Emily Karius ist zu einem Schüleraustausch in Südafrika, als ihr klar wird, dass sie noch mehr für den Klimaschutz tun muss als bisher schon. Auf einen Führerschein hat sie bereits verzichtet. Die Straßen sind vollgestopft genug mit Autos, die Luft ist längst zu sehr belastet. Emily Karius hat ihre Ernährung umgestellt, war erst Vegetarierin, inzwischen isst sie vegan. In Südafrika erlebt sie, dass wochenlang kein Tropfen Regen vom Himmel fällt. „Das Land“, erinnert sie sich, „vertrocknete Stück für Stück.“ Ende 2018 war das.
Genau zu dieser Zeit hält die damals 15-jährige Greta Thunberg bei der UN-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz eine Rede, die viele Menschen berührt und die Welt aufrüttelt. Thunberg rechnet mit den politischen Führern der Staaten und mit der Erwachsenengeneration ab. Sie wirft ihnen vor, nicht wirklich etwas für den Klimaschutz zu tun. Emily Karius hört die Rede, und spätestens zu diesem Zeitpunkt steht jetzt auch für sie fest, dass der Protest größer, globaler werden muss.
Zurück in Deutschland ist Karius bei der Gründung von Fridays for Future für den Raum Verden dabei. Heute, knapp drei Jahre später, geht sie den nächsten Schritt: Gemeinsam mit vier anderen jungen Menschen aus Niedersachsen hat sie Verfassungsbeschwerde gegen das Land Niedersachsen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Ihr Vorwurf: Die niedersächsische Landesregierung tue zu wenig für den Klimaschutz.
„Wir sind fast drei Jahre lang auf die Straßen gegangen“, sagt Karius, „wir haben Druck ausgeübt, aber offenbar nicht genug.“ Die Idee, vor Gericht zu ziehen, kommt ihr und ihren Mitstreitern, als sie mitbekommen, dass dies anderswo schon geschehen ist. Mut macht ihnen dabei, dass das Bundesverfassungsgericht im April ein Urteil spricht, das großes Aufsehen erregt: Das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung von 2019 greife zu kurz, erklären die Richter. Es fehlten ausreichende Vorgaben für die Emissionsminderung ab 2031, so das Gericht. Der Gesetzgeber müsse nachbessern.
Mit Hilfe der Deutschen Umwelthilfe entscheiden sich auch die Fridays-for-Future-Aktivisten um Karius dafür, das Gericht einzuschalten. „Das niedersächsische Klimaschutzgesetz enthält keine ausreichenden Ziele, um die Treibhausgasemissionen ausreichend zu reduzieren“, sagt Karius, die inzwischen 21 ist und in Göttingen Politik und Wirtschaftswissenschaften studiert. Außerdem wolle Niedersachsen die Klimaneutralität erst im Jahr 2050 erreichen, obwohl das Bundesklimaschutzgesetz dies für ganz Deutschland schon im Jahr 2045 vorsieht.
„Das ganze Gesetz in Niedersachsen ist nicht mehr als eine Absichtserklärung“, sagt Karius, „es enthält keinen Maßnahmenplan und sagt nichts darüber, wie man gegebenenfalls nachbessern will.“ Das niedersächsische Energie- und Klimaschutzministerium reagiert beinahe schuldbewusst auf die eingereichte Klage. „Wir werden in allen Bereichen einen noch konsequenteren Weg gehen“, kündigt Klimaschutzminister Olaf Lies (SPD) an. „Die Verfassungsbeschwerde bestärkt uns noch einmal in unserem Streben, noch in dieser Legislatur unser niedersächsisches Klimagesetz zu novellieren.“ Bis zum Sommer soll dies geschehen.
Dann gehe es, so Lies, unter anderem um mehr Flächen für die erneuerbaren Energien, es gehe um eine Fotovoltaikpflicht auf allen Neubauten und um ein besseres ÖPNV-Angebot. Lies: „Es geht auch um die Frage, was wir selbst auch als Land tun, also wie wir beispielsweise schneller unsere Fahrzeugflotten auf E-Mobilität umstellen.“ Spätestens 2045 wolle Niedersachsen klimaneutral sein. Und die geforderten Zwischenziele auf dem Weg dorthin werde man auch formulieren.
Karius überzeugen diese Ankündigungen nicht. „Das Land hatte genug Zeit, es hätte dies alles längst umsetzen können, wenn es das wirklich gewollt hätte“, sagt sie, „es verstreicht einfach viel zu viel Zeit. Zeit, die wir nicht haben. Außerdem glaube ich nicht, dass die genannten Maßnahmen wirklich ausreichen, um das Pariser Klimaschutzziel von 1,5 Grad zu erreichen.“
Verfassungsbeschwerden in neun weiteren Bundesländern
Ganz besonders ärgert sie, dass in Niedersachsen keine Rede davon ist, zügig aus der Erdgasförderung aussteigen zu wollen. Laut Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie werden fast 97 Prozent des deutschen Erdgases in Niedersachsen gefördert. Eines der Zentren ist die Region Verden. „Es wird in Trinkwasserschutzgebieten gefördert, es gibt immer wieder Erdbeben und Erschütterungen“, sagt Karius, „das macht Angst, das ist gruselig.“
Die Deutsche Umwelthilfe und Fridays for Future haben mittlerweile in neun weiteren Bundesländern Verfassungsbeschwerden eingereicht. Für das Frühjahr, spätestens für den Sommer wünscht sich Karius zumindest eine erste Richtungsentscheidung des Gerichts. Klar ist für sie, dass die Proteste von Fridays for Future im neuen Jahr weitergehen werden. „Wir müssen den Druck hoch halten, es geht nicht anders“, sagt sie, „von allein unternimmt die Politik zu wenig, das wissen wir inzwischen.“ Die Klimafrage wird Niedersachsen in den nächsten Monaten bewegen. Im Oktober stehen Landtagswahlen an.