Schwachhausen. Zum zweiten Mal stellen Mutter Lieselotte und Sohn Nikolaus Reinecke gemeinsam Malerei-Arbeiten aus. In der Galerie Atrium der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bremen zeigt Lieselotte Reinecke Aquarelle mit Bremer Stadtansichten. Ihr Sohn Nikolaus Reinecke präsentiert Akte und zahlreiche großformatige Porträts. Eine generationsübergreifende, beeindruckende Schau über vier Etagen.
Bei der sehr gut besuchten Vernissage sprach Kunsthistorikerin Regina Gramse einführende Worte. Dabei ging sie auf die Arbeitsweise der Künstler ein und spannte einen Bogen vom Beginn der Aquarellmalerei bis hin zur Schwierigkeit bei der Darstellung von Gesichtern.
Die in der Neustadt lebende und arbeitende Künstlerin Lieselotte Reinecke, die schon viele Einzel- und Gruppenausstellungen hatte, malt bevorzugt Aquarelle. Zwar habe sie auch mit Tempera und Ölpastell gearbeitet, aber, so die 90-Jährige: „Aquarell ist meine Technik.“
„Der Bürgerpark ist so herrlich“, findet Lieselotte Reinecke, die zu dieser gärtnerischen Anlage eine besondere Beziehung hat und auch entsprechende Motive in der Ausstellung präsentiert. Seit 25 Jahren leitet sie im Bürgerpark regelmäßig den Mal-Treff, bei dem Gleichgesinnte im Freien gemeinsam Aquarelle malen. Bei dem Treff komme aber auch der Spaß nicht zu kurz, wie sie lachend sagt.
Hafenansicht und Platanen
In der aktuellen Ausstellung zeigt Lieselotte Reinecke allerdings überwiegend Stadtansichten. So sieht man beispielsweise eine Hafenansicht, ein Wasserwerk, ein Polizeihaus, aber auch Platanen am Deich, denen die Abholzung droht. Zu einem Bild, das sie an einem Wintertag gemalt habe, erklärte die Künstlerin auf der Vernissage, die Kälte sei mit in das Bild gekrochen. Zu ihrer Ausbildung – die freischaffende Malerin konnte nach dem Krieg die Kunstschule in Bremen besuchen – sagte sie: „Das war ein Glücksfall, das ist das Beste, was mir passieren konnte.“ Auf die Frage, was die Malerei bei ihr bewirke, antwortete sie: „Malen ist mein Leben. Ich male was weg, etwas das mir im Weg steht. Ich male mich frei.“
Die Kunsthistorikerin Regina Gramse erläuterte in ihrer Einführung die Schwierigkeit, das menschliche Gesicht zu malen, da es nur ein flüchtiges Motiv sei, weil ein Gesicht ständig in Bewegung sei. Mit Rodolphe Töpffer führte die Kunsthistorikerin beispielhaft einen Kritiker der frühen Fotografie aus dem 19. Jahrhundert an: Töpffer kritisiert damals, dass in der Fotografie durch die Reduktion auf einen fixierten Moment nur die materielle Erscheinung eines Menschen wiedergegeben werden könne. Im Vergleich dazu aber, so Töpffer, könne die Malerei im Bildnis mit Duktus und Farbe lebendige Strukturen, und im Idealfall sogar etwas von der Persönlichkeit des Modells wiedergeben.
Nikolaus Reinecke jedenfalls hat ganz viele Persönlichkeiten in seinen Bildern eingefangen. „Mich interessieren Menschen“, sagt der 1959 in Bremen geboren Reinecke, der jetzt in Hildesheim lebt.
Nikolaus Reinecke, der nach eigenen Angaben keine Vorbilder hat, aber unter anderem den britischen Porträtmaler Lucian Freud als Künstler schätzt, malt seit 20 Jahren ausschließlich Menschen – Akte und Porträts. Reinecke arbeitet mit Acryl, dabei ohne auf Skizzen oder Fotos zurückzugreifen, sondern stets mit dem „lebendigen“ Modell, von Angesicht zu Angesicht. Seine überlebensgroßen Porträts sind kraftvoll und präsent. Die Gesichter blicken den Betrachter direkt an.
„Innerer Antrieb“
Schon als Kind hat Reinecke viel gezeichnet und gemalt. Nach dem Abitur entschied er sich für eine praktische Tischler-Lehre und machte seinen Meisterabschluss. Damals ruhte sein künstlerisches Zeichnen und Malen. Jedoch fotografierte Reinecke und schärfte dabei seinen Blick. In seinem anschließenden Produktdesign-Studium wurde auch Aktmalerei gelehrt. Reinecke war begeistert und vertiefte das Aktstudium. Während er schon selbst einen ersten Lehrauftrag an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim hatte, nahm er weiterhin Unterricht in Aktmalerei. Auf die Frage, warum er Akte, die als schwierige Herausforderung in der Malerei gelten, bevozuge, sagt der als Dozent und freier Künstler tätige Reinecke: „Es ist innerer Antrieb.“ In Reineckes Porträtmalerei fließt sein fotografischer Blick mit ein. Wie einen Kamerasucher rückt er einen Rahmen vor dem stehenden Modell zurecht, bis es passt. Dieser Ausschnitt wird dann von Reinecke verinnerlicht. Dabei wird die Entscheidung für beispielsweise einen Anschnitt im Bild vom Künstler ganz bewusst getroffen.
Reineckes Arbeiten entstehen in mehreren Phasen nach insgesamt etwa zehn bis 20 Stunden. Während der kürzeren, einzelnen Sitzungen muss das Modell dabei stehen, denn das, so sagt der Maler, verändere die Haltung des Porträtierten. Reinecke benötigt den direkten Kontakt und unterhält sich während des Schaffensprozesses mit dem Modell, er will dabei mehr von diesem Menschen erfahren.
So entsteht eine Beziehung zwischen den beiden Personen und es kommt zu einer kreativen Annäherung. Der Künstler Nikolaus Reinecke formuliert es selbst so: „Im Bild manifestiert sich ein Gespräch.“