Die weltweite Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO, in der Medikamente gegen das Coronavirus getestet werden sollen, wird mit Verspätung beginnen. Mehr als ein Monat ist vergangen, seit das Projekt, das in Deutschland vom Bremer Institut für Pharmakologie koordiniert wird, öffentlich vorgestellt worden ist. Vor Wochen sollte die klinische Studie starten. Doch das ist noch nicht passiert. Dabei hatten die Verantwortlichen betont, dass es in Pandemie-Zeiten darauf ankomme, keine Zeit verstreichen zu lassen. Professor Bernd Mühlbauer macht für die Verzögerung vor allem die WHO verantwortlich. Der Direktor des Instituts für Pharmakologie am Klinikum Bremen-Mitte kritisiert, die WHO habe die Untersuchung schlecht vorbereitet.
In einigen Ländern sollen Corona-Patienten mit Medikamenten behandelt werden, die für andere Erkrankungen entwickelt wurden. Der Wirkstoff Remdesivir etwa ist ursprünglich für die Behandlung von Ebola vorgesehen gewesen. Die Kombination der Wirkstoffe Lopinavir und Ritonavir wird eigentlich als HIV-Medikament eingesetzt. Jetzt sollen unter anderem diese Stoffe auch gegen das Coronavirus helfen. Dabei ist wenig darüber bekannt, wie das neue Virus auf diese Medikamente reagiert. Unklar ist auch, wie gravierend die Nebenwirken ausfallen können. „Das ist nicht nur fragwürdig, sondern kann auch gefährlich sein“, sagt Professor Mühlbauer, „da schrillen die Alarmglocken eines Pharmakologen“.
Vier Therapien sollen getestet werden
Die Studie, an der Mühlbauers Institut beteiligt ist, soll klären, welches Medikament wirklich bei der Behandlung hilft und welches Corona-Patienten eher schadet. Dafür wollen die Forscher vier Therapien testen. Zeichnete sich ab, dass ein Medikament nicht hält, was es verspricht, würde es aus der Untersuchung genommen. Weltweit würden die Mediziner daraufhin gewarnt, den Wirkstoff nicht mehr zu verwenden. „Das würde bei der Bekämpfung der Erkrankung maßgeblich helfen“, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher des Bremer Gesundheitsressorts, „für den Forschungsstandort Bremen bedeutet die federführende Rolle einerseits einen großen Prestigegewinn, zum anderen einen Erkenntnisgewinn“.
Dazu ist es bislang nicht gekommen. Die Bremer Forscher stehen noch immer in den Startlöchern. Die Studie stockt. „Das Verhalten des WHO-Teams war wenig professionell“, sagt Mühlbauer, „sie haben sich nicht um die Vorschriften gekümmert, die international für klinische Studien gelten“. Die Initiatoren des Projektes hätten einiges nicht bedacht. „Ich konnte gar nicht glauben, wie unfertig dieses Konzept war“, sagt Mühlbauer, „es war nicht einmal definiert, bei welcher nachteiligen Entwicklung für die Patienten die Behandlung mit einem Medikament abgebrochen werden müsste“. Inzwischen hat Mühlbauers Team einen eigenen Plan erarbeitet. Dass dies nötig werden würde, sei lange nicht klar gewesen. „Die WHO hat uns hingehalten und vertröstet“, so Mühlbauer, „dadurch haben wir viel Zeit verloren“. Die Regionalbüros der WHO in Bonn und Kopenhagen meldeten sich auf die Anfragen des WESER-KURIER nicht zurück.
„Es ist wichtig, dass die Studie zeitnah am besten positive Ergebnisse liefert“, sagt Behördensprecher Fuhrmann. „Wenn wir von einem Medikament den Nachweis haben, dass es tatsächlich gegen Covid-19 eingesetzt werden kann, haben wir der Krankheit gegenüber einen großen Vorteil.“
Die Verzögerung sei ärgerlich, aber wichtig sei die Studie nach wie vor, sagt Robert Bals. Der Professor ist Direktor der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum des Saarlandes, das zu einem der vier deutschen Standorte zählt, die sich am Projekt beteiligen. Inzwischen, erklärt Bals, seien bereits Studien zu einzelnen Medikamenten gegen das Coronavirus erschienen, aber eine so breit angelegte Untersuchung wie die der WHO fehle noch. Bals sieht einen anderen Grund, warum sich die verlorene Zeit rächen könnte. „Mit jedem weiteren Tag, der vergeht, dürfte es schwerer werden, genug Patienten zu finden.“ Schon weil das Infektionsgeschehen aktuell einigermaßen unter Kontrolle sei und sich weniger Patienten auf den Stationen befänden. Das sei zwar eine gute Nachricht, doch wäre es im Sinne der Corona-Patienten, die derzeit behandelt werden, wenn man mehr über die Medikamente wüsste.
Auch die Bremer Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther, Gesundheitsexpertin ihrer Fraktion im Bundestag, betont die Bedeutung der Studie. Sie mahnt zur Geduld mit den Forschern. „In Pandemie-Zeiten muss die Wissenschaft im Eiltempo funktionieren“, sagt Kappert-Gonther, „dabei muss Sicherheit für die Patientinnen und Patienten immer vor Schnelligkeit gehen“. Der Druck, der auf den Forschern laste, sei enorm, sagt Kappert-Gonther: „Man muss ihnen die Zeit geben, die sie brauchen, damit das Projekt ein Erfolg werden kann.“