Wenn an diesem Sonnabend nach einer zweijährigen Pause wieder der Freimarktsumzug durch die Stadt zieht, dann werden viele Blicke auf Ailton gerichtet sein. Die Werder-Legende ist bekanntlich in die Rolle des Freimarktbotschafters geschlüpft. Da gehört es selbstredend dazu, auch den Umzug anzuführen. Historisches Vorbild für diese Werbefigur ist das Ehepaar Sengstake. Sie waren von 1985 bis 1992 die Gesichter des Freimarkts, und für viele traditionsbewusste Freimarktfreunde sind sie dies noch heute.
Um den Freimarkt-Kult um die Sengstakes zu verstehen, genügt aktuell schon ein Blick auf den kleinen Freimarkt am Rathaus. Neben dem Roland zwinkert dort "Herr Sengstake" mit Bratwurst und Bierkrug in seinen Händen den Besuchern zu. Auf dem Kopf - wie könnte es anders sein - ein Hut mit Speckflagge.
Diese Figur hatte der Nord-Bremer Karikaturist Volker Ernsting in den 1970er-Jahren geschaffen. Zeitlebens zeichnete er unter anderem für den WESER-KURIER, in diesem Juli verstarb er im Alter von 81 Jahren. Was Ernsting in den 70ern noch nicht wissen konnte: Seine Sengstakes entwickelten sich in Bremen mit den Jahren zu einem humorvollen Blick in den Spiegel. Vielleicht etwas steif, aber immer anständig - typisch bremisch eben.
Schnell entdeckte auch der Freimarkt die Figuren für sich und nutze sie für Werbeplakate.
Im Jahr 1985, zur 950. Auflage des Volksfestes, brauchte es dringend etwas Besonderes. Warum also nicht die Sengstakes von den Plakaten auf den realen Freimarkt bringen? Der Werbeausschuss suchte nach einem Paar, die in die Rollen schlüpfen wollten: "Aus Bremen sollen sie sein, verheiratet sollten sie eigentlich auch sein, und Sinn für Humor, Spaß am Schauspielern und dazu Schlagfertigkeit sind unumgänglich.“

Im Jahr 1985 suchte der Freimarkt für seine 950. Auflage ein Paar, das die Sengstakes verkörpert. Fündig wurde der Werbeausschuss in Person von Hannelore und Karl-Heinz Sengstake aus Hemelingen.
Als Hannelore und Karl-Heinz Sengstake, die ihren bremischen Familiennamen mit den Karikatur-Figuren teilen, davon lasen, dachten sie zunächst nicht an sich. "Aber mehrere Freunde meldeten sich und sagten: Da müsst ihr euch melden", erinnert sich Hannelore Sengstake. Heute ist sie 77 Jahre und lebt mit ihrem Mann in Hemelingen. Die pinke Federboa trägt sie noch immer mit Stolz und für das Foto weiß sie genau, wo das Freimarkt-Herz am besten wirkt.
Nach einem kurzen Für und Wider, ob sich die Rollen als Freimarktbotschafter auch mit dem Berufsleben vereinbaren ließen, schrieb das Ehepaar dem Werbeausschuss eine Karte: "Hier sind wir! Der alte Bremer Adel, die Sengstakes aus Hemelingen." Die Entscheidung fiel wenig später auf der Osterwiese. Aus Walle hatte sich noch ein Ehepaar Sengstake gemeldet. Die Wahl der Schausteller fiel aber auf Hannelore und Karl-Heinz.

In den 1970ern – hier ein Archivfoto von 1978 – entwickelten sich die vom Karikaturisten Volker Ernsting gezeichneten Sengstakes zu Werbefiguren des Freimarkts. Deshalb war "Herr Sengstake" mit Zylinder, Bratwurst und Bierkrug auch regelmäßig beim Freimarktsumzug zu sehen..
Zur Freimarktszeit entwickelte sich das Paar dann zu den vermutlich populärsten Personen der ganzen Stadt. "Es war Wahnsinn. Wir mussten nur an einem Schießstand Halt machen und es bildete sich eine riesige Menschentraube", erinnert sich Karl-Heinz Sengstake. Der 80-Jährige arbeitete vor der Rente als Gastwirt, seine Frau hatte einen Friseur-Salon. Die kommunikativen Berufe entpuppten sich als gute Grundlage für ihre Rollen als Freimarktbotschafter. Bis 1992 blieben sie acht Jahre in Folge die Sengstakes des Freimarkts.
Nun ist es an Ailton, Kamelle an die Schaulustigen zu verteilen. Hannelore Sengstake beäugt den neuen Botschafter noch mit einer Portion Skepsis: "Er ist sehr bekannt und deshalb ein gutes Zugpferd. Aber ich hätte mir Thomas Schaaf besser vorstellen können."