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Gastronomie in Bremen Wie neue Systeme das Trinkgeldverhalten beeinflussen

Inflation und hohe Preise führen dazu, dass Gäste im Restaurant weniger Trinkgeld geben. In den USA schlagen Kartenlesegeräte einen Prozentsatz vor - ein Weg über den auch Gastronomen in Bremen nachdenken.
26.10.2023, 05:00 Uhr
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Wie neue Systeme das Trinkgeldverhalten beeinflussen
Von Kristin Hermann

Lange galten zehn Prozent als Trinkgeld im Restaurant oder Café als Richtwert. Obwohl es in Deutschland eine freiwillige Leistung ist, planen viele Servicekräfte den Bonus fest ein. Doch die Inflation und steigende Preise führen dazu, dass mitunter nicht nur weniger bestellt wird, sondern einige Gäste beim Bezahlen der Rechnung weniger spendabel sind als früher. Zehn Prozent und mehr Trinkgeld seien schon lange nicht mehr üblich, klagen Gastronomen.

Aus anderen Ländern wiederum werden Berichte laut, wie Wirte versuchen, diesen Trend auszugleichen. In den USA, in denen Trinkgeld für viele Mitarbeiter einen festen Teil des Einkommens ausmacht, sind in einigen Restaurants bis zu 30 Prozent üblich. Experten beschreiben dieses Phänomen als sogenannte Tipflation, zusammengesetzt aus dem englischen Wort Tip für Trinkgeld und Inflation. Das liegt unter anderem am Einsatz von Kartenlesegeräten, die automatisch nach Trinkgeld fragen und bestimmte Prozentwerte vorschlagen – selbst in Schnellimbissen und bei Lieferdiensten. Inzwischen sind solche Geräte auch immer häufiger in Deutschland im Einsatz.

"Das Geld sitzt nicht mehr so locker"

Die Trinkgeld-Debatte beschäftigt deshalb auch Gastronomen und Kunden in Bremen. "Nach der Corona-Pandemie und mit der hohen Inflation sind die Trinkgelder deutlich weniger geworden", sagt Detlef Pauls, Vorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Bremen. Viele Gäste seien vorsichtiger geworden, beobachtet auch die Bremer-Gastro-Gemeinschaft. "Das Geld sitzt nicht mehr so locker. Es wird generell weniger verzehrt und am Trinkgeld gespart", sagt der Vorsitzende Oliver Trey.

Wie drastisch die Einschnitte für Restaurantbetreiber sind, spürt zum Beispiel das Traditionslokal Seekamp's Gasthaus Centralhallen in Hemelingen. "Waren die Gäste während und direkt nach der Pandemie noch sehr großzügig, verzeichnen wir momentan 40 bis 60 Prozent weniger Trinkgeld", sagt Geschäftsführerin Emilia Seekamp. Nicht selten blieben am Abend 20 Euro Obolus, die sich das gesamte Personal teilen müsste.

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Können veränderte Systeme bei der Kartenzahlung auch für eine Verbesserung der Situation sorgen? Meist werden im Vorfeld bestimmte Prozentsätze fürs Trinkgeld im Kartenlesegerät eingestellt. So tauchen bei der Abrechnung auf dem Display beispielsweise fünf, zehn oder 15 Prozent als Optionen auf. In der Regel haben Kunden zudem die Option, einen individuellen Betrag auszuwählen oder ein Trinkgeld vollständig abzulehnen. Nach Angaben des Dehoga und der Bremer-Gastro-Gemeinschaft probieren in Bremen einige Betriebe das Modell bereits aus. "Von amerikanischen Verhältnissen sind wir aber weit entfernt", sagt Trey.

Im Metropol Theater nutzt man das System bereits seit einigen Monaten. An den Bars, Garderoben oder der Abendkasse können die Gäste dort ohnehin nur bargeldlos bezahlen. Die Vorschläge fürs Trinkgeld lägen im einstelligen Bereich, sagt Geschäftsführer Jörn Meyer. Bisher habe es keine Beschwerden von Gästen darüber gegeben. "Das Trinkgeldverhalten hat sich dadurch nicht verschlechtert, tendenziell eher verbessert", sagt Meyer. Für die Mitarbeiter sei das System ein Anreiz, weshalb man es in diesem Jahr auch bei der Seebühne eingeführt habe, für die Meyer ebenfalls verantwortlich ist. Bei der reinen Kartenzahlung im vergangenen Jahr sei dort weniger Trinkgeld zusammengekommen.

Anbieter berichtet von Trinkgeldsteigerung von bis zu 20 Prozent

Das Bremer Unternehmen Gastronovi bietet deutschlandweit Softwarelösungen für Restaurants und Hotels an, darunter Zahlungssysteme. Auch dort steige die Nachfrage nach der neuen Trinkgeldmethode. Welchen Effekt das auf das Verhalten der Kunden hat, darüber gibt es bei Gastronovi bisher nur Schätzungen. Man arbeite derzeit an einer Auswertung, heißt es auf Nachfrage. "Die Unternehmen berichten mitunter von einer Steigerung zwischen sieben und 20 Prozent", sagt Payam Ershadifar, der bei Gastronovi für den Bereich zuständig ist.

Doch das System hat auch Kritiker. Werden Kunden damit in eine unangenehme Lage gebracht, weil sie sich nicht die Blöße geben möchten, vor den Augen des Kellners das Trinkgeld am Kartenterminal abzulehnen? "Ich finde es nicht richtig, quasi nach Trinkgeld zu betteln", sagt etwa Dehoga-Chef Pauls. Andere Kunden beschweren sich, dass man auch bei Bestellungen zum Mitnehmen zu dem Bonus aufgefordert wird. Unter einem WESER-KURIER-Aufruf zum Thema schildert ein User ein Erlebnis in einem Bremer Selbstbedienungslokal. "Im Bezahlvorgang am Monitor wird nach Trinkgeld gefragt. Die Eingabe ist so gestaltet, dass man denkt, man MUSS Trinkgeld geben", schreibt er. "Die Option, das Trinkgeld abzulehnen, ist andersfarbig gestaltet und fällt dadurch schlecht auf. Das finde ich eine Frechheit, insbesondere vor dem Hintergrund, dass man alles selbst machen muss."

Wie in anderen Bereichen seien solche Vorgänge oftmals eine Gewöhnungssache, meint Ershadifar von Gastronovi. Man müsse jedoch abwägen, in welchen Bereich man das einsetzt und wo es Sinn macht. "Wenn man keinen Service im klassischen Sinne anbietet und vielleicht nur Speisen zum Mitnehmen, könnte das unter Umständen weniger gut ankommen."

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