Bahnhofsvorstadt. "Dämmerstunde über Vergessenes und Verdrängtes" haben Jörg Wollenberg und Detlev Dahlke die Reihe über die NS-Zeit genannt, die sie unter anderem für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die Volkshochschule, Arbeit und Leben, die Marxistische Abendschule (Masch) und die Rosa-Luxemburg-Stiftung organisieren. "Bremen vor 80 Jahren im Spiegel der Akten und Zeitzeugen" wollen sie zeigen.
Am Dienstag, 16. April, stellen sie von 17 bis 19 Uhr im DGB-Haus am Bahnhof einen Propagandabericht aus einer nationalsozialistischen Zeitung den Schilderungen von KZ-Häftlingen wie Heinrich Buchholz (KPD, siehe auch die Meldung über die Lesung im Schulmuseum auf dieser Seite) und Alfred Faust (SPD) gegenüber. Der folgende Text ist ein Auszug aus einem Beitrag von Jörg Wollenberg.
"Um ein völlig klares Bild von dem Leben und Treiben in einem Konzentrationslager zu bekommen", entsandte die "Bremer Nationalsozialistische Zeitung" (BNZ) ihren politischen Redakteur Kurt Teege im Juli 1933 mit Billigung des Geheimen Staatspolizeiamtes (Gestapo) nach Findorff in die Walsroder Straße, wo er "als getarnter Marxist einige Tage verleben konnte".
Am 23. Juli 1933 veröffentlichte die BNZ einen ganzseitigen Bild-Bericht des "unerkannten Schutzhäftlings". Mit den Erlebnissen des Redakteurs aus der "Umgebung des Genossen Faust und anderer gestürzten Säulen der Judenrepublik" wollte die BNZ die "Lügenhetze der ausländischen Judenpresse mit Tatsachenmaterial widerlegen und zunichte machen". Unter "Verpfändung seines Ehrenworts" trat Kurt Teege den Gerüchten ausländischer Pressevertreter und der illegalen KPD-Presse entgegen, die regelmäßig über Misshandlungen von Schutzhäftlingen berichteten.
Außerdem versuchten die Nazis, mit massiver politischer Propaganda die Bevölkerung für sich zu gewinnen. Teege hatte Mißler als "Paradies" beschrieben: "Im Konzentrationslager können sich die Häftlinge miteinander unterhalten, soviel sie wollen, sie können Bücher und Zeitungen lesen, Skat spielen (...)".
Von den 140 Schutzhäftlingen, "die auf Bänken im Hof saßen und sich von der Sonne braunbrennen ließen", berichtet er Folgendes: "Es ist ein buntes Volk, ehemalige Bürgerschaftsmitglieder, Funktionäre, Betriebsratsvorsitzende und so weiter. Und über allem steht der ehemalige Regent des Hauses, in dem diese Zeilen geschrieben werden, und das heute das Verlagsgebäude der BNZ ist, Reichstagsabgeordneter a. D. und Chefredakteur a. D. Alfred Faust." Er mache "mehr den Eindruck eines gutbürgerlichen Herren im Anfang der 50er Jahre als den eines ehemaligen sozialdemokratischen Führers und Redakteurs, dessen Aufgabe einzig und allein darin bestand, den Nationalsozialismus (...) mit Schmutz zu bewerfen".
In seinen Montagsartikeln "Rund um den Fangturm" hatte er das Tun der Nationalsozialisten und der Kommunisten angeprangert. Seine parlamentarische Immunität als Reichstags- und Bürgerschaftsabgeordneter nutzte ihm nichts. Bald nach den Massenverhaftungen von Kommunisten im Februar und März 1933 war er "im Interesse seiner eigenen Sicherheit und zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung" als einer der ersten prominenten Sozialdemokraten Bremens in "Schutzhaft" genommen und als "Novemberverbrecher" in das Konzentrationslager Mißler eingewiesen worden, wie die Polizeidirektion öffentlich über die "Bremer Nachrichten" am 29. April 1933 mitteilen ließ.
Nach dem Verbot des von Faust als "Rubel-Blatt" und "Blutiger Knochen" beschimpften KPD-Organs "Bremer Arbeiterzeitung" wurde auch die Auslieferung der Tageszeitung der Bremer SPD am 10. März 1933 auf Dauer eingestellt. Die Übernahme des Druck- und Verlagsgebäudes der Bremer Volkszeitung Am Geeren 6-8 feierte die NSDAP als Symbol "der Überwindung der marxistischen Irrlehre durch den Nationalsozialismus". Der Verlagsdirektor der BNZ, Reichstagsabgeordnete der NSDAP und Bürgerschaftspräsident Kurt Thiele kündigte die "Zeitungswende" an: "Das Eigentum der SPD und der sozialdemokratischen Presse ist vom Reich beschlagnahmt und enteignet. Die Parteisekretäre und Redakteure befinden sich in Gewahrsam."