Stadtteilgenossenschaft
Mit 30 Gründungsmitgliedern ist Anfang des Monats nach einem Jahr Vorarbeit die Stadtteilgenossenschaft Hulsberg aus der Taufe gehoben worden. Im Vorstand sitzen Martina Paulini, Bärbel Dierks und Peter Bargfrede, die alle später im neuen Hulsberg-Viertel, dass auf dem Gelände des Klinikums Bremen-Mitte entstehen soll, leben möchten.
Wie erklären Sie den Leuten, was Sie in der Stadtteilgenossenschaft machen?
Martina Paulini:
Wir schaffen günstigen Wohnraum, der nicht veräußert wird – also einen dauerhaft gesicherten Wohnraum. Und wir fördern Aktivitäten: dass die Leute miteinander zu tun haben, dass sie sich im Stadtteil engagieren, dass Projekte entstehen, die für den Stadtteil sinnvoll sind, Kooperationen mit anderen. Das Wohnen ist das eine, aber auch Aktivitäten, die dem Gemeinwohl dienen, zu fördern, gehört dazu.
Bärbel Dierks:
Man kann es schon als Selbstverwaltung bezeichnen.
Peter Bargfrede:
Der Hintergrund ist, dass wir möchten, dass auf dem Klinikgelände, wo etwa 1000 Wohnungen neu gebaut werden, nicht alles über private Investoren finanziert wird. Das werden in der Regel hochpreisige Wohnungen. Wir wollen in dem citynahen Stadtviertel bezahlbaren Wohnraum schaffen. Auch für Leute, nicht nur, aber auch für Leute, die wenig Geld haben. Das ist die alte Genossenschaftsidee, dass sich viele zusammentun.
Sie haben sich mit der Genossenschaft schon auf das Bettenhaus eingeschossen.
Peter Bargfrede:
Ja. Auf das Bettenhaus sind wir gekommen, weil wir davon ausgehen, dass ein solides Gebäude wie das Bettenhaus günstiger umzubauen ist als wenn man neu baut. Und abgesehen davon sehen wir nicht ein, warum so ein tolles Gebäude abgerissen werden soll zugunsten eines sehr großen Parkhauses. Das ist auch der politische Hintergrund.
Martina Paulini:
Einige Stockwerke sind ja auch saniert worden in den letzten Jahren. Peter Bargfrede: Es gibt viele Stockwerke, bei denen wir sagen, dass man da so einziehen könnte. Ich hab noch mal mit unserem Architekten gesprochen, und wir sind noch mal durch das Haus gegangen. Die oberen Etagen sind saniert. Wenn man die von der Größe so lassen würde, könnte man fast so einziehen. Es gibt zwar einige Stockwerke, die müssen saniert werden, aber das Haus ist in einem ganz guten Zustand.
Wenn es umgebaut würde zu Wohnraum, wie viele Menschen hätten dann im Bettenhaus Platz?
Martina Paulini:
70 bis 100 Wohneinheiten würden wir einrichten, je nachdem, wie viele kleinere Wohnungen es werden oder wie viele größere für Familien.
Peter Bargfrede:
Das Haus hat ungefähr 7000 bis 8000 Quadratmeter Netto-Wohnfläche. Da sind die Architekten noch am Rechnen. Die Brutto-Wohnfläche sind 13215 Quadratmeter. Das sind Flure, Kellerräume, Zugänge und so weiter mit drin.
Wenn man von 1000 Wohnungen ausgeht, die auf dem Gelände neu geschaffen werden sollen, wären 100 im Bettenhaus ja schon zehn Prozent von den vorgeschriebenen 25 Prozent sozialen Wohnungsbau.
Martina Paulini:
Es ist nicht gedacht, dass wir nur sozial geförderten Wohnraum schaffen, sondern dass wir eine Mischung hinbekommen.
Peter Bargfrede:
Wir wollen zwar schon sozial geförderten Wohnraum, auch mehr als die 25 Prozent. Vielleicht werden es bei uns 30 bis 40 Prozent. Aber wir wollen auch viele, die über den Kriterien liegen. Wir wollen die Mischung. Wir brauchen sie auch, beispielsweise für die Finanzierung, die darauf baut, dass Leute mehr einzahlen, als nur den Anteil für ihre Wohnung.
Martina Paulini:
Und diese Mischung ist auch ein Abbild unserer Gesellschaft.
Der letzte Stand zur Finanzierung war, dass geschätzt etwa 13 Millionen Euro für das Projekt aufgebracht werden müssen.
Peter Bargfrede:
Die Architekten haben noch mal durchgerechnet und sind jetzt auf etwa 14,5 Millionen an Gesamtkosten gekommen. Das kann am Ende eine Million mehr oder weniger sein.
Das ist eine stolze Summe.
Peter Bargfrede:
Das ist eine stolze Summe, aber wenn man es neu bauen würde, würde diese Fläche von 7000 bis 8000 Quadratmetern netto ungefähr 20 bis 22 Millionen Euro kosten. Und dann kommt es darauf an, wie viele Leute einziehen. Man braucht ja 30 Prozent Eigenkapital. Das sind rund viereinhalb Millionen Euro. Gehen wir von 100 Wohnungen aus, sind das 40000 bis 50000 Euro pro Wohnung. Das ist wenig, wenn man sonst ein Eigenheim kauft. Aber auch die Summe muss man erst mal aufbringen. Und da gibt es die Möglichkeit für Leute mit wenig Geld, selbst für Hartz-IV-Empfänger, dass sie den Genossenschaftsanteil als Darlehen von der Sozialbehörde bekommen. Darüber hinaus gibt es ja noch die Solidaranteile, die wir auch einwerben wollen.
Martina Paulini:
Es gibt Leute, die das Projekt gut finden und Genossenschaftsanteile kaufen, auch wenn sie gar nicht drin wohnen wollen.
Bärbel Dierks:
Die bekommen mindestens ein Prozent Zinsen und finden es gut, dass ihr Geld bei uns liegt.
Peter Bargfrede:
Das sind Fördermitglieder. Es gibt aber auch Solidaranteile. Wenn jemand eine Wohnung für 20000 Euro kauft und dann noch 10 000 Euro auf der hohen Kante hat, kann er die 10 000 Euro als Solidaranteil einzahlen für jemanden, der es nicht hat. Das ist das besondere an dieser Genossenschaftskonstruktion, dass man ein breites Umfeld einbezieht. Und das brauchen wir auch.
Das heißt, im Bettenhaus wohnen zu wollen, ist keine Voraussetzung, um Mitglied in der Stadtteilgenossenschaft Hulsberg zu sein.
Peter Bargfrede:
Nur, wenn man stimmberechtigt sein möchte.
Bärbel Dierks:
Um voll stimmberechtigt zu sein, muss man drin wohnen oder aktiv sein. Und wenn man das nicht möchte, sondern möchte das ganze Projekt nur fördern, dann ist man Fördermitglied und hat bei bestimmten Punkten ein eingeschränktes Stimmrecht.
Nimmt die Genossenschaft für den Rest der Summe einen Kredit auf?
Martini Paulini:
Viereinhalb Millionen Euro werden gesammelt und der Rest wird über Kredit finanziert. Das Grundkapital landet erst mal auf einem Treuhandkonto. Angenommen, das würde nichts mit dem Bettenhaus, dann würde das Geld wieder an die Leute zurückgezahlt. Das ist die Sicherheit.
Peter Bargfrede:
Das mit dem Treuhandkonto ist eine besondere Konstruktion, weil wir das Gebäude ja noch nicht haben. Erst wenn wir das Bettenhaus wirklich kaufen, geht das Geld auf das Genossenschaftskonto.
Das ist die Krux bei der Idee, dass das Bettenhaus noch nicht gerettet ist und immer noch abgerissen werden könnte. Was passiert, wenn Sie es nicht bekommen? Würden Sie beispielsweise auch in die Kinderklinik ziehen?
Bärbel Dierks:
Das entscheiden wir dann in der Mitgliederversammlung.
Peter Bargfrede:
Unser Architekt hat sich die Kinderklinik auch schon mal angeguckt. Seinem Eindruck nach wäre der Umbau dort teurer. Das ist der Haken. Wir wollen das Bettenhaus unbedingt erhalten. Und wir bekommen auch immer mehr Rückenwind, gerade in der heutigen Zeit, wo der Wohnraum für Leute mit wenig Geld knapp wird. Da kann man nicht verantworten, so ein Gebäude abzureißen.
Wie soll das Leben im Bettenhaus dann am Ende aussehen?
Peter Bargfrede:
Für uns ist das ein Leuchtturm-Projekt. In Wien gibt es so ähnliche Projekte. Wenn man in einem Hochhaus – das Bettenhaus mit neun Stockwerken ist ja praktisch ein Hochhaus – Wohnen ermöglicht, muss man eine Mischung haben, wie wir sie uns vorstellen, wo ganz verschiedene Milieus leben, wo es Angebote gibt und Gemeinschaftseinrichtungen, beispielsweise eine Bibliothek, eine Sauna, unten ein Empfang, wo vielleicht eine Selbsthilfegruppe aktiv ist oder Service-Wohnen. Das nennen wir ein soziales vertikales Dorf. Das ist unsere Vision, und wir haben auch schon Leute, die beispielsweise als Wohngruppe ins Bettenhaus ziehen wollen.
Martina Paulini:
Und wir haben zusätzlich zum sozialen vertikalen Dorf den vertikalen Garten: eine Fassadenbegrünung.
Peter Bargfrede:
Wir wollen die Fassade begrünen und mit Solarzellen versehen zwischen den Fenstern.
Was sind die nächsten Schritte, um dahin zu kommen?
Bärbel Dierks:
Es gibt bestimmte formale Dinge zu erledigen, wie das Treuhandkonto zu eröffnen, den Eintrag ins Genossenschaftsregister voranzutreiben. Zurzeit läuft die Gründungsprüfung, bei der uns der Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften unentgeltlich berät.
Martina Paulini:
Die formalen Schritte sind das eine, aber auch die Aktivität in der Genossenschaft wieder zu aktivieren. Wir hatten eine ganze Zeit viele Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen.
Peter Bargfrede:
W
ir wollen einen Workshop machen zum Thema „Wie wollen wir wohnen“. Wir hatten schon Vorgespräche mit einigen Partnern, aber wie wir eigentlich wohnen wollen, darüber gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen. Das ist ein wichtiger Termin, wahrscheinlich im Mai.
Das Interview führte Liane Janz.
Näheres über die Stadtteilgenossenschaft auf www.hulsberg-genossenschaft.de und www.wum-bremen.de.