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EU-Richtlinie zu spät umgesetzt Hebammen in der Zwickmühle

Bei der europaweiten Angleichung der Hebammenausbildung hat der Gesetzgeber wichtige Fristen versäumt. Jetzt werden Geburtshelferinnen nach nicht mehr geltendem EU-Recht ausgebildet.
08.10.2021, 15:43 Uhr
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Hebammen in der Zwickmühle
Von Timo Thalmann

Als der Sommer endete, war das Schild verschwunden. Nach der Renovierung des Haupteingangs am Klinikum Bremerhaven Reinkenheide hatte man den Hinweis auf die dortige Hebammenschule nicht wieder angebracht. "Das haben wir Hebammenschülerinnen dann in Eigenregie übernommen", berichtet Lea Finster. Der Vorfall steht symbolisch für die beruflichen Aussichten von Finster und ihren anfangs 19 Mitstreiterinnen. Denn obwohl bei Hebammen großer Mangel herrscht, ist die aktuelle Bremerhavener Ausbildung eine Sackgasse. Finster und ihre Kolleginnen sind die letzten ihrer Art. Die Hebammenschule wird nach ihrem Abschluss im kommenden Jahr die Pforten schließen.

Der Grund ist die Akademisierung der Geburtshelferinnen. Künftige Hebammen absolvieren ein vierjähriges duales, mit hohen Praxisanteilen versetztes Bachelor-Studium an einer Universität oder Fachhochschule, statt einer dreijährigen Ausbildung an einer Berufsfachschule. Eine EU-Richtlinie zur europaweiten Angleichung von Ausbildungsgängen sieht das seit 2016 so vor. Eine Übergangsfrist erkennt Abschlüsse nach altem Recht europaweit an, die vor Ende 2019 erworben wurden.

Lea Finster guckt daher in eine ungewisse Zukunft. Denn sie hat ihre Ausbildung erst 2019 begonnen – an einer Schule, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon schließen sollte. Doch die Bundesregierung hat die EU-Richtlinie mit einem neuen Hebammengesetz zu spät in deutsches Recht  umgesetzt: Die Übergangsfrist war bereits verstrichen. So konnten erst zum Wintersemester 2020 die Hebammen-Studiengänge starten. Bremen ist aktuell mit 40 Studierenden dabei.

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Weil diese Hebammen aber frühestens ab 2024 für die Versorgung werdender Mütter bereitstehen, hat der deutsche Gesetzgeber eine eigene Übergangsfrist verfügt: Noch bis zum 31. Dezember 2022 können Hebammenschulen neue Kurse starten. Auch der aktuelle Lehrgang in Bremerhaven fällt unter diese Ausnahme. Die europaweite Anerkennung bleibt diesen Absolventinnen allerdings versagt. "Das war beim Start der Ausbildung nicht allen von uns bewusst", sagt Finster und verweist auf eine spanische Teilnehmerin, die langfristig auch wieder in ihrer Heimat arbeiten wollte. "Das wird jetzt deutlich komplizierter."

Zudem rechnet Finster mit weiteren Nachteilen, etwa bei der beruflichen Weiterqualifikation, bei späteren Bewerbungen um Führungspositionen oder auch bei Aufgaben der Lehre und Anleitung späterer Hebammengenerationen. "Es ist damit zu rechnen, dass in all diesen Fällen die Hochschulabsolventen künftig eher berücksichtigt werden."

Im Grunde müssten Finster und ihre Mitschülerinnen direkt nach ihrer Ausbildung noch das Studium dranhängen. "Eigentlich wurde unser Kursus aber eingerichtet, damit nicht noch größere Versorgungslücken entstehen und wir ab 2022 arbeiten können." Einige der angehenden Hebammen haben versucht, parallel zur schulischen Ausbildung erste Ausbildungsmodule des Studiums zu absolvieren, es aber aufgrund der Doppelbelastung wieder aufgegeben.

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Diese Probleme treffen zudem jede nach altem Recht ausgebildete und praktizierende Hebamme, auch wenn sie ihre Tätigkeit ungehindert fortsetzen darf. Die Vorschläge des Hebammenverbandes, ihnen aufgrund ihrer Berufserfahrung eine einfache Brücke zur gleichwertigen Anerkennung ihres Abschlusses mit dem neuen Bachelor zu bauen, liefen bislang ins Leere. Im Weg stehen ihnen Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK) von 2002 und 2008 zur "Anrechnung außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten", wie es offiziell heißt. Diese könnten höchstens 50 Prozent eines Hochschulstudiums ersetzen, haben die Kultusminister vor rund 20 Jahren festgelegt. Das bedeutet für Finster und alle langjährig arbeitenden Hebammen noch mal mindestens zwei Jahre Studium, wenn sie formal mit den neuen Absolventen gleichziehen wollen.

Das hat sich unter anderem der Bremer Hebammenverband deutlich kürzer vorgestellt: "Unser Vorschlag sieht ein staatliches Examen nach altem Recht vor, zusätzlich eine erfolgreiche Weiterbildung von mindestens 200 Stunden oder ein Modul über wissenschaftliches Arbeiten von mindestens 300 Stunden", sagt die scheidende Bremer Vorsitzende Heike Schiffling.

Anlässlich der Beratung über das Hebammenausführungsgesetz, das unter anderem einige Details des Studiums regelt (siehe Kasten), waren die Perspektiven der Alt-Hebammen auch Thema in der jüngsten Sitzung der Gesundheitsdeputation. Parteiübergreifend wurde der Wille deutlich, ihnen möglichst keine Steine in den Berufsweg legen zu wollen. Breite Zustimmung fand etwa der Vorschlag der Sprecherin der Deputation, Ilona Osterkamp-Weber (Grüne), dass sich mit Blick auf den KMK-Beschluss der Wissenschaftsausschuss der Bürgerschaft damit befassen sollte. Rainer Bensch (CDU) macht zusätzlich deutlich, dass er auch von der Wissenschaftsbehörde Lösungen erwartet. "Wir hören stets nur, warum die bisherigen Abschlüsse und Erfahrungen nicht umfassend angerechnet werden können." Stattdessen sollten sich Verwaltung und Politik darum bemühten, etwas möglich zu machen. "Beschlüsse der Kultusminister sind ja nicht in Stein gemeißelt."

Zur Sache

Verringerter Praxisanteil

Der Mangel von Hebammen wird auch in den Details der praktischen Umsetzung des Hebammengesetzes deutlich: Eigentlich sieht das Gesetz vor, dass in der neuen akademischen Ausbildung der Praxisanteil im Bereich „Wochenbett und Stillzeit“ bei 25 Prozent liegen soll. Weil aber in diesen Klinikbereichen faktisch keine Hebammen tätig sind, die eine Ausbildung anleiten könnten, soll dieser Praxisanteile per Verordnung "übergangsweise bis 2030" auf 15 Prozent verringert werden. Laut Hebammenverband wird es dauerhaft schwierig, dieses Problem zu lösen, weil es unter anderem keine finanzielle Anreize für die Ausbildungsanleiter gibt. Bislang wird dies den Hebammen nicht extra vergütet, anders als etwa im Bereich der Krankenpflege.

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