Der "Große Kurfürst" feiert seinen 40. Geburtstag. Als er gebaut wurde, galt der Komplex in der Gartenstadt Vahr als innovatives Projekt. Er verwirklichte die Leitidee des "verdichteten" Bauens, ohne das individuelle Wohnen aufzugeben. Der Bau vereint neben vielen anderen Wohnformen ein Dutzend Einfamilienhäuser unter seinem Dach. Die Bewohner und Bewohnerinnen des Hauses feiern ihren Großen Kurfürsten Anfang September mit einem hausinternen Fest.
Gartenstadt Vahr. "Das ist unser Baby", preist eine Anzeige der Hanseatischen Wohnungsbau- und Treuhandgesellschaft im WESER-KURIER das Projekt im März 1971 an. Eine liebevolle, wenn auch irreführende Bezeichnung des Bauherrn für den "Großen Kurfürst". Der Gebäudekomplex in der Gartenstadt Vahr feiert jetzt seinen 40. Geburtstag.
Mit beachtlichen Maßen ist er auf die Welt gekommen: 200 Meter lang, 22 Meter hoch, sechs bis neun Geschosse, 206 Wohnungen in vielen unterschiedlich gestalteten Einzelkomplexen. Das sind die Eckdaten des Wohnungsriesen im Knick der hufeisenförmig angelegten Eislebener Straße. Die anthrazitfarbenen Schieferplatten, die durch weiße und knallorangefarbene Akzente aufgelockert werden, sind gewöhnungsbedürftig – oder lassen sich schon wieder als modernes "Retro" interpretieren.
"Ich finde den Großen Kurfürsten wunderschön", verteidigt Elke Wolter den markanten Bau, der von Hausnummer 33 bis 55 reicht und in dem sie seit nunmehr 14 Jahren wohnt. Sie lebt in einer der Wohnungen in der Mitte des Komplexes und fühlt sich dort wohl, genießt den Blick von ihrer üppig begrünten Terrasse. Trotz der zentralen Lage zwischen Kurfürstenallee, Vahrer Straße und Julius-Brecht-Allee sei es erstaunlich ruhig, schwärmt Elke Wolter.
Sie war es auch, die per Handzettel die anderen Bewohner und Bewohnerinnen ermunterte, das 40-jährige Bestehen des Hauses mit einer hausinternen Party Anfang dieses Monats zu würdigen. Genügend Platz zum Feiern ist vor und in dem Gebäude. Der Große Kurfürst ist mit einem eigenen Partyraum ausgestattet, den jeder Bewohner in der Hausgemeinschaft mieten darf.
Und nicht nur das. Im Erdgeschoss steht den Gästen der Bewohner ein Appartement zur Verfügung. Ein Schwimmbad und ein Saunabereich befinden sich im obersten Geschoss, eine große Sonnenterrasse auf dem Dach.
Das große Freizeitangebot ist Teil einer ausgefeilten Idee: Eine eigene dichte Wohnwelt sollte geschaffen werden, in der spontane Kommunikation möglich ist und in der die Bewohnerinnen und Bewohner für Freizeitaktivitäten nicht einmal das Haus verlassen müssen.
Wohngemeinschafts-Charakter hat der große Gebäudekomplex dennoch nicht: Das Bauwerk besteht aus vielen verschiedenen Eigenheimen, von der Ein-Zimmer-Wohnung bis hin zum Haus mit Terrasse und Garten. Es ist kunstvoll gestapelt aus Atrium-, Reihen- und Winkelhauseinheiten. Die Intimität des Eigentums sollte trotz der Geschossbauweise erhalten bleiben. Das Architekten-Ehepaar Ingeborg und Friedrich Spengelin, das bundesweit aktiv war, hatte schon sehr früh erste Pläne für den Entwurf entwickelt. "Meine Frau und ich, wir haben uns ja praktisch noch im letzten Jahr vor dem Diplom im Jahr 1948 immer mit dem Problem eines hochqualifizierten sozialen Wohnungsbaus bei entsprechender Dichte auseinandergesetzt", berichtet der heute 87-jährige Architekt, ehemalige Stadtplaner und Hochschullehrer. Im Jahr 1961 ging es mit ersten konkreten Planungen für das Projekt des Großen Kurfürsten los. Acht Jahre später starteten die Bauarbeiten für den mit 16 Millionen Mark veranschlagten Wohnkomplex. Im Juni 1972 war er dann bezugsfertig. Im Jahr darauf erhielt Friedrich Spengelin den Heinrich-Plett-Preis für Verdienste um den Städte- und Wohnungsbau.
Ein Bremer Architekturführer fasst die Eigenheit des Großen Kurfürsten als "Verdichtung und Abkehr von einer landschaftsräumlichen Stadtauffassung" zusammen. Das Gebäude hebe sich betont von den beiden Vorgängersiedlungen ab und veranschauliche plastisch einen in den Sechzigerjahren vollzogenen Paradigmenwechsel im Städtebau: Die Randbebauung sei hoch und wirke raumbildend – ganz im Gegensatz zum "fließenden" Raum der Fünfzigerjahre-Siedlungen mit ihren zentralen Hochhausdominanten und flachen Rändern.
Friedrich Spengelin formulierte die neue Bauweise seinerzeit als "das Nein zu den Nachbarschaften". Mittelpunkt sollte wieder eine einzige Kommunikationszone für die gesamte Großwohnanlage sein. Der langgestreckte Baukörper gab auch dem Marktplatz an der Eislebener Straße seinen Namen, wo es seit 1989 auch einen Wochenmarkt gibt.