Findorff.“
Broadway Hemmstraße
Die vielen Reihen- und Einfamilienhäuser prägen das Bild des Stadtteils. Anonyme Hochhäuser gibt es nicht. Eine der bekanntesten Straßen in Findorff ist die Hemmstraße. Was für Manhattan der Broadway ist für Findorff die Hemmstraße. Sie führt in Längsrichtung durch den gesamten Stadtteil.
Auffällig sind die vielen kleinen Geschäfte in der Hemmstraße. Supermärkte, Einzelhändler, Handwerksbetriebe und viele Dienstleister haben sich dort angesiedelt. „In Findorff gibt es alles“, sagt Birgit Busch. „Eigentlich muss man den Stadtteil gar nicht verlassen.“ Viele der kleinen Geschäfte werden noch von ihren Inhabern geführt, nur die Lebensmittelläden wurden von den großen Ketten übernommen.
„Die Geschäftsleute in Findorff sind unheimlich engagiert“, sagt Birgit Busch, „stärker als in vielen anderen Stadtteilen.“ Vor exakt 25 Jahren haben sich die Findorffer Geschäftsleute zu einem Verein zusammengeschlossen. „Fit, Fair, Familiär“ lautet ihr Slogan.
Wann immer es um die Zukunft des Stadtteils, um Veränderung und Neugestaltungen geht, mischen sie sich ein. Der Verein ist zu einem wichtigen Ansprechpartner für Politik und Bewohner geworden.
Auf eine weitaus längere Tradition kann der Bürgerverein Findorff zurückblicken. Er wurde 1902 gegründet und hatte zeitweise mehr als 1000 Mitglieder. Heute sind es rund 700, der Verein gehört damit aber immer noch zu den größten und traditionsreichsten Bürgervereinen in der Hansestadt.
„Auch das macht Findorff aus: Bewohner und Geschäftsleute tun sehr viel für ihren Stadtteil“, sagt Birgit Busch. „Viele Findorffer sind mit ihrem Stadtteil sehr eng verbunden.“ Nachbarschaftlich, bodenständig, solide – das ist Findorff.
Ohnehin spielt Tradition in Findorff eine große Rolle. Benannt ist der Stadtteil nach dem Moorkolonisator Jürgen Christian Findorff. Er sorgte im 18. Jahrhundert dafür, dass das Teufelsmoor vermessen, entwässert und besiedelt werden konnte.
Erst 1951 erhielt Findorff auch offiziell seinen amtlichen Namen und ist seither ein Stadtteil Bremens. Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich viele Bahnbeamte und Angestellte niedergelassen, vor allem in den Häusern des Eisenbahn Spar- und Bauvereins. Schon damals bezeichnete der Volksmund das Quartier als Findorff.
In der Nachkriegszeit haben sich die Findorffer einen bescheidenen Wohlstand erarbeitet. „Die Eisenbahner konnten von ihren Löhnen gut leben. Viele haben sich ein kleines Häuschen oder eine Eigentumswohnung zusammengespart“, sagt Busch.
Als die Menschen im 19. Jahrhundert ihre Wohnungen noch mit Torf heizten, spielte Findorff für ganz Bremen eine wichtige Rolle. Von 1817 bis 1826 wurde nahe der Plantage im Süden Findorffs der Torfkanal samt Hafenbecken gebaut. Die Torfschiffer brachten auf ihren Kähnen das Heizmaterial aus dem Teufelsmoor bis in die Stadt.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde an der heutigen Theodor-Heuss-Allee ein neues Hafenbecken gebaut. 1873 wurde der Hafen erneut verlegt, dieses Mal an die Eickedorfer Straße. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Hafenbecken zu großen Teilen zugeschüttet.
Seither findet auf der Fläche allwöchentlich der Findorffmarkt statt. Ganz verschwunden ist der Torfhafen aber nicht. Bis heute werden dort Fahrten mit den historischen Torfkähnen angeboten.
Der Torfhafen ist damit einer der wichtigsten kulturellen und touristischen Anlaufpunkte in Findorff. Vom Hafen aus bringen die Nachbauten der Torfkähne die Gäste bis in das niedersächsische Umland und während der Fahrt durch die Kanäle erfahren sie vieles vom beschwerlichen Leben der Torfkahnschiffer und ihrer Familien im 19. Jahrhundert.
Zu den kulturellen Höhepunkten im Stadtteil gehört auch der Schlachthof in der Findorffstraße. Mit rund 300 Veranstaltungen im Jahr und mehr als 100000 Besuchern ist er das größte Kulturzentrum der Hansestadt.
Der große rote Backsteinturm und der Schornstein sind Wahrzeichen des Stadtteils. Die wesentlichen Teile des Gebäudekomplexes gehören zu den 1892 erbauten Schlachthofs. Das Kulturzentrum bietet heute Raum für Theateraufführungen, Konzerte, Lesungen, Vorträge, Workshops und vieles mehr. Auch die Schlachthofkneipe ist nicht nur bei den Findorffern beliebt.
Nicht weit entfernt vom Torfhafen befindet sich das Denkmal der Kleinbahn Jan Reiners. Während heute die Straßenbahn um Findorff einen Bogen macht, hatte das Quartier vor rund hundert Jahren an der Hemmstraße einen eigenen Bahnhof.
Die Bahn war von 1900 bis 1956 im Einsatz und sollte die Moorgebiete nördlich von Bremen erschließen. Benannt ist die Bahn nach dem Ökonomierat Johann Reiners, der mit großem Einsatz den Bau der Bahn durchgesetzt hatte.
Der Zug fuhr von der Gustav-Deetjen-Allee zur Hemmstraße, weiter nach Horn und Borgfeld bis nach Lilienthal, Grasberg und schließlich Tarmstedt. Seit 1967 steht an der Ecke Hemmstraße/Eickedorfer Straße die Dampflok 1 als Denkmal für Jan Reiners.
Alternative Aktivisten im Weidedamm III
Tiefgreifende Konflikte gab es in Findorff nur wenige. Große Ausnahme waren die Auseinandersetzungen bei der Erschließung des Wohngebiets Weidedamm III. Das Areal war zu der Zeit von alternativen Aktivisten besetzt, die sich beharrlich weigerten den Platz zu räumen.
Die Streitigkeiten dauerten Jahre. Regelmäßig musste die Polizei anrücken. Erst 1995 erfolgte die einvernehmliche Räumung und die Bebauung konnte beginnen. „Etwas Vergleichbares hat es in Findorff seither nicht mehr gegeben“, sagt Birgit Busch. Nach den Auseinandersetzungen kehrte in den Stadtteil schnell wieder Ruhe ein. Eine Ruhe, die ihn bis heute auszeichnet.
Zu Beginn des Jahres hat ein Ereignis das ruhige Leben im Stadtteil erschüttert. Ein psychisch kranker Mann hatte im Januar zwei Frauen in Findorff auf offener Straße erstochen. Der gesamte Stadtteil war über Tage im Schockzustand. „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas in Findorff passieren kann“, sagt Birgit Busch.
„Es war fast so ein Gefühl, als wäre ein Familienmitglied ermordet worden.“ Während des Trauergottesdienstes wenige Tage nach der Tat platzte die Kirche aus allen Nähten. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, erinnert sich Busch.
Findorff demonstrierte Zusammenhalt. Das habe den gesamten Stadtteil unheimlich berührt, sagt Busch. Die Morde gehören in Findorff zwar nicht mehr zum Tagesgespräch, aber vergessen sind sie noch lange nicht.
So schrecklich die Morde auch waren, das Leben in Findorff geht weiter. Der Stadtteil hat sich aus der Schockstarre befreit. Wer wissen will, was los ist im Stadtteil, der geht zum Findorffmarkt. „Eigentlich ist der Findorffmarkt mehr als ein Markt. Er ist die größte Kommunikationsbörse im Stadtteil“, sagt Busch.
Es sind nicht nur die Findorffer, die hierher kommen, die Besucher kommen auch aus dem Umland, um die neuesten Geschichten aus der Stadt zu hören – eben wie in einem richtigen Dorf.