Gerade eben noch ist John Stephens ganz begeistert von der oberen Halle des Bremer Rathauses, die er an diesem Morgen besichtigt hat. Das Weltkulturerbe beeindruckt den Amerikaner aus Long Beach bei Washington, aber dann fällt sein Blick auf einige gelbe Yakushimanum-Hybriden – und Rathaus, Schnoor oder Roland sind vergessen. Die Pflanzen wollen näher betrachtet werden. Denn genau dafür ist Stephens schließlich über den Atlantik gereist. „Diese Vielfalt hier ist atemberaubend“, sagt der ehemalige Verlagsmanager, als er das Beet im Rhododendronpark untersucht. „Das habe ich so noch nirgendwo gesehen.“
Wie ihm ergeht es auch den anderen Teilnehmern der Internationalen Rhododendron-Konferenz, die seit Montag in Bremen tagt. Aus der ganzen Welt sind rund 175 „Rhodoholics“, wie sie André-Michael Schultz nennt, dafür nach Bremen gekommen. Schultz ist seit acht Jahren Präsident der hier ansässigen deutschen Rhododendron-Gesellschaft und damit in diesen Tagen vor allem Chef-Organisator der zahlreichen Exkursionen und des umfangreichen Vortragsprogramms. „Tatsächlich ist das hier aber im Kern die Jahrestagung der Amerikanischen Rhododendron-Gesellschaft, wir haben unsere eigene Jahrestagung einfach mit drangehängt“, weist er die Rolle des alleinigen Gastgebers zurück.
Dass sich die Amerikaner in Europa treffen, hat mit der etwas eigenwilligen Struktur ihres Verbandes zu tun: Zu der Amerikanischen Gesellschaft gehören auch die Azaleen- und Rhododendron-Vereinigungen aus Kanada sowie aus den Niederlanden, Schottland, Dänemark, Finnland und Schweden. „Daher haben die Freunde aus den USA angefragt, ob sie ihre Jahrestagung diesmal nicht bei uns machen können“, sagt Schultz.
Ein Grund für die Anfrage ist auch der Rhododendronpark in Bremen, an dessen Gründung seine Gesellschaft in den 30er-Jahren maßgeblich beteiligt war. Die 46 Hektar große Anlage ist in der globalen Gemeinschaft der Rhododendronfans so eine Art Pilgerstätte. „Wer diese Pflanzen liebt und schätzt, muss einmal hier gewesen sein“, sagt etwa Mike Stewart aus Oregon. Es ist bereits sein zweiter Besuch in Bremen. Die Woche hier ist aber diesmal nur eine Station einer Europareise, die ihn in den kommenden zwei Wochen auch noch zu anderen Gartenanlagen in Skandinavien führen wird.
„Die sind wirklich ein bisschen verrückt“, sagt Hartwig Schepker dazu. Der Leiter des Rhododendronparks hat gerade rund 30 Gäste der Konferenz durch die Gartenanlage geführt und braucht erst mal einen Schluck Wasser. Denn die Blumenfreunde aus Übersee – unter anderem sind auch Besucher aus Neuseeland und Japan darunter – haben den Parkdirektor mit vielen Detailfragen nach diesen und jenen Unterarten aus der großen Familie der Rhododendrongewächse schwer beansprucht.
"Wer diese Pflanzen liebt und schätzt, muss hier gewesen sein"
Und nicht immer kann der Experte die Antworten liefern, denn kaum jemand kann alle Arten und Sorten im Kopf haben. „Der Park ist im Grunde ein lebendes Museum, mit Züchtungen und Kreuzungen aus zwei Jahrhunderten“, sagt er. Unterm Strich finden sich über 650 Wildarten und rund 3500 sogenannte Hybriden, also Mischformen in der Gartenanlage. „Manche Modesorte von vor 100 Jahren gibt es heute gar nicht mehr außerhalb dieses Parks“, sagt Schepker.
Für die meisten Konferenzbesucher ist diese Vielfalt ein wichtiger Teil der Faszination, die diese Pflanze auf sie ausübt. Und die Vielfalt will abgelichtet und dokumentiert sein, insbesondere mit den aktuellen Blüten an vielen Arten. Jede Pflanze, auf die Schepker in seiner Führung aufmerksam macht, wird fotografiert, und was er unerwähnt lässt, wird nachgefragt.
„Die rund 20 weltweiten Rhododendron-Gesellschaften sind wie zahlreiche Pflanzen auch etwas hybride“, erklärt Schultz die Zusammensetzung des Publikums. Profis wie Baumschulenbetreiber, Parkdirektoren und wissenschaftlich arbeitende Botaniker haben ebenso den Weg nach Bremen gefunden wie reine Liebhaber und Hobbygärtner, zu denen auch Stephens zählt.
Allerdings kümmert er sich im heimischen Long Beach um rund zwei Hektar Fläche, eine Größenordnung, die deutlich über den deutschen Durchschnittsgarten hinausgeht. Die Dimensionen des Rhododendronparks sind darum für ihn nicht nur zum Bestaunen da. „Für neue Pflanzen-Arrangements kann man sich hier ebenfalls gut inspirieren lassen“, resümiert er seinen Besuch.