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Arbeitswelt Ein Bremer erzählt: Gut ausgebildet und trotzdem arbeitslos

Jahrelang hat ein Bremer im Marketing gearbeitet. Seit zwei Jahren sucht der studierte Betriebswirt vergeblich eine neue Stelle. Was macht das mit ihm?
04.07.2025, 05:04 Uhr
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Ein Bremer erzählt: Gut ausgebildet und trotzdem arbeitslos
Von Marc Hagedorn

Wenn er im Fernsehen sieht, wie Firmenchefs darüber klagen, dass ihre Unternehmen keine Fachkräfte finden, denkt Sascha Köhnen: „Dann nehmt doch mich.“ Wenn er im Radio hört, wie sich Politiker über das Streben der Generation Z nach der perfekten Work-Life-Balance aufregen, würde er ihnen am liebsten zurufen: „Ich bin nicht so. Ich schaue beim Arbeiten nicht auf die Uhr.“ Und wenn er in der Zeitung liest, dass ein Arbeitsmarktexperte dazu rät, sich beständig weiterzubilden, würde er dem Mann gern einen Aktenordner hinknallen, voll mit Bescheinigungen: „Ich habe mehrere Fortbildungen gemacht.“

Vergebliche Suche mit all ihren Begleiterscheinungen

Sascha Köhnen ist müde. „Ich bin einer von denen, über die man sagt, sie würden überall gebraucht: studiert, weitergebildet, bereit zu arbeiten.“ Seinen richtigen Namen möchte der 42-Jährige nicht in der Zeitung lesen, weil er sonst Nachteile auf dem Arbeitsmarkt befürchtet. Denn Köhnen hat ein Problem: Er ist wie rund drei Millionen Menschen im Land arbeitslos, er sucht seit über zwei Jahren vergeblich eine Stelle. „Es heißt, wer gut ausgebildet ist, habe heute beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, sagt er, „doch meine Erfahrung ist eine andere.“

Geht es mehreren Menschen wie ihm?

Köhnen will dem WESER-KURIER seine Geschichte erzählen, weil er glaubt, dass es da draußen noch mehr Menschen gibt, denen es geht wie ihm. Er habe den Wunsch, sagt er, dass Politik, Unternehmen und die Gesellschaft anders mit dem Thema Arbeitslosigkeit umgehen als bisher. Ihn nämlich habe die vergebliche Suche mit all ihren Begleiterscheinungen krank gemacht.

Köhnen erzählt von über 100 Bewerbungen, die er rausgeschickt habe, initiativ und gezielt auf ausgeschriebene Stellen. Die Bilanz: Nicht einmal für eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch hätte es zuletzt mehr gereicht, sagt er. Das sei vor wenigen Jahren, als er schon mal eine Stelle gesucht habe, noch anders gewesen. „Heute ist eine automatische Antwort mit dem Hinweis, dass die Bewerbung eingegangen ist, schon das höchste der Gefühle“, sagt Köhnen, „in den meisten Fällen bekomme ich nicht einmal mehr eine Absage.“

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Das Phänomen ist vom Dating bekannt und hat auch einen Namen. Es heißt Ghosting. Ein Partner bricht ohne Vorwarnung und Begründung den Kontakt ab. Beim Job Ghosting verschwindet entweder das Unternehmen oder der Bewerber. „Durch die neuen Wege der Online-Bewerbung und Social Media ist es leicht, sich schnell und parallel auf viele Stellen zu bewerben“, erklärt ein Sprecher der Bremer Arbeitsagentur, „für die Personalabteilungen resultiert daraus eine Bewerbungsflut, der man im Einzelfall schwer Herr wird. Gleichzeitig sind Personalabteilungen unter Zeit- und Erfolgsdruck. Das führt schon dazu, dass nicht mehr allen Bewerbern so geantwortet wird, wie es eigentlich zu erwarten wäre.“

Fehlende Begründungen nagen

Das löst bei einem Menschen wie Köhnen etwas aus. Ohne Antworten kann er über die Gründe, warum er keine Stelle findet, nur spekulieren. Das nage an einem, sagt er, und setze ein Gedankenkarussell in Gang. Mehr als eine Million offene Stellen soll es geben. Warum ist für ihn keine dabei, fragt sich Köhnen. Hat er den falschen Beruf, obwohl eine hohe Qualifikation doch immer noch der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit sein soll? Der Bereich Marketing gehört zu den Branchen, die vom Wandel in der Berufswelt besonders betroffen sind. Künstliche Intelligenz hält mehr und mehr Einzug in die Agenturen und übernimmt auch kreative Aufgaben. Oder liegt es an zwei, drei Brüchen in seiner Berufsbiografie, dass ihn scheinbar niemand mehr will?

Viel Verantwortung, wenig Gehalt

Köhnen hat nach dem Abitur drei Jahre lang Musik studiert, es ist sein Hobby, und dann festgestellt, dass es doch besser Hobby bleiben soll. Er macht sich selbstständig, ehe er mit 29, so steht es in seinem Lebenslauf, ein BWL-Studium in Bremen beginnt, Schwerpunkt Marketing und Wirtschaftsinformatik, und mit dem Bachelor abschließt. Danach arbeitet er für mehrere Firmen mehrere Jahre im Marketing.

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Sein Dilemma beginnt, als er vor gut zwei Jahren von sich aus kündigt. „Ich war in der Firma im Grunde Marketingleiter, durfte aber nichts entscheiden, und schlecht bezahlt war die Arbeit auch.“ Er ist der Meinung, etwas Besseres verdient zu haben, und findet etwas Besseres, wie es zunächst scheint. „Zwar nicht als Marketingleiter, aber mit Verantwortung und gut bezahlt“, sagt Köhnen, der dann aber noch in der Probezeit die Kündigung erhält. Bis heute, sagt er, wisse er nicht, warum.

Er habe sich anfangs noch nicht als gescheitert gefühlt, habe aber mittlerweile den Verdacht, dass er auf dem deutschen Arbeitsmarkt genau so gesehen wird: als Gescheiterter. „Ich würde mir wünschen, dass wir Deutschen da eine andere Mentalität entwickelten“, sagt Köhnen, „in den USA kannst du mit zehn Start-ups eine Bauchlandung hinlegen. Wenn es im elften Anlauf klappt, giltst du immer noch als Gewinner.“

„Das ist ein oft gehörtes Klischee“, heißt es von der Bremer Arbeitsagentur, „der Arbeitsmarkt ist aber im Wandel und bietet zum Beispiel auch älteren Personen Arbeitsmarktchancen, die noch vor wenigen Jahren große Probleme gehabt hätten. Es kommt zudem immer darauf an, welche Kompromisse eine Person bereit ist, einzugehen.“

Köhnen sagt, dass er kein Problem damit hätte, für die richtige Stelle nach Süddeutschland zu ziehen. Umgezogen ist er vor einigen Monaten erst, von Bremen nach Hause zu seiner Mutter, die im niedersächsischen Umland lebt. „Es ging nicht mehr allein, ich war ausgezehrt“, sagt er. Was besonders geschmerzt habe: das Gefühl, von den Institutionen im Stich gelassen zu werden. Von den Behörden habe er statt Hilfe vor allem Termine und Druck bekommen. „Es ging selten um meine persönliche Situation, sondern meistens um Fristen und Formulare“, sagt er, „ich bin müde von einem System, das fordert, aber kaum zuhört.“

Andere könnten sich das vielleicht nicht vorstellen, sagt er. Aber wenn in der Politik mal wieder über Verschärfungen beim Bürgergeld diskutiert werde, fühle sich das schlimm an. „Ich weiß, dass es Menschen gibt, die die sozialen Systeme ausnutzen“, sagt Köhnen, „aber das gilt ganz bestimmt nicht für die Mehrheit der Bürgergeldempfänger.“

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Zehn Prozent weniger Bürgergeld beim ersten Verstoß, 20 Prozent beim zweiten, 30 Prozent beim dritten, „beim Bürgergeld zu kürzen, von den 563 Euro also noch etwas wegzunehmen, kommt mir vor wie ein schlechter Witz“, sagt er. Das alles zahle ein auf sein Frustkonto. Inzwischen ist bei ihm eine Depression diagnostiziert.

Wie es jetzt weitergeht? „Im Moment will ich erst einmal gesund werden“, sagt Köhnen. Eine Reha steht an. Vielleicht geht es ihm danach besser, vielleicht so gut, dass er wieder Kraft hat, nach einer neuen Stelle Ausschau zu halten. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, so hart es ist“, sagt er, „aber ich habe eine Arbeitseinstellung, die Chefs eigentlich gefallen sollte.

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